Die Angst vor der weissen Leinwand
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19. Mai 2022 – Die 83-jährige Rita Cedraschi zeigt im Gemeindehaus Fällanden eine Werkschau, in der sie 67 Bilder aus ihrem mehr als 40-jährigen Schaffen präsentiert. Ein Besuch in der Ausstellung mit der Künstlerin, die auf keinen Fall so genannt werden möchte. (1 Kommentar)
19. Mai 2022 – Die 83-jährige Rita Cedraschi zeigt im Gemeindehaus Fällanden eine Werkschau, in der sie 67 Bilder aus ihrem mehr als 40-jährigen Schaffen präsentiert. Ein Besuch in der Ausstellung mit der Künstlerin, die auf keinen Fall so genannt werden möchte.
Rita Cedraschi hat Energie für drei. Als sie erfährt, dass sich der Heimatschutz eines wunderbaren, alten Hauses in Zollikon angenommen hat, das dem Abbruch geweiht schien, ballt sie die Faust wie ein Fussballer, der ein Tor geschossen hat: «Yes!» 83 Jahre – und kein bisschen leise. Die Zürcherin mit italienischen Wurzeln stellt mit ihrem Temperament viele Jüngere locker in den Schatten.
Dass es überhaupt gelungen ist, mit ihr innert nützlicher Frist ein Treffen abzumachen, grenzt schon fast an ein Wunder. Ihre Agenda ist übersät mit Terminen. Sie seufzt: «Ich mache zu viel, ich weiss.»
So ist sie Mitglied eines Literaturzirkels, singt in einem Chor, turnt im Verein, leistet Fahrdienst für Senioren, unterstützt einen halben Tag pro Woche eine Zolliker Primarlehrerin als «Grossmutter im Klassenzimmer», hat eine riesige Familie, mit der sie viel Kontakt hat, viele Freunde und Freundinnen, liebt Konzerte, Theater und Kino. Uff – ja, und dann malt sie ja auch noch.
«Ich will niemanden verstören»
Ihre aktuelle Ausstellung im Gemeindehaus Fällanden ist denn auch der Anlass, um sie zu einem Gespräch zu treffen. Wir beschliessen, uns gemeinsam ihre Werkschau anzusehen, die aus 67 Bildern besteht. Diese Auslese, die sie aus ihrem mehr als 40-jährigen Schaffen zusammengestellt hat, tut dem Amtshaus, das genauso steril wirkt wie jedes andere Amtshaus auch, richtig gut. Die Bilder schmücken den Eingangsbereich und verschiedene Gänge. Auf halbem Weg zum ersten Stock hat sie allein 12 ihrer Werke an einer Riesenwand platzieren können. Sie nennt sie «meine Wand» – und man spürt ihren Stolz über die gelungene Präsentation.
«Künstlerin» will sie trotzdem nicht genannt werden. Dazu fehle ihr das politische Engagement und der Wille, etwas zu verändern. Ihr Ziel sei es, etwas Schönes zu gestalten, das den Menschen, aber auch ihr selber Freude bereite und gefalle: «Ich male nichts Hässliches und will auch niemanden verstören.»
Bei der Wahl ihrer Sujets lasse sie sich stark von Szenen und Eindrücken leiten, die sie in der Natur gewinne, von Bildern aus ihrer Umgebung. Sie erinnere sich an eine Velotour in der Toscana, nach der sie voller Ideen nach Hause zurückgekehrt sei. Landschaften, abstrakte Kompositionen, das eine oder andere Stilleben wie eine Schale mit Früchten, aber nur selten Figuren finden sich auf ihren Bildern, die sie fast ausschliesslich mit Acryl auf Leinwand malt.
Sie reagiere intensiv auf Formen, erzählt sie, aber auch auf Licht-Schatten-Spiele. Ihre Farbwahl falle deutlich zugunsten erdiger, eher pastelliger, zurückhaltender Töne aus. Klar, greife sie auch mal zum kräftigen Blau oder zum starken Rot. Aber mit ungemischten, satten Farben habe sie sich bisher nicht richtig anfreunden können: «Zukunftsmusik», lacht sie, «ich plane mich stärker an Kandinski und seinen grellen Farbtönen auszurichten.» Nicht dass sie sich mit ihm vergleiche, ergänzt sie augenblicklich und fast ein bisschen peinlich berührt, aber sie möge sein Werk sehr.
Schaffenskrise im Lockdown
Mit dem Beginn der Pandemie und dem Lockdown erlebte sie dann aber etwas, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Voller Vorfreude auf eine Zeit, in der sie gezwungenermassen auf die meisten ihrer Aktivitäten verzichten musste, wollte sie die Gelegenheit nutzen und mehr malen. Sie hatte sich extra mit zusätzlichen Pinseln und Farben eingedeckt. Doch kaum stand das gesellschaftliche Leben still, traf sie eine gehörige Schaffenskrise: «Mir waren die Ideen ausgegangen.» Sie habe das Gefühl gehabt, «leer und ausgemalt» zu sein.
Der Zustand halte bis heute an, räumt sie ein, und sie frage sich, wie sie sich aus dieser Blockade befreien könne. Vielleicht wäre es gut, sich wieder einmal dem Aquarellieren zu widmen, einer anspruchsvollen Technik, bei der das Bild sozusagen aufs Blatt geworfen werde, ohne Möglichkeit, es zu korrigieren. Auch in Fällanden stellt sie einige Aquarelle aus, die farblich und formal so filigran wirken, dass man befürchtet, sie könnten sich sofort wieder in Luft auflösen.
«Learning by doing»
Rita Cedraschi hat ursprünglich eine kaufmännische Ausbildung gemacht und in verschiedenen Branchen gearbeitet: von einer Versicherung über ein Architektur- und ein Ingenieurbüro, den Automobilclub Schweiz ACS bis hin zum Schweizer Radio DRS. Die letzten 20 Jahre hat sie als Fotoredaktorin bei der Fernsehzeitschrift «Tele» verbracht, bis sie sich mit 61 Jahren pensionieren liess.
Just in dieser Zeit initiierte sie mit Kollegen und Freundinnen den sogenannten «KunstAusleih», eine Aktion, die Kunstinteressierten erlaubte, Werke zu erschwinglichen Preisen auszuleihen, nach einer gewissen Zeit gegen andere einzutauschen oder auch zu kaufen. In der Zolliker Villa Meier Severini und an anderen Orten organisierte sie knapp zehn Gruppenausstellungen, an denen sie die zur Wahl stehenden Bilder präsentierte. 2020 beendete sie den «KunstAusleih» mangels «tatkräftiger Mitorganisatoren», wie sie es nennt. Die Idee an sich finde sie immer noch «super».
Eine klassische Ausbildung als Malerin hat Rita Cedraschi nie absolviert. «Learning by doing» sei ihr Weg gewesen, sagt sie, ergänzt um zahlreiche Kurse zu Themen wie Aktzeichnen, Aquarellieren oder Reiseskizzen. Sie gehe auch heute noch sehr intuitiv vor. Manchmal arbeite sie mit einer Skizze, oft aber orientiere sie sich an ihrer Erinnerung. Was sie unbedingt brauche, sei gutes Oberlicht und – sie lacht – «eine Leinwand, die nicht mehr weiss ist.» Vergleichbar mit Schriftstellerinnen oder Journalisten, die Angst vor dem weissen Blatt hätten, leide sie unter der Angst vor der weissen Leinwand. Darum nehme sie oft alte Bilder zur Hand und übermale sie oder grundiere eine weisse Leinwand: «Dann fühle ich mich freier und unbeschwerter», erklärt sie.
Ihre Ausstellung in Fällanden stösst auf Interesse. Die Vernissage war gut besucht, der Gemeindepräsident lobte ihre Bilder und die «Ruhe», die sie ausstrahlen. Ein halbes Dutzend sind bereits verkauft. Die Hälfte der Einnahmen überweist die Freizeitkünstlerin – so darf man sie nennen – an eine gemeinnützige Institution, die der Käufer bestimmen kann. Die Finissage findet am 7. Oktober statt. (bl)
Weitere Bilder auf ritacedraschi.ch
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ich liebe ihre Arbeiten!