Ein realer Krimi für ein atemloses Publikum

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7. Dezember 2024 – Wie ist es möglich, bei einem Online-Betrug eine Million Franken zu verlieren? Gebannt folgte das zahlreiche Publikum im Café am Puls dem Gespräch, das Barbara Lukesch mit Ruth van de Gaer Sturzenegger führte. Fazit: so etwas kann jedem und jeder passieren.

Es war in der Zeit nach der Pandemie. Das Fitnessstudio von Ruth van de Gear wollte sich nicht richtig erholen. Da erhielt sie von einer Bekannten eine Nachricht: sie habe auf einer Tradingplattform 250 Franken investiert und nach kurzer Zeit 2700 Franken ausbezahlt bekommen – fast 1000 Prozent Gewinn in kürzester Zeit!

Ruth van de Gear zögerte, sie sei eigentlich ein sehr vorsichtiger Mensch. Doch was sie lockte, war «die Möglichkeit, die fehlenden Einnahmen meines Geschäfts in kurzer Zeit zu kompensieren und wieder sicheren Boden unter die Füsse zu bekommen». Sie überprüfte die Tradingfirma, beschaffte sich einen Handelsregister-Auszug, checkte im Internet, ob die Plattform auf einer schwarzen Liste stand – keine Probleme, alles schien in bester Ordnung.

«Also drückten Sie eines Tages auf den Link und zahlten 250 Franken ein?», erkundigte sich Barbara Lukesch. Nach langem Zögern habe sie das getan, worauf sich umgehend eine freundliche Frau  telefonisch bei bei ihr erkundigte, ob sie denn Erfahrung im Onlinetrading habe – «nein» – und was sie für einen Gewinn anstrebe? «Ich hätte nichts einzuwenden gegen eine Million», sagte Ruth van de Gaer. Diese scherzhaft gemeinte Äusserung sei ihr zum Verhängnis geworden: «Dadurch habe ich mich zu einem lohnenden Ziel gemacht.»

Daniel Mayo, der persönliche Berater

Bald meldete sich telefonisch ein Daniel Mayo, der sich als persönlicher Berater vorstellte. Sie habe im Netz ein Foto von ihm gesehen – Typ seriöser älterer Banker. Er habe ihr Charts von Rohstoff-Investments gezeigt, alles dokumentiert und nachvollziehbar. Die Bitte nach einem persönlichen Beratungsgespräch habe er allerdings abgewimmelt. Zuerst wolle er beweisen, dass er einen guten Job mache. Bald war Mayo drei bis vier Mal pro Tag am Telefon, um Ruth van de Gear von den sicheren Gewinnaussichten zu überzeugen – und sie zahlte ein.

Ihre Beträge erschienen sofort in ihrem Konto auf der Tradingplattform, und es wurden bald schon Gewinne angezeigt, was ihr Vertrauen stärkte. Einen Teil davon bekam sie sogar ausbezahlt – zunächst 2700 Franken wie ihre gute Bekannte –, also machte sie weiter. Sie investierte immer grössere Beträge in Rohstoffmärkte, die wegen des Ukrainekriegs besonders renditeträchtig schienen: 5000 Franken, später 50’000, 100’000, 250’000. Sie bewegte sich in einem Tunnel, dachte nur noch an den grossen Gewinn, der es ihr ermöglichen würde, sich und ihre Familie für die Zukunft abzusichern.

Die bittere Wahrheit

Schliesslich kam der Punkt, an dem sie aussteigen und ihre beachtlichen Gewinne realisieren wollte. Da hiess es plötzlich, das Kapital könne nur ausbezahlt werden, wenn sie zuvor weitere 100’000 Franken für die fälligen Gewinnsteuern einzahle. Das kam ihr zwar merkwürdig vor, aber sie überwies das Geld, um ihre Investitionen zu retten. Worauf ihr Mayo mitteilte, es sei eine zweite Steuertranche zu begleichen: noch einmal 100’000 Franken. Sie verschuldete sich bei ihrer Familie. Als die Forderung ein drittes Mal kam, realisierte sie, welch übles Spiel ihr persönlicher Berater trieb. Panik überkam sie und die Gewissheit, dass sie Betrügern aufgesessen war.

Barbara Lukesch gab ihrem Erstaunen Ausdruck, dass sie in ihrem Umfeld während der ganzen Investmentphase nie etwas erzählt habe. Über Geld zu reden, sei eine heikle Sache, erwiderte Van de Gaer: «Da spürt man sehr schnell Neid.»

Wie denn ihre Bekannten und Freunde auf das Desaster reagiert hätten? Der riesige Verlust sei das eine gewesen, die Reaktion ihrer Freunde und Bekannten das andere – die immergleichen Fragen aus allen Ecken: «Wie konntest du nur? Wie kann man so naiv sein? Wie kann man so viel Geld riskieren? War da nicht auch Gier im Spiel?» Dabei habe sie sich nur gewünscht, in den Arm genommen und getröstet zu werden. Sie habe sich doch selber die grössten Vorwürfe gemacht.

Freimütig erzählt Ruth van de Gaer, dass sie in jener Zeit zuweilen an Suizid gedacht habe. «Ich stand komplett am Abgrund, allein verlassen, fühlte mich als Nichtsnutz, schämte mich in Grund und Boden.» Viele Bekanntschaften seien in die Brüche gegangen. Sie selber sei gegenüber anderen toleranter geworden: «Ich habe mir Vorurteile und Bewertungen abgewöhnt.»

Kampf gegen den Absturz

Barbara Lukesch gelang es mit ihren einfühlsamen Fragen, aber auch kritischen Einwendungen die Hintergründe dieser aussergewöhnlichen Betrugsgeschichte und deren Folgen zu erhellen, ohne die Geschädigte blosszustellen. Wie sie sich denn wieder aufgerappelt habe?, wollte sie wissen.

Sie habe sich am Flughafen um eine Stelle beworben, sei um 3 Uhr nachts aufgestanden, habe mit der Arbeit um 5 Uhr begonnen – «einfach nur, um nicht vollends abzustürzen und mich ins Leben zurück zu kämpfen». Und sie habe sich entschieden, ihre Erlebnisse aufzuschreiben. Daraus ist das Buch «Nichts gegen eine Million» entstanden, «mein Weg durch die Tiefen des Online-Betrugs und die Rückeroberung des Selbstwertgefühls».

Mit Ayda Ergez gründete sie den gemeinnützigen Verein für Online-Betrugsgeschädigte «The Bright You». Sie bietet Talks an Schulen an, um junge Menschen für die Gefahren im Netz zu sensibilisieren. An ihren Selbsthilfe-Calls im geschützten Rahmen nehmen bis zu 40 Personen aller Berufsgruppen teil, darunter Banker, die sich im Onlinetrading auskennen und trotzdem in Fallen tappten. In den Gesprächen werde eines klar: «Es kann jedem und jeder passieren.»

Was wir alle beachten sollten

Was sie denn dem Publikum an alltäglichen Vorsichtsmassnahmen empfehle?, wollte Barbara Lukesch wissen. Wann immer eine fremde Nummer auf dem Telefondisplay erscheine «nicht abnehmen, sondern sofort wegdrücken», und wenn die Verbindung doch zustande komme, «keine Fragen beantworten, schon gar nicht, wenn es um finanzielle Dinge geht».

Auf die letzte Frage – wie es ihr heute gehe – gab Ruth van de Gear Sturzenegger eine überraschende Antwort: «Zweieinhalb Jahre nach dem Onlinebetrug habe ich immer noch Hochs und Tiefs, aber alles in allem bin ich glücklicher und zufriedener denn je.» (René Staubli)

«The Bright You» – Verein für Onlinebetrugs-Geschädigte

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