Tempo 30 und die politische Realität
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22. Januar 2025 – Dem Zolliker Immobilien-Unternehmer Urs Ledermann schwebt eine Gemeinde vor, die sich stärker um die Sicherheit und das Wohl der Bevölkerung kümmert. Seine Vision: Tempo 30 auf allen Durchgangsstrassen. Sein Druckmittel: 1000 MitbürgerInnen. Was kann er bewegen? (4 Kommentare)
22. Januar 2025 – Dem Zolliker Immobilien-Unternehmer Urs Ledermann schwebt eine Gemeinde vor, die sich stärker um die Sicherheit und das Wohl der Bevölkerung kümmert. Seine Vision: Tempo 30 auf allen Durchgangsstrassen. Sein Druckmittel: 1000 MitbürgerInnen. Was kann er bewegen?
VON RENE STAUBLI
Das Treffen mit Urs Ledermann findet am 6. Januar an der Zollikerstrasse 65 in den Räumlichkeiten der Ledermann Holding statt. Im Gespräch geht es um den stark zunehmenden Durchgangsverkehr in Zollikon, die Sicherheit der Verkehrsteilnehmenden sowie um die Lärmbelästigung von Anwohnerinnen und Anwohnern. Ledermann betont, dass er kein Einzelkämpfer sei, sondern Teil einer immer grösser werdenden, unzufriedenen Gruppe von Betroffenen.
Einen Tag später, am 7. Januar, soll morgens um 8 Uhr eine richtungsweisende Sitzung mit dem Gemeinderat stattfinden. Ledermann freut sich auf das Gespräch mit Gemeindepräsident Sascha Ullmann und dem für den Verkehr zuständigen Gemeinderat André Müller. Er rechne «mit einem Durchbruch», sagt er optimistisch, «ich bin sicher, dass wir in unserem Kampf einen bedeutenden Schritt weiterkommen.»
Ledermanns Bewegung möchte den Verkehr auf allen Durchgangsstrassen auf Tempo 30 reduzieren – nicht mit bauintensiven 30er-Zonen und Schlängelverkehr wie an der Zumiker Strasse, sondern mit einer unveränderten Verkehrsführung: «Einfach Tempo 30 statt Tempo 50.»
Zollikon würde mit dieser Massnahme den umliegenden Gemeinden eine starke Message senden, sagt der Unternehmer: «Wir nehmen den anschwellenden Autoverkehr nicht länger schicksalsergeben hin, sondern tun etwas für die Lebensqualität unserer Bevölkerung und die Attraktivität unserer Wohngemeinde.»
Die konkreten Schritte
Sein Konzept – auf der Karte mit roten Punkten visualisiert – umfasst folgende Massnahmen:
Tempo 30 auf der Bergstrasse von der Forchstrasse bis zum Dufourplatz.
Tempo 30 auf der Rotfluhstrasse bis zur Zürcher Stadtgrenze.
Tempo 30 auf der Dufourstrasse vom Dufourplatz bis zur Zürcher Stadtgrenze.
Tempo 30 auf der Bahnhofstrasse vom Dufourplatz bis zur Einmündung in die Seestrasse.
Tempo 30 auf der Zollikerstrasse vom Dufourplatz bis zur Küsnachter Gemeindegrenze.
Beibehaltung von Tempo 30 auf der Zollikerstrasse vom Dufourplatz bis zur Stadtgrenze.
Beibehaltung von Tempo 30 auf der Zumiker Strasse (ab Gemeindegrenze Küsnacht).
Beibehaltung von Tempo 30 auf den Zolliker Quartierstrassen (z.B. Höhestrasse, Witellikerstrasse usw.).
Der als «König des Seefelds» bekannt gewordene Immobilien-Unternehmer verspricht sich von dieser flächendeckenden Lösung mehrere positive Effekte: Die verlangsamte Verkehrsführung würde viele Autofahrer dazu animieren, auf den ÖV umzusteigen. Die Velofahrer müssten nicht mehr um Ihre Sicherheit fürchten, wenn sie von Autos oder vom Bus überholt werden. Auf den Zolliker Strassen käme es zu weniger Unfällen mit weniger schwerwiegenden Folgen. Die Anwohner müssten endlich weniger Lärm erdulden, wie es das Gesetz ja auch ausdrücklich verlangt. Die Lebensqualität im Dorf würde sich generell verbessern. Durch die Signalisierung von Tempo 30 auf sämtlichen Hauptachsen entstünde kein Ausweich- und Schleichverkehr; niemand würde benachteiligt.
Zu Ledermanns Delegation für die Aussprache mit dem Gemeinderat gehören ein Anwalt und mehrere Vertreter der Zolliker Interessengemeinschaften, von denen es inzwischen ein halbes Dutzend gibt: IG Dufourstrasse, IG Bahnhofstrasse, IG Zollikerstrasse, IG Zumiker Strasse, IG Bergstrasse und IG Rotfluhstrasse. Ledermann hatte sie Ende letzten Jahres davon überzeugt, die Kräfte zu bündeln: «Wir vertreten inzwischen rund 1000 Anwohnerinnen und Anwohner, und eines ist klar: es brodelt mächtig in der betroffenen Bevölkerung.»
Viele seien wütend, dass ihnen der Gemeinderat seit Jahren nicht zuhöre und untätig bleibe. «Wünsche werden einfach ignoriert», sagt Ledermann, «man hat das Gefühl, dass unseren Gemeinderäten irgendwie die Liebe zur eigenen Gemeinde fehlt, das Herz und der Wille, für das Wohlbefinden der vom Strassenlärm immer stärker betroffenen Bevölkerung etwas zu tun».
Er habe diese Erfahrung selber machen müssen. Der Gemeinderat habe lange Zeit ablehnend auf seine Forderung nach einer Verkehrsberuhigung der Bahnhofstrasse reagiert – «eine Rennbahn mit viel gefährlichem Lastwagenverkehr». Die Behörden hätten die Einführung von Tempo 30 auf dieser Gemeindestrasse mit dem schnöden Verweis auf bestehende Tempomessungen, Lärmerhebungen und einer Unfallauswertung abgelehnt.
Das liess sich Ledermann nicht gefallen. Er rekurrierte zunächst beim Bezirksrat – erfolglos – und gelangte dann ans Verwaltungsgericht, das ihm recht gab. Es wies die Gemeinde an, die Lärm- und Unfallsituation an der Bahnhofstrasse genauer zu überprüfen. Der Bericht liegt inzwischen vor, ist aber noch nicht öffentlich zugänglich.
Die Politik als hohe Hürde
7. Januar, 13.30 Uhr, nur wenige Stunden nach der Sitzung, Anruf bei Ledermann. Der Unternehmer wirkt weniger optimistisch als am Vortag. Er führt zunächst aus, dass die beiden Gemeinderäte von der Grösse der Delegation beeindruckt und vom aufgestauten Unmut in der Bevölkerung überrascht gewesen seien. Zu den Ergebnissen des Gesprächs könne er aber noch nichts sagen.
Schon am Vortag war aufgefallen, dass der an Tempo und wirtschaftlichen Erfolg gewöhnte Macher die Zähigkeit und die starren Regeln des Politbetriebs möglicherweise unterschätzt. Etwa, dass es der Kanton ist, der bei der Bergstrasse, der Rotfluhstrasse, der Dufourstrasse, der Zollikerstrasse und der Alten Landstrasse Richtung Küsnacht – alles Kantonsstrassen – am längeren Hebel sitzt als die Gemeinde. Oder der Umstand, dass die Gemeinde sogar einfache Signalisationsänderungen auf «ihrer» Bahnhofstrasse und «ihrer» Zumiker Strasse mit der Kantonspolizei absprechen muss. Und das ist noch längst nicht alles.
Bürgerliche Politiker sind dezidiert gegen Tempo 30 auf Kantonsstrassen innerorts. Sie haben unter anderem die Mobilitätsinitiative lanciert, um den Gemeinden solche Alleingänge zu verbieten. Der Kantonsrat wird am 14. April über die Vorlage abstimmen, die Bevölkerung noch in diesem Jahr. Bei einem Ja wären den Gemeinden die Hände endgültig gebunden.
Die bürgerlichen Befürworter wissen den Regierungsrat hinter sich, der dem Kantonsrat beantragt hat, die Mobilitätsinitiative anzunehmen. «Die Regierung steht hinter der Verkehrsberuhigung in den Quartieren», liess sich die Volkswirtschafts-Direktorin Carmen Walker Späh (FDP) im März verlauten. Doch auf den Hauptverkehrsachsen müsse der Verkehr fliessen können, das sei von grosser Bedeutung für das Gewerbe, die Volkwirtschaft, die Attraktivität des ÖV und für die Blaulichtorganisationen. Ausnahmen sollen nur auf kurzen Strecken möglich sein: beispielsweise in Orts- und Quartierzentren oder in der Nähe von Schulen oder Spitälern.
Ledermann kann dieser Argumentation nur wenig abgewinnen. Er habe über Jahre grosse Gewerbefirmen geleitet. Der langsamer fliessende Verkehr in Tempo 30-Zonen sei nie ein Problem gewesen.
«Konstruktives Gespräch»
Gestern Dienstag versandten die Interessengemeinschaften eine Medienmitteilung. Man habe mit den beiden Gemeinderäten am 7. Januar in einem konstruktiven Gespräch über «die teils massive Gefährdung von Verkehrsteilnehmenden auf verschiedenen Zolliker Strassenabschnitten, die Lärmbelastung, die teils flächendeckende Einführung von Tempo 30 in Nachbargemeinden wie Zürich, Küsnacht oder Erlenbach, den Anschluss an die bestehende Veloschnellroute der Stadt Zürich sowie die Möglichkeit einer Geschwindigkeitsreduktion auf Tempo 30 auf Gemeinde- und Kantonsstrassen unter Einbezug des öffentlichen Verkehrs» diskutiert.
Den Interessengruppierungen liege «die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden, insbesondere der Schulkinder und anderer Fussgängerinnen und Fussgänger bei der Querung stark befahrener Strassen sowie der Velofahrenden entlang dieser Routen und ein flüssiger, lärmarmer Verkehr am Herzen». Tempo-30-Strecken mit gleichbleibenden Verkehrsregeln seien zur Erreichung dieser Ziele «eine kostengünstige Massnahme, die dazu beiträgt, dass Zollikon eine Wohngemeinde bleibt und nicht zu einem verkehrsorientierten Durchgangsort verkommt».
Gemeinde soll bei der Kapo intervenieren
Aktuell gibt die anstehende Sanierung der Zollikerstrasse zwischen Dufourplatz und Alte Landstrasse zu reden. Die Anwohnerinnen und Anwohner bemängeln, dass der Kanton der Lärmreduktion und der Sicherheit, auch für die Schulkinder, zu wenig Beachtung schenke. Sie haben den Gemeinderat deshalb ersucht, bei der Kantonspolizei die Erstellung eines Gutachtens anzufordern und in dessen Gefolge die Einführung von Tempo 30 aus Gründen der Verkehrssicherheit und der regionalen Koordination des Strassennetzes.
Die Interessengruppen gehen davon aus, dass der Gemeinderat dieses Thema an seiner nächsten Sitzung im Februar behandeln wird. Was dabei herauskomme, bestimme das weitere Vorgehen, heisst es in der Medienmitteilung. Ledermann könnte sich je nach Ergebnis durchaus auch einen Vorstoss in Form einer Einzelinitiative vorstellen.
Seitens der Gemeinde heisst es, an der Sitzung vom 7. Januar sei es zu einem «offenen, wertvollen Austausch» mit den VertreterInnen der Interessengruppen gekommen: «Die gegenseitigen Erwartungshaltungen und Zuständigkeiten konnten offen diskutiert und angeschaut werden.» Der Gemeinderat werde das Gesuch der AnwohnerInnen an einer seiner nächsten Sitzungen behandeln und dann kommunizieren.
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Wir sind öfters in London und geniessen es, dass die Stadt relativ ruhig ist. Auf stark befahrenen Strassen – samt Autobussen – gilt Tempo 20 (!), und es funktioniert. Im Übrigen entsteht schon der Eindruck, dass sich der Gemeinderat nicht sonderlich beherzt für das Wohl der Einwohner einsetzt – siehe z.B. Buslinie 910.
Ich bin mit dem Ansinnen des Zollikers U. Ledermann überhaupt nicht einverstanden. Soll bald jede IG Wünsche anbringen und letztlich ihre Interessen durchsetzen können? Regiert das Geld in Zollikon? Sind wir total dem Egoismus, dem Eigenutz verfallen? Ich hätte gerne einen Fussgängerstreifen ab Gartentor auf bzw. über die Strasse, fühle mich aufgrund der bestehenden Situation ständig in Gefahr. Das ist zwar wahr, aber ich stelle deswegen sicher keinen Antrag an die Gemeinde. Nein, Herr Ledermann, hören Sie auf, Machtpolitik zu betreiben. Das erzürnt wirklich. Sind Sie auch der Meinung, dass an diversen Stellen die neusten mobilen schwarzen Blitzkästen, selbst auf Privatgrund, aufgestellt werden? OMG, das muss aufhören! Wir vermiesen uns gegenseitig das Leben. Sicherheit und Verkehrsberuhigung ja, aber mit Augenmass und Toleranz.
Finde ich eine gute Sache. Aber Schwellen wären leider auch nötig an gewissen neuralgischen Stellen wie beim Dufourplatz-Kreisel, da viele Autofahrer die Fussgängerstreifen ignorieren, was vor allem für die Schulkinder gefährlich ist.
MIr chönd ja zrugg wie vor 100 Jahr mit Pferd und Kutsche fahre. Bin au für 30er-Zone, aber i dä Quartierstrasse.