«Schau hinter meine Fassade»

0 KOMMENTARE

30. Januar 2024 – Noah Schöppl* ist Empathietrainer. In seinem Workshop wird er am Samstag, 3. Februar, mit den Teilnehmenden üben, einander mit mehr Empathie zu begegnen und damit das Leben in der Gemeinde Zollikon schöner zu machen, so dass sich alle wohlfühlen.

Empathie-Trainer Noah Schöppl: Einander wieder zuhören (Foto: zvg)
Empathie-Trainer Noah Schöppl: Einander wieder zuhören (Fotos: zvg)

INTERVIEW: BARBARA LUKESCH

Noah Schöppl, was ist Empathie?

Empathie ist die Fähigkeit, die Perspektive anderer Menschen nachzuvollziehen, und zwar rational, aber auch emotional, indem wir mit ihnen mitfühlen.

Dazu passt ja dieser schöne Appell, erst einmal 1000 Schritte in den Mokassins eines anderen zu gehen, bevor man eine Aussage über ihn macht.

Auch in der Ausstellung im Zolliker Ortsmuseum «A Mile in my Shoes» geht es darum, die Schuhe anderer auszuprobieren, ein Stück in deren Schuhen zu gehen und sich durch einen Audioguide in ihre Situation zu versetzen. Im Grunde verfügen alle über diese intuitive Fähigkeit der Empathie. Aber es gibt nun mal Umstände, die unsere Empathie schwächen können.

Was kann denn unsere Fähigkeit zur Empathie schwächen?

In vielen politischen Kulturen, in denen wir uns bewegen, wird sehr polarisiert über verschiedene Themen gesprochen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meinem Leben. Meine ersten Kommunikationstrainings waren im Rahmen eines Debattierwettbewerbs in der Schule. Da lernte ich anderen Leuten zuzuhören und ihnen anschliessend zu erklären, warum sie falschliegen. Darin war ich richtig gut und habe das erfolgreich angewendet. Doch mit der Zeit habe ich festgestellt, dass es nicht besonders erfüllend ist, Gespräche zu führen, bei denen es letztlich nur darum geht, zu  gewinnen.

So wird man häufig auch nicht zu einer Lösung kommen, die allen etwas bringt.

Noah Schöppl

Ganz im Gegenteil. Aber auf genau diese Art verlaufen auch viele Diskussionen in unseren politischen Institutionen. Da spielen wir das Theaterstück: «Wer hat Recht?». Wir könnten aber auch ein anderes Stück spielen, das zum Beispiel den Titel trägt: «Wie finden wir Lösungen, in denen sich möglichst viele wiederfinden?» Ich wünsche mir, dass wir uns vermehrt fragen, wie wir auch über die Grenzen jener Gruppen hinaus, in denen wir normalerweise verkehren, mehr Verständnis füreinander entwickeln können.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Thema Empathie in Beziehung zu Gemeinden wie jetzt Zollikon zu setzen?

Eine Gemeinde ist eine politische Ebene nahe an der Lebensrealität der Menschen, auf der wir viel kollektiven Umgang miteinander pflegen. Wir haben gemeinsame Räume und Treffpunkte, an denen man sich begegnet. Unser Empathie-Workshop im Ortsmuseum Zollikon bietet einen solchen Ort des Austauschs, wo sich die Zolliker Politik, Verwaltung und Bevölkerung einen Tag Zeit nehmen, um sich zu fragen, wie man miteinander umgeht, aber auch wie man schönere Formen des Umgangs miteinander entwickeln kann.

Geben Sie uns doch ein, zwei Beispiele, wie Empathie auf Gemeindeebene gelebt werden kann.

Es gibt eine starke Bewegung mehr Bürgerräte zu organisieren. In Bürgerräten gibt es Raum, Dinge, die alle betreffen, gemeinsam zu besprechen und dafür die bestmöglichen Lösungen zu entwickeln. Das sind Formate, in denen neuartige Beteiligungsprozesse ausprobiert werden, die man natürlich auch empathisch gestalten kann. Das heisst, einander zuhören und nach Lösungen suchen, mit denen wirklich alle gut leben können.

Haben Sie noch ein Beispiel?

Gemeindeverwaltungen sind häufig sehr bürokratisch organisiert und damit auch hierarchisch aufgebaut. Ich habe selber auch in der Verwaltung in Deutschland gearbeitet und weiss, dass sich viele Menschen dort neue Formen der Zusammenarbeit wünschen. Sie würden in ihren eigenen Teams, aber auch über die Abteilungsgrenzen hinweg gern mehr Austausch pflegen, mehr Miteinander statt Gegeneinander praktizieren, um die bestehenden Herausforderungen bewältigen zu können. Auch bei solchen Prozessen ist Empathie die Grundlage.

Was lernen die Teilnehmenden Ihres Workshops?

Zum einen wollen wir unsere Empathiemuskeln trainieren. Einander wirklich zuhören, meinem Gegenüber mit Aufmerksamkeit und meiner ganzen Präsenz begegnen, mehr Verständnis füreinander aufbringen. Zum anderen wollen wir die Fähigkeit entwickeln, uns vorstellen zu können, dass die Dinge auch ganz anders sein könnten. Wir bleiben oft gefangen in der normativen Kraft des Faktischen und nehmen an, dass die Dinge immer so bleiben, wie sie sind, weil wir nichts anderes gewohnt sind. Das führt dann allerdings dazu, dass die Menschen in Zeiten wie den heutigen die Hoffnung verlieren. Ja, es ist schon fast ein bisschen en vogue in Zynismus zu verfallen: Es nützt ja eh alles nichts.

Es ist aber auch nicht einfach, sich in der aktuellen Situation und Weltlage die Hoffnung zu bewahren.

Es ist tatsächlich oft schwierig, sich vorzustellen, dass die Dinge wieder schöner werden könnten und dass auch wir dazu unseren Anteil leisten könnten. Im Empathie-Workshop werden wir üben, daraus auszubrechen und Visionen einer schöneren Zukunft zu entwickeln, die wir auch gemeinsam erreichen können.  Der Workshop ist auch eine Einladung, sich gemeinsam zu trauen wieder zu träumen.

Kennen Sie denn Zollikon?

Ich war bisher einmal in Zollikon und habe bewegende Gespräche geführt, die mir einen gewissen Einblick gegeben haben. Ich werde den Workshop-Teilnehmern aber nicht erzählen können, wie ein schöneres Zollikon aussehen kann, weil das nicht meiner Expertise entspricht. Was ich anbieten kann, ist, gemeinsam einen Raum zu schaffen, in dem man sich gegenseitig zuhört und zusammen praktisch an Visionen für ein schöneres Zollikon arbeitet.

Gibt es bereits konkrete Beispiele für Gemeinden oder auch Städte, wo das Thema Empathie dank Ihrer Initiative erfolgreich vermittelt worden ist?

Was es in nächster Nähe gibt, ist die Empathiestadt Zürich, ein Projekt, das bereits 2020 gegründet und dank dem eine grosse, sich gegenseitig unterstützende Community von Menschen ins Leben gerufen wurde. Im Rahmen dieses Projekts werden beispielsweise Prozessbegleitungen in Organisationen durchgeführt, um Abläufe empathischer, inklusiver und damit oft auch effizienter zu gestalten. Wir bieten Kurse in Empathie und Konfliktlösung an, regen den gesellschaftlichen Dialog dazu an und führen Kunstaktionen im öffentlichen Raum durch.

Woran merke ich denn als Mensch, der regelmässig in Zürich unterwegs ist, dass sich etwas zum Besseren hin verändert hat?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir hatten eine Kunstaktion auf dem Paradeplatz, wo sich eine Gruppe von Menschen Kartons mit einer aufgemalten Mauer umgehängt hat. Wir haben die Einladung an die Passanten formuliert: Schau hinter meine Fassade, indem ihr an einer Lasche an den einzelnen Figuren zieht und damit eine verletzliche Aussage, notiert auf einem grossen Karton, über die jeweilige Person sichtbar macht: «Mein Vater sitzt im Rollstuhl». Oder «Ich hatte ein Burnout». Das hat zu Gesprächen geführt an einem Ort wie dem Paradeplatz, wo man normalerweise keine empathischen Verbindungen mit anderen eingeht. In der Zolliker Ausstellung «A Mile in my Shoes» wurden ja ähnliche Erfahrungen ermöglicht. Diese Erfahrungen sind natürlich erst keimende Pflänzchen, aus denen aber eine kulturelle Veränderung entstehen kann.

Kunstaktion auf dem Paradeplatz
Kunstaktion auf dem Paradeplatz führte zu Gesprächen

Sie leben seit kurzem in Zürich. Warum sind Sie in die Schweiz gekommen?

Mit der Empathie Initiative, die in Zürich gegründet wurde und jetzt von der Stiftung Mercator Schweiz als landesweite Bewegung für eine empathische Demokratie gefördert wird, hat sich eine Gruppe von Menschen gefunden, die mich mit ihren Visionen und ihrer Art Menschlichkeit vorzuleben, stark angezogen hat. Ich habe gemerkt, dass ich davon lernen und meine Zeit und Energie genau hier einbringen möchte.

Auf Ihrer Website steht eine Aussage, die mich etwas irritiert hat. Sie schreiben dort, dass Sie sich für Ihr Hochdeutsch schämen, und sagen, dass Sie versuchen Dialekt zu lernen. Was wollen Sie damit bewirken?

Ich schäme mich nicht gern für irgendetwas, und gleichzeitig möchte ich lernen, auch mit diesem Gefühl, das in unserer Gesellschaft stark tabuisiert ist, besser umzugehen. Ausserdem will ich normalisieren, dass solche Gefühle existieren. Schliesslich vermittelt meine Scham mir – wie alle anderen Emotionen auch – wichtige Informationen über mich.

Zum Beispiel?

Sie zeigt mir, dass ich einen lebendigen Wunsch nach Akzeptanz und Zugehörigkeit mit den Menschen an meinem neuen Wohnort habe. Wenn ich Mundart höre, merke ich, dass ich auch gern so reden würde. Mein Hochdeutsch führt dazu, dass ich sehr schnell als Deutscher identifiziert werde, was mich durchaus manchmal verunsichert. Scham isoliert für sich zu fühlen, kann bis zu grossem psychischen Leid führen. Wenn wir Scham aber in einem sicheren Rahmen mit anderen teilen können, kann sie sich transformieren. Um dafür ein Beispiel zu setzen, spreche ich auch öffentlich über meine Scham.

Hat es auch etwas mit Empathie zu tun, dass Sie sich so offen zu Ihrer Scham bekennen?

Ich glaube, dass Empathie uns helfen kann, mit unserer Scham besser umzugehen statt sie wegzudrücken. Sobald ich darauf vertrauen kann, dass mir meine Umgebung empathisch begegnet, fällt es mir viel leichter, auch sehr schambesetzte Themen anzuschneiden. Wenn wir Empathie kultivieren, kann das helfen uns zu öffnen und einander zu verstehen.

*Noah Schöppl, 27, ist Trainer für Empathie und Konfliktlösung bei der Empathie Initiative und hat in England und den Niederlanden Sozialwissenschaften studiert. Er hat in Berlin das Sozialunternehmen «ProjectTogether» mitaufgebaut, das sich damit beschäftigt, auf gesellschaftlicher Ebene kollektive Zusammenarbeit zu ermöglichen. Er arbeitete als wissenschaftlicher Politikberater für europäische Institutionen, unter anderem im Deutschen Bundestag. Seit kurzem lebt und wirkt er in Zürich.

Workshop: Empathie Gemeinde Zollikon: Samstag, 3. Februar, Ortsmuseum Zollikon, 11 bis 17 Uhr, gratis für alle Teilnehmenden. Inhalt: Wie verbessern wir die Kultur des Zuhörens? Wie können wir miteinander statt gegeneinander Antworten auf unsere Herausforderungen finden? Weitere Infos unter diesem Link. Anmeldung per Mail an ortsmuseum@zollikon.ch.

WIR FREUEN UNS ÜBER IHREN KOMMENTAR

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

1 × vier =

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht