Wo ist mein Platz auf dieser Welt?
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29. April 2025 – Viele Erwachsene ärgern sich über verschmierte Hauswände; Jugendliche hingegen lieben Sprayereien, mit denen sie ihren Anspruch auf eigenen Platz in dieser Welt kundtun. Wie setzen die Zolliker Jugendlichen ihr Bedürfnis nach selbstbestimmtem Raum um?

EIN BEITRAG DES MOJUGA-TEAMS
Erinnern Sie sich an Ihre erste eigene Wohnung? Jedes Möbelstück, jedes Accessoire, jedes Bild und selbst die mehr oder weniger chaotische Haushaltsführung waren ein Statement der eigenen Persönlichkeit und der Abgrenzung gegenüber dem Elternhaus. Ein Wahnsinnsgefühl, ein Reich zu besitzen, in dem man tun und lässt, was man will und darüber bestimmen kann, was andere hier tun oder zumindest zu lassen haben.
Bis zu diesem Zeitpunkt erleben Menschen Raum völlig anders. Selbst wenn Kinder ein eigenes Zimmer haben, sind sie weit davon entfernt, selbst darüber zu bestimmen. Die Möbel haben meist die Eltern ausgewählt und wenn etwas Selbstgewähltes darunter war, musste es zumindest von den Finanzierenden abgesegnet werden. Die Ordnung war ein ständiges Streitthema – man sollte zwar selbst aufräumen und putzen, durfte aber nicht selbst entscheiden, wie oft und wie gründlich.
Platz einnehmen
Jugendliche sind auf dem Weg in die Eigenständigkeit und entwickeln dabei das Bedürfnis, ihren Platz in der Welt einzunehmen – nicht nur als vage Idee, sondern ganz konkret. Sie drücken dieses Bedürfnis aus, indem sie Spuren hinterlassen: eingeritzte Namen von Fussballklubs und Polizeibeschimpfung auf Ruhebänken, Abfall an vielgenutzten Orten, Stickers an Wänden und gesprayte Schriftzüge an Tafeln. Was als Ausdruck von Langeweile oder gar Boshaftigkeit interpretiert werde könnte, lässt sich auch als Botschaft deuten: Hier waren wir, das ist unser Platz, hier machen wir, was wir wollen.
Was für Erwachsene ein Ärgernis darstellt, verschafft Jugendlichen Befriedigung. Indem sie Orte im öffentlichen Raum markieren, machen sie sie sich zu eigen. Und jedes Mal, wenn sie wieder daran vorbeikommen, erleben sie die Bestätigung, dass sie hierhingehören.
Ein Jugendhaus der Offenen Jugendarbeit wird diesem Bedürfnis von Grund auf gerecht: Es ist geradezu erwünscht, dass Jugendliche sich die Räume zu eigen machen, dass sie sie nach ihren Wünschen möblieren, die Spielangebote bestimmen, Wände bemalen, dass sie ihre Zeit im Jugi nutzen, wie sie wollen, und dass sie eigene Ideen umsetzen.
Wenig Vandalismus
In Zollikon halten sich jugendliche Spuren im öffentlichen Raum seit einigen Monaten in Grenzen. Ob Jugendliche das Bedürfnis nach eigenem Raum hier derzeit weniger empfinden als anderswo, ob sie es überdurchschnittlich oft zu Hause ausleben können, ob sie sich aufgrund von Videoüberwachungen weniger trauen oder ob sie einfach weniger darauf pochen, es ausdrücken zu können, darüber können wir nur spekulieren.
In Gesprächen offenbaren sie, dass sie Sprayen cool finden, es selbst aber nicht tun. Entsprechende Angebote der Offenen Jugendarbeit nehmen sie kaum an. Workshops scheitern an mangelnder Teilnahme, die Sprayerwand, die eine Zeit lang intensiv in Anspruch genommen wurde, steht seit Längerem ungenutzt im Garten des Jugendhauses.
Anders sieht es mit Tagging aus: Im Gegensatz zu kunstvollen Graffitis handelt es sich hierbei um eilig mit wasserfesten Filzstiften hingekritzelte Namen, Sprüche, Zeichnungen. Im Jugi steht den Jugendlichen dafür eine Wand zur Verfügung. Sie erzählt von Liebe, Herzschmerz und Freundschaft. Einzig diskriminierende und beleidigende Aussagen und Symbole sind untersagt. Entdecken wir entsprechende Spuren, übermalen wir sie.
Beziehung statt Erziehung
Um zu vermeiden, dass sich Spuren jugendlicher Suche nach dem eigenen Platz über die Wand und das Jugi hinaus in den öffentlichen Raum ausbreiten, geben wir immer nur zwei Stifte aufs Mal heraus und sorgen dafür, dass sie wieder zu uns zurückkommen.
Während viele Angebote der Offenen Jugendarbeit darauf abzielen, mit Jugendlichen über ihre Befindlichkeit oder problematische Verhaltensweisen ins Gespräch zu kommen, steht diese Absicht hier nicht im Vordergrund. Umso mehr berührt es uns, wenn Jugendliche uns holen, um uns zu zeigen, was sie gemalt oder geschrieben haben, weil sie die Möglichkeit sehen, uns auf diese Weise ins Vertrauen zu ziehen.

Die MOJUGA Stiftung ist seit 2016 von der Gemeinde Zollikon mit der Jugendarbeit beauftragt. Alexandra Matulla ist Ansprechpartnerin für die Behörden. Nadja Staudenmaier und Michael Germann sind für die Jugendlichen da. Sie hören ihnen zu, unterstützen sie und werden deshalb auch bei Krisen ins Vertrauen gezogen. Informationen über das Team und die Angebote unter jugendarbeit-zollikon.ch