Ein Camilleri-Krimi mit Chaos, Küche und Komik

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Adrian Michael: «Italienische Krimireihen gibt es einige. Die bekannteste stammt vom Doyen der italienischen Kriminalromane Andrea Camil­leri (1925–2019) und dreht sich um den sizilianischen Kommissar Salvo Montalbano. 2022 erschien die deutsche Übersetzung der neusten (…) (1 Kommentar)

VON ADRIAN MICHAEL

Italienische Krimireihen gibt es einige. Die bekannteste stammt vom Doyen der italienischen Kriminalromane Andrea Camil­leri (1925–2019) und dreht sich um den sizilianischen Kommissar Salvo Montalbano. 2022 erschien die deutsche Übersetzung der neuesten Folge «L’altro capo del filo»: «Das Ende des Fadens».

Bevor die eigentliche Handlung einsetzt, widmet sich Camilleri den Flüchtlingen, die bei der fiktiven Kleinstadt Vigàta stranden. Der commissario und seine Leute sind überfordert von den tragischen Schicksalen wie der Geschichte eines 15-jährigen allein reisenden Jungen, eines von Schleppern vergewaltigten Mädchens und weiterer Men­schen, die sich den Helfern anvertrauen.

Doch die Sorge, dass sich Camilleri in politischen Betrachtungen verliert, ist unbegründet. Nach hundert Seiten beginnt der eigentliche Kriminalfall: Die allseits geschätzte Schneiderin Elena, bei der sich Montalbano auf Anordnung seiner Dauerverlobten Livia einen Anzug schneidern lassen muss, wird ermordet aufgefunden, erstochen mit ihrer Schere. Die Ermittler sind in jeder Geschichte dieselben. Neben Montalbano mit seinen oft unkonventionellen Methoden machen sich der Frauenheld Mimì Augello auf Verbrecherjagd, dazu Fazio mit seiner Vorliebe für persönliche Daten, der verhinderte Rennfahrer Gallo und der ungeschickte, aber gutmütige Catarella, der stets alles durcheinanderbringt.

Wie in allen Camilleri-Krimis hat das Essen auch diesmal einen grossen Stellenwert. Das Mittagessen geniesst der commissario in Enzos Restaurant, das Abendessen lässt er sich von seiner Haushälterin Adelina zubereiten. Der Gedanke liegt nahe, dass Montalbanos kulinarische Vorlieben wohl auch vom Autor geteilt werden.

Die Ermittlungen im Mordfall erweisen sich als schwierig, lange tappt Montalbano im Dunkeln. Zu Hilfe kommen ihm neben Intuition, Einfühlungsvermögen oft auch Gedankenfetzen, die wie Puzzleteile durch seinen Kopf schiessen. Diese zusammenzusetzen, erweist sich als anspruchsvoll, gelingt aber natürlich doch noch.

Liebevoll schildert Camilleri Situationen und Eigenheiten seiner Personen. Da ist die überfürsorgliche Mutter, die die Unschuld ihres (erwachsenen) Sohnes beteuert: «Mein Sohn ist unschuldig! Dottori, Sie müssen mir glauben, er ist unschul­dig! Als seine Mutter spüre ich es tief in meinem Herzen. Lillo, mein eigenes Fleisch und Blut, ist nicht imstande, etwas so Entsetz­liches zu tun! Mein Sohn würde sich eher selbst um­bringen als jemand anderen!»

Das Buch liest sich leicht und flüssig, die anfängliche Tragik wird durch komische Situationen mehr als ausgeglichen. Wie zum Beispiel, als Montalbano versucht, seine zu engen Jeans auszuziehen: «Er legte sich aufs Bett, zählte bis fünf, zog den Bauch ein und streifte die Jeans herunter zu den Schuhen, wo sie hängen blieb. Unter wilden Flüchen zog er die Schuhe aus, und sich verrenkend wie ein Fakir streifte er das eine Hosenbein ab, das sich dabei umstülpte. Er packte es und zog mit aller Kraft, fast wie beim Tauziehen, um das andere Hosenbein herunter zu bekommen. Dann endlich war er frei.»

Und zum Schluss noch mein Lieblingssatz: «Ihr Gesichtsausdruck war offen und heiter mit einem Lächeln wie ein angenehm weiches Kissen, in das man gern den Kopf sinken lässt, wenn man todmüde ist.»

Andrea Camil­leri: Das Ende des Fadens, Lübbe Verlag, 302 S.

Adrian Michael

Adrian Michael hat 37 Jahre lang an der Zolliker Primarschule unterrichtet. Seit 2017 ist er pensioniert. Nebst der Zolliker Lokalgeschichte gehört auch das Lesen zu seinen Steckenpferden.

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