«Diese WM fühlt sich nicht wie eine WM an»

1 KOMMENTARE

15. Dezember 2022 – Während in der warmen Stube das Spiel Argentinien gegen Kroatien läuft, spielen Moritz Hirt (21) und seine Kumpels bei klirrender Kälte Eishockey. Im Interview zieht der Zolliker Jus-Student und Mitbegründer des Vereins «Alternative zur Weltmeisterschaft 2022» Bilanz. (1 Kommentar)

15. Dezember 2022 – Während in der warmen Stube das Spiel Argentinien gegen Kroatien läuft, spielen Moritz Hirt (21) und seine Kumpels bei klirrender Kälte Eishockey. Im Interview zieht der Zolliker Jus-Student und Mitbegründer des Vereins «Alternative zur Weltmeisterschaft 2022» Bilanz.

Moritz Hirt auf dem Eisfeld
Der Zolliker Moritz Hirt, Co-Gründer des Vereins «Alternative zur WM 2022» (Foto: rs)

INTERVIEW: RENE STAUBLI

Wir treffen uns auf der offenen Eisbahn Heuried im Zürcher Quartier Wiedikon. Trotz Schneetreiben und Minusgraden hat Moritz Hirt beste Laune. Auch das sechste Alternativprogramm seines Vereins hat viele Freunde mobilisiert. «Chneble» ist ihnen wichtiger als der Halbfinal der umstrittenen Fussball-WM in Katar.

Grausam kalt, grausam schlechtes Wetter, und zuhause am TV dieser Fussball-Leckerbissen, reut Dich das nicht ein wenig?

Gar nicht, wirklich überhaupt nicht. Ich bin ein grosser Fussballfan und spiele in der Freizeit auch selber. Aber auf diese WM hatte und habe ich einfach keine Lust. Dass in der Schweiz rund um die WM keine richtige Stimmung aufgekommen ist, hat es einem ja auch einfach oder zumindest einfacher gemacht, sich die Spiele gar nicht erst anzuschauen. Der einzige Tag, an dem ich so etwas wie Feierstimmung spürte, war der 2. Dezember, als die Schweiz gegen Serbien gewann.

Ihr habt mit Eurem Verein seit dem 24. November sechs alternative Veranstaltungen durchgeführt. Was waren die Highlights?

Sicher der Premieren-Event, als wir nach Schaffhausen zum Champions-League-Spiel der FCZ-Frauen gegen Olympique Lyon fuhren. Es kamen 25 Leute mit, darunter solche, die sich zuvor noch nie gesehen hatten. Eine tolle Sache. Und letzten Freitag das Bierpong-Pingpong-Turnier im Zolliker Meitli-Pfadiheim «Chluppi», da hatte ich selber leider keine Zeit, aber es waren rund 40 Leute dabei. Es muss mega, mega cool gewesen sein. Die Vereinsmitglieder haben Gratis-Bier bekommen.

Auffällig ist, dass Ihr am 6. Dezember keinen Event organisiert habt. An jenem Tag spielte die Schweiz ihren Achtelfinal gegen Portugal. Habt Ihr Euch das Spiel klammheimlich angeschaut?

Gute Frage, aber nein, garantiert nicht. Bei der Planung der Anlässe mussten wir unsere Kräfte ein wenig einteilen. Wir entschieden uns für insgesamt sieben Anlässe, darunter einen Casinoabend während Schweiz ­– Brasilien und einen Fondue-Raclette-Plausch, als die Schweiz gegen Serbien spielte. Bei Schweiz – Portugal haben sich einige von uns auf dem Weihnachtsmarkt in Zürich getroffen. Das war auch eine schöne Ablenkung.

Das Ziel eurer Aktion war es, «im besten Fall grössere Denkprozesse anzustossen». Ist das gelungen?

Ich habe das Gefühl, dass die WM in Katar doch sehr viel kritischer begleitet worden ist als frühere Turniere. Bei dieser Diskussion waren wir mit unserem Verein sicher nicht ausschlaggebend, aber wir haben unseren Teil dazu beigetragen. So haben wir zum Beispiel mit Kollegen aus unserem Freundeskreis, die sich die Spiele trotz allem anschauen, stundenlang über die Begleitumstände diskutiert. Ob das nachhaltig ist, wird sich zeigen.

Ist es nicht so, dass die Kritik an der WM in Katar abgenommen hat, je spannender das Turnier wurde?

Das sehe ich genauso. Es gab vor allem vor Beginn und am Anfang des Turniers Schlagzeilen – als die einheimischen Zuschauer das Stadion verliessen, weil ihre Mannschaft im Eröffnungsspiel versagte, als die Spieler aus dem Iran bei ihrer Nationalhymne nicht mitsangen, oder als die Deutschen vor dem Spiel gegen Japan gegen die Maulkorb-Politik der Fifa protestierten, indem sie sich den Mund zuhielten. Da war viel los, doch dann flachte es erwartungsgemäss ab.

Warum?

Zum einen blieben Teams aus Ländern wie Argentinien, Uruguay, Südkorea oder Marokko im Turnier, in denen beispielsweise die Menschenrechts-Verletzungen in Katar viel weniger diskutiert wurden als bei uns in Europa. Ich verstehe aber auch, dass sich die Medien ab den Achtelfinals mehr aufs Sportliche konzentriert haben. Man kann ja nicht zu jedem Spielbericht einen kritischen Infokasten stellen.

Am Sonntag findet der Final zwischen Argentinien und Frankreich statt. Ihr trefft Euch zu einem Hallenfussball-Turnier auf der Sportanlage beim Zoo. Wie viele Teams machen mit?

Wir hoffen, dass wir acht Fünfermannschaften zusammenbringen, das wäre cool. Dann könnten wir Gruppenphase, Halbfinals und Final spielen. Wir müssen in unserem Umfeld noch ein paar Leute rekrutieren, aber ich bin guter Dinge, dass wir das schaffen.

Ihr spielt während des WM-Finals?

Das geht leider nicht, denn die Halle wird bereits um 18 Uhr geschlossen…

…der Final findet um 16 Uhr statt…

…ah ja? Ich habe gemeint, er werde erst am Abend angepfiffen, aber super: dann spielen wir tatsächlich während dem WM-Final, umso besser.

Ohne Blick aufs Handy?

Garantiert. Das ist etwas, was mir wirklich aufgefallen ist an allen unseren Events. Niemand beachtete den Liveticker, niemand hat sich aufs WC verzogen, um sich dort den Match anzuschauen.

Wie sieht Deine persönliche Bilanz dieser Fussball-WM aus?

Sportlich kann ich nicht viel sagen, das ist ja, glaub, klar (lacht). Wir haben eine WM erlebt, wie es sie vorher noch nie gegeben hat. Eine WM, die begleitet war von vielen Misstönen. Eine WM, die in einem Umfeld stattgefunden hat, das sich eigentlich kein Fussballfan wünscht. Für mich fühlt sich diese WM nicht wie eine WM an.

Was muss sich ändern?

Man sollte wegkommen von diesem extremen Profitdenken. Es darf nicht darum gehen, finanziell das Letzte aus dem Fussball herauszuholen. Mir ist völlig bewusst, dass man Sport und Profit nicht trennen kann. Aber ich wünschte mir zumindest ein besseres Händchen bei der WM-Vergabe. Und dass man wieder vermehrt auf die Wünsche der Basis hört: auf die echten Fussballfans, die diesen Sport ja letztlich ausmachen und prägen.

Die Argumente des Vereins «Alternative zur Weltmeisterschaft 2022» gegen Katar

Deutsche Fussballer protestieren mit Hand vor Mund gegen Fifa-Maulkorb in Katar
Deutsche Fussballer bei ihrem Protest vor dem Japan-Spiel

1 KOMMENTAR

Grossartig, dass junge Fussballfans eine solch‘ ethisch starke Einsicht publik machen und Gegenwind produzieren. Mein bestes Kompliment an Moritz und seine couragierte Entourage! Weiter so … im Sinn von «ethics starts at the point of pain».

WIR FREUEN UNS ÜBER IHREN KOMMENTAR

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

neun + siebzehn =

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht