Gewalt nicht von, sondern an Jugendlichen

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11. November 2024 – Wie gewalttätig ist die heutige Jugend? Zeichnen aktuelle Medienberichte, aber auch Filme mit jungen, brutalen Protagonisten ein realistisches Bild? Die Mojuga Stiftung kommt zu einem differenzierteren Urteil, das überrascht und zum Nachdenken anregt. 

Jugendliche im Ausgang: Angst, angegriffen zu werden (Foto: Pixabay)
Jugendliche im Ausgang: Angst, angegriffen zu werden (Foto: Pixabay)

EIN BEITRAG DES MOJUGA-TEAMS

Wer über die Jugend liest, liest oft Schlechtes: Messerattacken, Prügelexzesse, Gewaltrausch. Man gewinnt den Eindruck, der heutigen Jugend sei jegliches Mitgefühl abhandengekommen. Diese Dinge geschehen, und sie geschehen viel zu oft. Doch die Leier, früher sei alles besser gewesen, ist auch in diesem Fall unangemessen. Mit dem Erscheinen der aktuellen Kriminalstatistik fegte die Schlagzeile durch den Blätterwald, die Jugendgewalt sei gestiegen. Tatsache ist, dass die Zahlen zwar im Vergleich zu 2015 leicht angestiegen sind, was sich aber durch das Bevölkerungswachstum zumindest relativiert.

Vergleicht man die Zahlen mit 2010, muss man sogar von einem Rückgang sprechen. «Eigentlich haben sich die Zahlen stabilisiert», konstatierte Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention der ZHAW, an der Fachtagung Jugendgewalt des Schweizer Instituts für Gewaltfragen im vergangenen Juli.

Was gestiegen ist, ist das Gefühl von Bedrohung unter den Jugendlichen, die sich zunehmend zur Verteidigung bewaffnen, wie eine Befragung in den von der MOJUGA Stiftung für Kinder- und Jugendförderung betriebenen Jugendhäusern zeigte. Gestiegen ist dieses Gefühl auch unter den Erwachsenen, deren Ruf nach härteren Strafen für jugendliche Gewaltstraftäter lauter wird.

Jugendliche als Opfer

Auch in Zollikon herrscht seit einigen Jahren eine Verunsicherung. Im Jugi erleben wir, dass Jugendliche deswegen zu uns kommen, weil sie sich hier sicher fühlen. Einmal stürmte eine Gruppe gehetzt herein, weil man sie unter Gewaltandrohung gezwungen hatte, die Handys herzuzeigen. Einmal erzählte ein Jugendlicher, man habe sein Fahrrad demoliert, und er fürchte, dass er als nächstes dran sei. Eine Jugendliche hatte Angst, abends vom Bus nach Hause zu laufen, weil sie von einem Mann bis vor die Haustür verfolgt werde.

Solche Geschichten sind zum Glück selten und beziehen sich auf Konflikte zwischen Einzelnen. Meist geht die Bedrohung von jungen Erwachsenen aus. Jugendgewalt meint in diesen Fällen nicht Gewalt von Jugendlichen sondern Gewalt gegen Jugendliche.

Waffen zur Verteidigung

Regelmässig tauschen wir uns mit der Gemeindepolizei über aktuelle Jugendentwicklungen in Zollikon aus. Die Jugendpolizistin Manuela Sereinig berichtet uns, dass auch sie in Zollikon keinen Anstieg von Gewalttaten Jugendlicher beobachtet. Das wachsende Bedrohungsgefühl stellt aber auch sie fest: Jugendliche, die nach Zürich in den Ausgang gehen, nähmen aus Angst vor Angriffen Messer und Pfeffersprays mit.

Während illegale Waffen oder der Situation nicht angemessene Gegenstände wie etwa Baseballschläger im Ausgang direkt eingezogen werden, sucht die Polizei in Fällen legaler Bewaffnung das Gespräch, wie Manuela Sereinig erklärt: «Wir raten immer davon ab, etwa ein Messer – auch wenn es legal ist – bei sich zu tragen, weil dadurch Konfliktsituationen erst recht gefährlich werden.»

Damit zeigt die Polizei die gleiche Haltung wie wir von der Offenen Jugendarbeit. Bewaffnete Jugendliche geraten nicht nur in gefährlichere Konflikte. Aus einem Gefühl falscher Sicherheit weichen sie ihnen tendenziell auch weniger aus.

Raum für Gespräche

In Gesprächen fokussieren wir darauf, herauszuhören, wie die Jugendlichen über Gewalt denken. Wenn wir Spannungen wahrnehmen, etwa dass manche Gruppen das Jugi verlassen, kaum trifft eine andere Gruppe ein, machen wir klar, dass hier alle willkommen sind und bieten unterschiedliche Aufenthaltsräume an. Dadurch entstehen Gespräche, die uns ein Bild über die jeweils aktuellen Konflikte ermöglichen.

Dabei stellen wir fest, dass bis auf ganz wenige Ausnahmen Jugendliche reflektiert und umsichtig sind. Obwohl durchaus an uns herangetragen wird, dass Jugendliche sich auch in Zollikon störend oder latent aggressiv verhalten, erleben wir sie im Jugi friedlich und anständig.

Vor allem aber sehen wir, dass unter ihnen grosse Loyalität und Hilfsbereitschaft herrschen und sie von sich aus Ruhe und Sicherheit suchen. Und das bemerken auch andere: Vom Chilbi-Organisationskomitee  erfuhren wir, dass sich mehrere Chilbibesucher explizit positiv über die freundlichen Jugendlichen geäussert hätten. Die Offene Jugendarbeit war dort mit einem Chillout-Zelt zugegen, wo erstaunlich viele Jugendliche das vergleichsweise unspektakuläre kreative Angebot wahrnahmen und uns dabei anvertrauten, was sie wirklich beschäftigt: Ihre Sorgen drehen sich um Freundschaften, Sexualität und Belästigung im Netz.

Kurz: Wir erleben die Jugendlichen vielmehr schutzbedürftig als bedrohlich, und wir wünschen uns, dass auch andere Erwachsene verstehen, dass sie unseren Schutz und nicht unsere Angst brauchen.

Alexandra Matulla (links), Nadja Staudenmaier und Michael Germann (Foto: zvg)
Alexandra Matulla (M.), Nadja Staudenmaier und Michael Germann (Foto: zvg)

Die MOJUGA Stiftung ist seit 2016 von der Gemeinde Zollikon mit der Jugendarbeit beauftragt. Alexandra Matulla ist Ansprechpartnerin für die Behörden. Nadja Staudenmaier und Michael Germann sind für die Jugendlichen da. Sie hören ihnen zu, unterstützen sie und werden deshalb auch bei Krisen ins Vertrauen gezogen. Informationen über das Team und die Angebote unter jugendarbeit-zollikon.ch

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