Wenn der Koffer zum Feind wird
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27. Mai 2024 – Mein Laptop steht neben meinem Koffer. Der Koffer ist nämlich so klein, dass er auf meinen Esstisch passt. Und der ist auch nicht gross. Es ist ein Zwei-Tage-Koffer, ein kleiner Handgepäckskoffer, den ich aus dem Keller geholt habe, weil ich morgen für zwei Tage zu meinem Vater in die Berge fahre.
Mein Laptop steht neben meinem Koffer. Der Koffer ist nämlich so klein, dass er auf meinen Esstisch passt. Und der ist auch nicht gross. Es ist ein Zwei-Tage-Koffer, ein kleiner Handgepäckskoffer, den ich aus dem Keller geholt habe, weil ich morgen für zwei Tage zu meinem Vater in die Berge fahre.
Der Koffer blickt mich vorwurfsvoll an. Er hat, und das haben alle Koffer, eine ganz besonders unangenehme Ausstrahlung auf mich. Er versetzt mich in einen Zustand der Unbehaglichkeit. Wenn dieser kleine Koffer reden könnte, würde er wohl so etwas sagen wie: «Süss, wie du mich gepackt und dabei ganz fest probiert hast, alles einzupacken, was du brauchst. Aber bist du wirklich sicher, dass du das Richtige dabei hast? Oder fehlt da nicht doch noch eine kurze Hose oder eine Winterjacke? Man weiss ja nie…»
Worauf ich hinaus will: Packen ist für mich ein 100-Prozent-Job. Und ich arbeite 90 Prozent als Journalistin. Vor allem die Planung, was denn nun genau in meinen Koffer hineinsoll, ist für mich jedes Mal aufs Neue ein abend- bis tagesfüllendes Projekt.
Eigentlich läuft es immer gleich ab. Ich beginne gutgelaunt, Häufchen aus Kleidung zu bilden, die ich sicher brauche. Ein schwarzes T-Shirt, eine Jeans, Socken, Unterwäsche. Dann werfe ich einen Blick auf die Wetter-App, und schon beginnt das Theater. Die Kombination aus möglichen Aktivitäten, unterschiedlichem Wetter und der vor mir liegenden Kleiderauswahl lässt mich immer wieder aufs Neue zweifeln: Und wenn wir dann doch wandern? Oder mit einer Seilbahn auf einen Gipfel fahren, wo es sehr viel kälter sein wird? Oder mit Freunden baden gehen? Zu gross ist die Anzahl denkbarer Kleidervariationen, zu gross die Chance, bei der Auswahl zu scheitern. Wer kann denn auch mit hundertprozentiger Sicherheit voraussagen, welche Garderobe er brauchen wird?
Nicht dass Sie denken, dass ich völlig unstrukturiert an die Sache herangehe. Ich habe es mit Packlisten versucht, die decken aber leider nur die absoluten Notwendigkeiten ab. Schwarzes T-Shirt, Jeans, Socken, Unterwäsche, Ladekabel. Eine solche Liste ist gut am Ende der Übung, um sicherzugehen, dass man nichts Elementares vergessen hat. Aber für den Rest taugt sie nicht. Kofferpacken ist und bleibt eine monströse Aufgabe für mich.
Morgen muss ich um sechs Uhr raus, direkt zu meinem 90-Prozent-Job und dann ab in die Berge. Wenn ich bei meinem Vater angekommen bin und meinen Koffer öffne, werde ich wissen, ob sich der 100 Prozent-Einsatz gelohnt hat.
Olivia Eberhardt (geb. 1994) arbeitet als Redaktorin beim Online-Stadtmagazin «Züri Today». Sie bezeichnet sich als «Beobachterin mit feinen Antennen und dem Wunsch, die Essenz dieser Beobachtungen mit einem humoristischen Ansatz niederzuschreiben».