«Wir arbeiten Probleme an den Zähnen ab»
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11. November 2022 – Dorfzahnarzt Franz Pomsar äusserte gestern Abend im Talk mit Barbara Lukesch Besorgnis über die Entwicklung der Gesellschaft. Die Menschen seien in ihrem Alltag extrem gestresst. Noch nie habe er in seiner Praxis mit so vielen Zahnbrüchen zu tun gehabt.
In Gesprächen mit Patienten stelle er fest, wie sehr sich die aktuellen Krisen (Corona, Krieg in der Ukraine, wirtschaftlicher Druck, Teuerung, Klimaerwärmung) auf die Menschen auswirken. «Wir arbeiten diese Probleme an unseren Zähnen ab», erklärte er, «die Leute beissen im wahrsten Sinne des Wortes die Zähne zusammen, um das alles auszuhalten.»
Kein Muskel im menschlichen Körper entwickle derartige Kräfte wie der Kiefermuskel. «Gestresste Menschen beissen in der Nacht mit der 40fachen Kraft auf ihre Zähne, knirschen und zerbrechen sie im Extremfall.» Laut Studien seien inzwischen 55% der Erwachsenen von diesem Stressphänomen betroffen.
Dagegen helfe, sogenannte Memory Points an möglichst vielen Orten in der Wohnung oder im Büro aufzukleben. Sobald man einen dieser farbigen Punkte sehe, müsse man sich fragen: «Beisse ich schon wieder auf die Zähne oder bin ich entspannt?»
Aussterbende Spezies
Pomsar vermittelte im Café am Puls den Eindruck eines Fachmannes, der um die Zukunft seines Berufsstandes fürchtet. Als Dorfzahnarzt gehöre er zu einer «aussterbenden Spezies». Es entstünden immer mehr Zahnkliniken an stark frequentierten Orten wie dem Hauptbahnhof oder Einkaufszentren. Das Personal, die teuren Geräte, Werbung und hohe Mieten müssten amortisiert werden. «Diese Zentren werden von Managern geführt, die auf ‹kreative Therapiegestaltung› achten.» Im Klartext: Es würden Behandlungen empfohlen und durchgeführt, die nicht unbedingt notwendig und überteuert seien.
Die Sache mit dem Mundgeruch
«Woher kommt eigentlich der Mundgeruch?», wollte Barbara Lukesch (ZollikerNews) wissen? Zu 90% entstehe er in der Mundhöhle, antwortete Pomsar, zu 10% seien die Mandeln und der Magen die Ursache. Er nutzte die Gelegenheit, dem zahlreich erschienenen Publikum gleich noch zu erklären, dass jeder Mensch in seinem Mund 300 Bakteriensorten habe, von denen nur 20 Karies und Zahnfleischentzündungen verursachen. Es sei Glücksache, mit welchen Bakterien man ausgestattet sei. Darüber entscheide nicht die Ernährung, wie viele fälschlicherweise glaubten.
Das Publikum hatte immer wieder etwas zu lachen. Etwa wenn Pomsar sagte, dass Paare, die sich küssen, aus zahnärztlicher Sicht am besten gleichzeitig behandelt werden müssten, «denn sie tauschen die Bakterien aus». Oder wenn er erklärte, dass Zähne im Gegensatz zu anderen Organen vier Mal wehtun: «Wenn sie wachsen, wenn sie sich entzünden, wenn man sie behandelt und wenn die Rechnung kommt.»
Mit Erstaunen nahmen die Besucherinnen und Besucher zur Kenntnis, dass Pomsar seit vielen Jahren Kreisel sammelt. In der Praxis habe er einige Hundert, zuhause aber gegen 10’000 – «mehr als das Kreisel-Museum von Wisconsin in den USA». Kreisel gehörten zu den ältesten Spielzeugen auf der Welt. Physikalisch interessant sei insbesondere der Moment, wenn der Kreisel den Schwung verliere und zu torkeln beginne.
Die «4M» als Leitsatz
Als Dorfzahnarzt behandle er die ganze Bandbreite von Patienten «vom Drogenabhängigen über Asylsuchende aus dem Durchgangsheim bis zum Multimilliardär». Und darüber sei er glücklich. Er liebe den Austausch mit spannenden Personen und versuche, allen mit den «4M» gerecht zu werden, seinem Leitsatz: «Man muss Menschen mögen.»
Was er weniger möge, sei die immer stärker ausufernde Bürokratie. Als Beispiel nannte er die zahnärztliche Untersuchung der Zolliker Schulkinder. Früher habe die Schule alle Kinder im Zeitraum von drei Tagen in die Praxis geschickt. Er habe nur entscheiden müssen, ob eine Behandlung nötig sei oder nicht. Das sei ein schlankes Verfahren gewesen: «Nicht mehr als fünf Minuten pro Kind.» Aus Datenschutzgründen haben man dann das System umgestellt. Die Kinder bekommen nun einen Gutschein für eine Zahnuntersuchung. «Und dann läutet bei uns am Tag, an dem die Gutscheine verteilt werden, 300 Mal das Telefon, und jede Konsultation erfordert ein Mehrfaches an Zeit. Ist so etwas wirklich sinnvoll?» (rs)