Leiter Bildung – und Gemeindepräsident in Maur?
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12. Mai 2022 – Urs Rechsteiner hat bei der Schule Zollikon einen 100%-Job als Leiter Bildung. Nun will er sich auch noch zum Gemeindepräsidenten von Maur wählen lassen (50-60%). Er übt eine Reihe von Nebenbeschäftigungen aus und hat eine Familie mit drei halbwüchsigen Kindern – geht das?
Kürzlich sagte Corinne Hoss-Blatter im Interview mit den «ZollikerNews», sie habe als Schulpräsidentin ein 70-80%-Pensum geleistet – und fügte hinzu: «Dass dieser Aufwand erforderlich ist, zeigt sich daran, dass Urs Rechsteiner, unser Leiter Bildung, ein volles Pensum hat und ausgelastet ist.»
Umso erstaunlicher, dass sich Rechsteiner am Wochenende nun auch noch zum Gemeindepräsidenten von Maur wählen lassen will. Der Amtsinhaber Roland Humm (SVP) schaffte es im ersten Wahlgang nicht mehr in die Exekutive. Rechsteiner (Die Mitte) und Yves Keller (FDP), die sich ebenfalls ums Präsidium bewarben, verpassten das absolute Mehr und müssen noch einmal antreten.
Maur, zu dem auch die Ortsteile Ebmatingen, Forch, Binz, Aesch und Uessikon gehören, kommuniziert die Belastung und Entschädigung des Präsidenten so: Ungefährer Zeitaufwand pro Jahr 800-1200 Stunden. Ca. 25 Gemeinderatssitzungen pro Jahr. Pauschalentschädigung plus Funktionszulagen 68’000 Fr. pro Jahr (inkl. Sitzungsgelder).
Der Kandidat war in den vergangenen Wochen in der ganzen Gemeinde mit Plakaten präsent und versprach den Stimmbürgern einen Präsidenten, der Brücken bauen und verständnisvoll zuhören könne, sich dann aber «ebenso tatkräftig wie kompetent» ans Werk mache und «im Bedarfsfall auch Führungsstärke beweist und Verantwortung übernimmt».
Rechsteiner ist nicht nur Leiter Bildung an der Schule Zollikon, Gemeinderat von Maur und vielleicht bald dessen Präsident. Er engagiert sich nebenamtlich in weiteren Gremien:
- Als Präsident der 1979 gegründeten Olga Mayenfisch Stiftung, deren Zweck in der Förderung der medizinischen Forschung sowie der Ausrichtung karitativer Unterstützungen in der Schweiz liegt.
- Als Präsident der Schulkommission des Realgymnasiums Rämibühl, die als Aufsichtsorgan unter anderem für die Ernennung von unbefristet angestellten Lehrpersonen und deren Leistungsbeurteilung zuständig ist.
- Als Mitglied und Zugführer der Zunft Schwamendingen.
- Als Co-Präsident der Zürcherischen Pestalozzistiftung, die in Knonau ein Schulinternat für Knaben führt, welche in der Regelschule nicht mehr tragbar sind.
Die Fragen nach der familiären Kompatibilität eines so umfangreichen Portefeuilles stellt man normalerweise nur Frauen in Führungspositionen. Wir tun das gerne auch bei einem Mann:
Herr Rechsteiner, Sie sind verheiratet, haben drei halbwüchsige Kinder, spielen Tennis im TC Maur, Unihockey und fahren gern Ski. Wie können Sie Ihre beruflichen und nebenberuflichen Tätigkeiten mit den familiären Beanspruchungen verbinden?
Rechsteiner: «Dies gelingt seit vielen Jahren gut, benötigt aber ein austariertes System zu Hause – dank meiner Frau (welche ebenfalls arbeitstätig ist) und unseren mittlerweile schon recht selbständigen Kindern geht das gut.»
Vielfältiger Aufgabenbereich
Dem Geschäftsbericht des Zolliker Gemeinderats 2021 ist zu entnehmen, dass der Leiter Bildung die Informationstechnologie der Schule verantwortet und zuständig ist «für das Budget, die Kommunikation, die übergeordnete Weiterentwicklung, Qualitätssicherung und Weiterbildungsplanung der gesamten Schule, die Personalführung der Schulleitungen, Leitungen der Betreuungshäuser und Schulsozialarbeitenden, für die Finanzen sowie die Beratung und Unterstützung der Schulpflege».
Zusammen mit dem Präsidium der Schulpflege und der Leitung der Schulverwaltung bildet er die Geschäftsleitung der Schule. Laut Angaben der Gemeinde hat sich dieses Gremium im vergangenen Jahr zu 19 Sitzungen getroffen und dabei 358 Geschäfte behandelt. Die Schulpflege hatte 11 Sitzungen mit 130 Geschäften. Beide Angaben sind ohne Klausur gezählt.
Rechsteiner wird entsprechend entlöhnt. Im Bericht zu Handen der Gemeindeversammlung vor seiner Anstellung kann man nachlesen, dass ein Leiter Bildung «in der Lohnklasse 10, ab Stufe 10» einzuteilen sei. Gemäss kommunalem Lohnreglement sei somit ab Schuljahr 2021/2022 mit jährlichen Personalkosten zwischen 150’000 Franken bis 170’000 Franken (exkl. ca. 20% Sozialleistungen) zu rechnen.
Leitende Positionen ab 15
Was sagt der Leiter Bildung zu seiner bemerkenswerten Schaffenskraft? Unsere Fragen beantwortete er schriftlich, da tagsüber in der von uns angefragten Zeitspanne kein Interviewtermin möglich war:
Herr Rechsteiner, Sie haben eine 100%-Anstellung als Leiter Bildung mit einem weit gefächerten Aufgabenbereich. Wir haben den Eindruck, dass man mit einem solchen Job voll ausgelastet ist. Wie sehen Sie das?
Ein 100%-Job lastet einen zu 100% aus. Das entspricht einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 45 bis 50 Stunden.
Könnten Sie im Falle einer Wahl zum Präsidenten des Gemeinderats von Maur beide Aufgaben bewältigen – den 100%-Job in Zollikon und den 60%-Job in Maur?
Ja. Das Schweizer Polit-System baut stark auf das Miliz-Prinzip auf: die Bürgerinnen und Bürger sollen sich selber aktiv in die Weiterentwicklung ihrer Gemeinde, ihres Kantons oder des Bundes einbringen. Dies inkludiert, dass Personen, welche sich für solche Miliz-Ämter zur Verfügung stellen, zeitlich mehr leisten müssen als jene, welche das nicht tun möchten. Ich war in den vergangenen 8 Jahren (und auch schon vorher) hierzu bereit und werde es auch in den kommenden 4 Jahren sein. Sei es als Gemeinderat oder als Gemeindepräsident.
Lassen sich aus Ihrer Sicht alle Tätigkeiten inklusive Nebenbeschäftigungen unter einen Hut bringen, oder würden Sie im Fall einer Wahl Abstriche machen?
Hier möchte ich etwas weiter ausholen. Schon seit Jugendzeit an war ich es gewohnt, mehr zu tun als andere in meinem Alter. Bei Blauring & Jungwacht, beim Turnverein, bei der Ministrantengruppe der Kirche: bei all diesen Institutionen war ich ab 15 Jahren mit leitenden Positionen betraut worden. Später kam das Militär dazu, bei welchem ich als Major ebenfalls deutlich mehr Diensttage leistete als andere. Zwischen 2007 und 2011 habe ich im Gemeinderat der Stadt Zürich mitgewirkt. Meine zwei ehrenamtlichen Engagements im Realgymnasium Rämibühl und in der Pestalozzistiftung füllen meine Arbeitswoche im Jahresdurchschnitt mit gut 30% aus, was rund 600 Stunden entspricht. Aus diesen beiden Gremien würde ich im Falle einer Wahl austreten. Mit dem Wegfall dieser beiden Engagements kann ich die zeitliche Mehrbelastung, welche das Gemeindepräsidium mit sich bringen würde, 1:1 auffangen. Denn das jetzige Gemeinderatsmandat entspricht ebenfalls gut 30%. Das Zusammenführen der zeitlichen Engagements brächte auch einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: sie verteilen sich dann auf die Gemeinden Zollikon und Maur und nicht mehr auf Zollikon, Maur, Stadt Zürich und Knonau.
Welche Vorteile bringen Ihnen und der Gemeinde Zollikon diese vielfältigen Tätigkeiten?
Die Engagements im schulischen Umfeld (Realgymnasium und Zürcherische Pestalozzistiftung) erweitern meinen persönlichen, aber auch beruflichen Horizont. Die Gemeinde Zollikon profitiert bei der externen Sonderschulung von meinen langjährigen Erfahrungen, welche ich durch meine Tätigkeit im Schulheim Knonau erfahren habe, und durch mein Engagement am Realgymnasium habe ich vor allem den Fokus darauf, was die Gymnasien von den Primar- und Sekundarschulen erwarten. Bei beiden Tätigkeiten kommen selbstverständlich auch immer wieder personalrechtliche Themen auf mich zu, welche mir in meiner Arbeit als Leiter Bildung ebenfalls zugutekommen.
Die Gemeinde Zollikon hat ein Interesse daran, dass der Leiter Bildung seinen Aufgaben längerfristig nachkommt und nicht infolge übermässiger Beanspruchung «ausbrennt». Können Sie die Öffentlichkeit diesbezüglich beruhigen?
Ja, das kann ich. Ich habe genug Momente, in welchen ich ausspannen kann, und ich habe noch nie Probleme gedanklich «mit nach Hause genommen». Zu Hause kann ich abschalten. (rs)