«Ich gehe jeweils im Kopf auf eine Reise»

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8. März 2023 – Seit knapp 20 Jahren leitet Ursula Zangger die Orell Füssli-Filiale am Bellevue. Es dauerte lange, bis die gelernte Buchhändlerin ihren Traumjob gefunden hatte. Wir schätzen uns überaus glücklich, dass sie von nun an regelmässig Bücher in unserer neuen Rubrik «Zollikon liest» vorstellt.

Ursula Zangger: Buchempfehlungen aus berufenem Mund (Foto: bl)
Ursula Zangger: Buchempfehlungen aus berufenem Mund (Foto: bl)

Bücher sind ihr Leben. Schon ihre Mutter war eine leidenschaftliche Leserin und vermittelte ihrer Tochter das Gefühl, dass es Spass macht, sich in einen Roman oder eine Abenteuergeschichte zu vertiefen. So lernte Ursula Zangger bereits mit knapp fünf Jahren lesen und nutzte fortan jede Gelegenheit, sich mit ihren Büchern zurückzuziehen. Sie hatte nämlich vier Schwestern, was «zu viel Lärm und ständigem Gewusel» bei ihnen daheim geführt habe. Da sei ein Buch so etwas wie eine Insel gewesen, auf der sie zur Ruhe gekommen sei und sich in ihrer eigenen Welt habe verlieren können.

Besonders lieb waren ihr die Kinder- und Jugendbücher von Federica de Cesco, die meist in entfernten Ländern spielten und ihr fremde Kulturen nahebrachten. Bald einmal las sie aber auch Romane der US-amerikanischen Nobelpreisträgerin Pearl S. Buck. Sie lacht: «Im Grunde genommen habe ich jedes Buch gelesen, das mir in die Finger gekommen ist.»

Von St. Gallen nach Philadelphia

Als sie dann vor der Frage stand, welche Ausbildung sie machen sollte, schlug ihre Mutter ihr eine Lehre als Buchhändlerin vor. Die gebürtige Rheintalerin fand eine Lehrstelle in der Fehr’schen Buchhandlung, einem Geschäft in St. Gallen mit grosser Tradition, das 1790 gegründet worden war. Sie war begeistert vom Verkauf und dem Kontakt mit der Kundschaft; die Berufsschule bei zwei «verknöcherten alten Lehrern» habe sie eher gelangweilt. Fächer wie Werbung, Marketing und Verkaufsschulung, für die sie sich interessiert hätte, habe es Ende der 1970er-Jahre noch gar nicht gegeben.

Nach der Ausbildung habe sie der Schweiz zunächst einmal den Rücken gekehrt und einen mehr als einjährigen Sozialeinsatz in Philadelphia geleistet. Sie wollte unbedingt Englisch lernen und gleichzeitig Erfahrungen im Ausland sammeln. Etwas überrascht war sie, wie radikal sie die Trennung von daheim vollziehen musste: «Es gab damals ja weder Mails noch SMS», erinnert sie sich, «und eine Minute Telefonieren kostete 7 Dollar.» Das habe sie sich nur in Ausnahmefällen leisten können.

Zurück in der Schweiz fand sie in der Christlichen Vereinsbuchhandlung CVB, einem Netz mit elf Filialen in Zürich, das eng mit der Methodistenkirche verbunden war, einen Ort, an dem sie viel Erfahrung sammeln konnte: zunächst im Geschäft an der Badenerstrasse, dann im Theologie-Fachgeschäft an der Schifflände und zuletzt während vier Jahren als Filialleiterin im Laden an der Hottingerstrasse.

Für Imholz auf die Wolga

Irgendwann wurde es Zeit für einen Wechsel, und sie kündigte die Stelle. Sie hatte Lust auf etwas Neues und liess sich in Abendkursen zur Reiseleiterin ausbilden. Von nun an war sie für den Reiseveranstalter Imholz in Osteuropa unterwegs: «Auf Wolga-Kreuzfahrten, Städtereisen in Moskau, Leningrad und Ostberlin, im Baltikum oder Albanien.» Sie habe immer Destinationen gewählt, die vom Mainstream abwichen: «Nach Paris wäre ich um keinen Preis gefahren.»

Die Bücher liessen sie trotz aller neuen, spannenden Erfahrungen nicht los, und so arbeitete sie parallel zu ihren Reisen während fast drei Jahren beim Zürcher Limmatverlag. Dort habe sie viel über den Büchervertrieb gelernt.  

Als sie sich in einen Mainzer Lektor verliebte, der sich damals gerade in Berlin niederliess, folgte sie ihm in die grosse deutsche Stadt und blieb dort knapp sechs Jahre. Sie jobbte weiterhin bei Imholz und in der Wolff’s Bücherei am Bundesplatz, war aber den grössten Teil ihrer Zeit für die Firma Triagon tätig, die Verlags-Software entwickelte. So lernte sie eine weitere wichtige Facette des Büchergeschäfts kennen.

Von der Etagen- zur Filialleiterin

Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz fand sie 1999 eine Anstellung im Hauptgeschäft von Orell Füssli im Kramhof an der Füsslistrasse. Sie war Etagenleiterin und widmete sich in erster Linie der Belletristik. Als Orell-Füssli Ende 2002 eine neue Filiale am Bellevue eröffnete, war sie sofort angetan: «Das Geschäft gefiel mir von Anfang an, und mir war klar, dass ich eines Tages dort arbeiten wollte.»

2004 war es soweit, und Ursula Zangger, damals 44 Jahre alt, wurde Filialleiterin. Nach den langen Lehr- und Wanderjahren war sie an dem Ort angekommen, der ganz ihren Vorstellungen entsprach: «Das ist mein Laden», sagt sie, «hier verfüge ich über grosse Freiheiten, ohne die Last der finanziellen Verantwortung tragen zu müssen.» Sie könne ihr Personal selber auswählen und auch den grössten Teil ihres Sortiments bestimmen. Weil die administrativen Angelegenheiten zentral über den Orell Füssli-Hauptsitz abgewickelt würden, müsse sie sich weder um Arbeitsverträge noch um Lohnabrechnungen kümmern. Sie schmunzelt: «Das ist der Fünfer und’s Weggli.»

Fasziniert von Romanen und Krimis

Fragt man sie, wie sie zusammen mit ihrem Team das Sortiment zusammenstelle, nennt sie verschiedene Quellen: Sie lese viele Rezensionen, verfolge Buch-Besprechungen im Radio und Fernsehen, nehme aufmerksam auf, was Kundinnen verlangen, und höre den Verlagsvertretern gut zu, wenn diese ihre «Lieblingsbücher» anpreisen. Selber lese sie ein bis eineinhalb Bücher pro Woche: «Abends vor dem Ins-Bettgehen, Sonntags und Montags, wenn ich frei habe und auch mal Nonstop, wenn mich ein Buch richtig fesselt.»

Die Faszination, die vor allem Romane auf sie ausüben, sei nach wie vor riesig. Was sie dermassen begeistere, schildert sie auf anschauliche Weise. Reisen sei immer ein wesentlicher Teil ihres Lebens gewesen. Mit dem Flugzeug, dem Zug oder dem Velo: «Mit Büchern gehe ich im Kopf auf eine Reise, leide mit der Hauptfigur, lache und freue mich mit ihr.» (bl)

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