Bei «Carmen» funkte es endgültig
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2. Januar 2024 – Die Oper bietet eine ideale Kulisse, um sich zu verlieben. Zwei Paare – Susanne und Lilian, Elfi und Walter – schildern, wie die Oper ihrer beginnenden Beziehung Flügel verliehen hat. (1 Kommentar)
2. Januar 2024 – Die Oper bietet eine ideale Kulisse, um sich zu verlieben. Zwei Paare – Susanne und Lilian, Elfi und Walter – schildern, wie die Oper ihrer beginnenden Beziehung Flügel verliehen hat.
VON BARBARA LUKESCH
In der Zeit des Werbens, in der man den oder die Angebetete gern beeindruckt, hat eine Einladung in die Oper ihren besonderen Reiz. Das Ambiente verbreitet Glanz und Glamour, sorgt für grosse Gefühle und hat für Herz, Augen und Ohren viel zu bieten.
Dieser Attraktion konnten sich auch die beiden Paare nicht entziehen, die uns ihre Liebesgeschichte erzählt haben. Sie kannten sich erst wenige Wochen, als sie miteinander in die Oper gingen – mit durchschlagendem Erfolg.
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Als sich Lilian und Susanne 1996 kennenlernten, waren sie 35 beziehungsweise 36 Jahre alt. Lilian hatte in der «Annabelle» ein Inserat veröffentlicht, mit dem sie eine Partnerin suchte. Sie wollte von möglichen Interessentinnen kein Foto sehen, sondern sich ganz auf den Inhalt und die Präsentation der Zuschriften konzentrieren.
Sie erhielt eine Menge Bewerbungen. Susannes Brief stach ihr wegen der schönen Schrift ins Auge, aber auch weil es sie reizte, mal eine Journalistin kennenzulernen. Sie tauschten Brief um Brief aus; Mails gab es damals noch nicht. Eines Tages bekam Lilian einen Blumenstrauss mit einem liebenswürdigen Gruss zugeschickt und deutete ihn als Signal: Der nächste Schritt stand an.
Das erste Date konnte noch nicht alle Wünsche befriedigen. Susanne kam im schicken Deux Pièces und Pumps von der Arbeit, Lilian war sehr casual, ja, rustikal angezogen. Sprechen die beiden heute über dieses Treffen, bietet Lilians «Stalljacke» stets Anlass zu Gelächter.
Nach einem Drink in einer Bar zogen sie weiter. Lilian wollte noch zum Geburtstagsfest einer Freundin. Susanne schloss sich an. Dort wurde auch getanzt. Mit Interesse verfolgte Lilian, wie selbstbewusst Susanne auftrat: sie liess sich nicht davon beirren, dass sie mit ihrem Kleid eine Ausnahme war. Alle anderen Frauen trugen Hosen. Unbeeindruckt wagte sie sich auf die Tanzfläche und genoss offenbar die Musik, den Rhythmus und die Möglichkeit, sich nach Lust und Laune zu bewegen. Stark, fand Lilian.
Das nächste Treffen führte die beiden ins Zürcher Schauspielhaus zu Ibsens «Wildente». Lilian war auf ihrem Arbeitsweg vom Zürcher Unispital kurz entschlossen an die Theaterkasse gegangen und hatte zwei Tickets gekauft; Susanne freute sich über die Einladung zu einem Stück, das sie noch aus dem Deutschunterricht am Gymnasium kannte.
Das Beste an diesem Abend aber waren weder Ibsen noch die Schauspielerinnen. Nein, Susanne rückte in den Schlüsselszenen immer wieder ganz dicht an Lilians Ohr und wies sie auf entscheidende Szenen hin. Lilian war elektrisiert. Ab einer gewissen Zeit habe sie nur noch gedacht: «Bleib doch, statt immer wieder von mir abzurücken!»
Doch Lilian musste sich noch etwas gedulden. Eine Woche später lud Susanne sie zum Nachtessen bei sich daheim ein und zwei Tage später in die Oper.
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Sowohl Elfi als auch Walter befanden sich in einer tiefen Lebenskrise, als sie das Schicksal zusammenführte. Beide waren nach langjährigen Beziehungen verlassen worden. Als Walters Schwager ihn gemeinsam mit einer alleinstehenden Frau zu einem Nachtessen einlud, musste diese kurzfristig absagen. In dem Moment kam Elfi ins Spiel, die der Schwager ebenfalls kannte. Er lud sie sozusagen als Ersatzgast ein, und sie sagte mässig begeistert mit der Einschränkung zu, dass sie weder etwas mitbringe noch sich speziell zurechtmache.
Der Abend muss denn auch mittelprächtig verlaufen sein. Walter erinnert sich an einen weiteren Gast, mit dem sich Elfi wiederholt gestritten habe. Was ihm allerdings gefallen habe, seien ihre Schuhe gewesen, die mit Schuhbändeln voller Knoten zusammengehalten worden seien. Das habe er wirklich ausserordentlich interessant gefunden, erinnert er sich lachend, und sich gefragt, was diese Elfi wohl für eine Frau sei.
So lud er sie kurz darauf gemeinsam mit ein paar anderen Leuten zu einem indischen Essen bei sich in Luzern ein. Elfi freute sich; der aufmerksame, sympathische Lehrer war ihr immer wieder in den Sinn gekommen. Doch zu ihrer Verwunderung sass eine weitere Single-Frau am Tisch: 25 Jahre alt, blond, bildschön. Hatte sie sich falsche Hoffnungen gemacht? Sie beruhigte sich allerdings schnell und genoss das Essen und das Zusammensein mit netten Leuten: «Auch gut!»
Doch irgendwie sollte das nicht alles gewesen sein. Walter und Elfi wussten bereits voneinander, dass sie Freude an der Oper hatten. Er hatte in einem Wettbewerb auf DRS 2 eine CD von Cecilia Bartoli gewonnen, «Arie Antiche», die ihm ausgesprochen gut gefiel. Sie hatte dank einem Kollegen, der am Zürcher Opernhaus arbeitete, sowohl die Hauptprobe als auch die Premiere einer «Othello»-Inszenierung besuchen können. Das erste Mal in ihrem Leben war sie an einer Premierenfeier, an der sich die Zürcher Prominenz ein Stelldichein gab. So lag es schon fast auf der Hand, dass die beiden gemeinsam in die Oper gingen.
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Lilian war inzwischen in Winterthur zum Nachtessen gewesen. Susanne servierte Forelle, aber vor lauter Aufregung brachten die beiden kaum einen Bissen herunter. Ihr Glück war gross. Zwei Tage später gingen sie dann in die Oper. Susanne überraschte Lilian mit zwei Plätzen in einer Loge, von wo aus sie einen fantastischen Blick auf die Bühne hatten.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Lilian keinerlei Zugang zu klassischer Musik gehabt. Ihr Vater, ein riesiger Jazz-Fan, spottete jeweils, wenn am Radio eine Oper gespielt wurde. Man solle der Sängerin doch etwas zu essen geben, grinste er, dann müsse sie nicht dermassen jammern! Susanne hatte schon einige Opern gesehen, mehr aber auch nicht.
Doch an diesem Samstag war alles anders. Auf dem Programm stand «Carmen», was beide noch heute als «ideale Wahl» für den Operneinstieg bezeichnen. Sie hätten etliche Arien gekannt, und der Stoff habe genug Dramatik geboten, um sie zu fesseln. Lilian hatte sich diesmal für ein altrosa Kleid mit schwarzem Spitzenbesatz, eine Art Flamencokleid, entschieden. Nicht noch einmal wollte sie sich sagen lassen, sie sei «underdressed». Als sie dann in der Pause auf dem Weg zum Cüplistand durch das illustre Publikum flanierten, war sie glücklich, dass sie vom Outfit her mithalten konnte: «Kein Mensch hätte mich als Opernneuling identifizieren können!»
Alles war gut. Sie waren über beide Ohren verliebt, «Carmen» gefiel ihnen, ihre Plätze waren eine Wucht und sie tauschten wiederholt zärtliche Blicke. Seither sind die beiden ein Liebespaar, das immer wieder gern in die Oper geht, mal allein, mal mit Freundinnen und Freunden.
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Elfi war es, die sich um die Eintrittskarten kümmerte, schliesslich wohnte sie damals in Zürich und Walter in Luzern. Ihr Entscheid fiel auf die Barockoper «Nina ossia la pazza per amore» von Giovanni Paisiello. Der Hauptgrund für diese ungewöhnliche Wahl: Cecilia Bartoli sang die Nina. Elfi kaufte zwei Tickets, an deren Preis sie sich zwar nicht mehr genau erinnern kann, aber «etwas um 300 Franken pro Karte» müsse es schon gewesen sein. Sie leitete damals ihre eigene Apotheke und konnte sich das leisten. Schliesslich ging es um viel.
Der Abend wurde ein voller Erfolg. Die beiden sassen nahe beieinander, und es sei tatsächlich zu einem «Anflug von Körperkontakt» gekommen, erinnern sie sich schmunzelnd. Was Elfi aber fast noch stärker beeindruckte, waren Walters Aufmerksamkeit und seine konzentrierte Haltung: «Das gefiel mir sehr, auch wenn er mich während der Aufführung kaum eines Blickes würdigte.» Später habe eine Freundin ihr erzählt, dass sie mit einem Date ein klassisches Konzert besucht und der junge Mann immer an den falschen Stellen geklatscht habe. «Was für ein Horror!», seufzt Elfi.
Richtig eingefahren sei ihnen dann Bartolis Arie «Il mio ben quando verrà», in der sie der Frage nachsinne, wann wohl endlich der Moment komme, in dem es ihr richtig gut gehe. Das hätten beide natürlich auf sich selber bezogen. Gleichzeitig seien der ganze Zauber und die unendliche Magie der Oper spürbar geworden und hätten sie in ihren Bann gezogen: «Das war traumhaft schön!» Bei der Verabschiedung am Bahnhof Stadelhofen sei es, so Walter, immerhin zu einer «kräftigen Umarmung» gekommen. Er lacht. Er hätte sich auch mehr vorstellen können.
Nachher ging es Schlag auf Schlag. Keine Woche später lud Walter Elfi erneut zu einem Essen bei sich in Luzern ein. Da habe es endgültig gefunkt, sagt Elfi, und sie sei geblieben.
Ode an die Oper: Sechs überraschende Liebesgeschichten
Teil 1: Eine Träne für Violetta
Teil 2: «Die Oper ist das Fussballstadion der Schwulen»
Teil 3: Feuer und Flamme für Jonas Kaufmann
Teil 4: «Ich möchte weitergeben, wofür ich brenne»
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Liebe Barbara, herzlichen Dank für den Artikel und die Fotos. Mal schauen, was KI daraus macht, oder ob Cecilia sich bald bei uns meldet…