Neandertaler hatten täglich Sex

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2. Februar 2023 – Ich muss Sie enttäuschen. Über die alltäglichen sexuellen Aktivitäten der Neandertaler wissen wir rein gar nichts. Woher auch? Aber vielleicht haben Sie diesen Beitrag nicht zuletzt auch deshalb angeklickt, weil der Titel irgendwie, sagen wir mal: spannend klang?

VON BALZ SPÖRRI

Ich muss Sie enttäuschen. Über die alltäglichen sexuellen Aktivitäten der Neandertaler wissen wir rein gar nichts. Woher auch? Aber vielleicht haben Sie diesen Beitrag nicht zuletzt auch deshalb angeklickt, weil der Titel irgendwie, sagen wir mal: spannend klang?

Alle Medien, egal ob gedruckt oder digital, müssen heute um Aufmerksamkeit kämpfen. Das hat Folgen, auch für die Wissenschaft. So peppen etwa die Kommunikations-Abteilungen der Hochschulen ihre Medienmitteilungen zusehends mit knackigen Überschriften auf.

Und Sex, so zeigen ein paar Beispiele aus den letzten Wochen, geht immer. «Geschichte eines kosmischen Striptease» war kürzlich eine Mitteilung des Schweizerischen Nationalfonds überschrieben. Inhaltlich ging es darum, dass ein etwa 900 Lichtjahre von der Erde entfernter Stern vor Millionen Jahren seine Hülle abgestossen hat.

Da mochte die Julius-Maximilians-Universität in Würzburg (D) nicht hintanstehen. Sie betitelte eine Meldung mit «Was die Venusfliegenfalle erregt». Vereinfacht gesagt, fanden die Forscher heraus, wie die fleischfressende Pflanze realisiert, dass eine Fliege auf ihr sitzt, und wie genau sie möglichst schnell ihr Fangorgan aktiviert.

Prickelnd auch die Überschrift einer Meldung der Goethe-Universität in Frankfurt am Main: «Molekulare Anstandsdame in flagranti erwischt». Den Lesern schmackhaft gemacht wurde so eine Studie darüber, welche Rolle ein bestimmtes Eiweiss, ein sogenanntes Chaperon (englisch für Anstandsdame), bei der Immunantwort unseres Körpers spielt.

Den Vogel abgeschossen hat aber das Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie mit dem Titel «1 Milliarde Jahre Abstinenz: Chloroplasten dürfen endlich auf Sex hoffen!» Chloroplasten sind in den Pflanzenzellen für die Photosynthese zuständig. Bei der Tabakpflanze, so dachte man bislang, werden die Chloroplasten ausschliesslich von der Mutterpflanze vererbt. Forscher wiesen jetzt aber nach, dass bei Kälte auch väterliche Chloroplasten weitergegeben werden. Die elterlichen Chloroplasten könnten sich also in den Nachkommen treffen und genetisches Material austauschen. Eine Art Sex, irgendwie.

Durchaus interessant. Aber dass sich die Chloroplasten nun auf mehr Sex freuen, darf bezweifelt werden.

Balz Spörri (geb. 1959) lebt als Journalist und Autor in Zürich.

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