Prinzip Hoffnung für den Zollikerberg
0 KOMMENTARE
16. März 2023 – Der Gemeinderat will den Zollikerberg mittels Tunnel vom Durchgangsverkehr entlasten und die Forchbahn zum Tram umwandeln: das ist eines der acht Legislaturziele für die Jahre 2022–2026, die er an der gestrigen Gemeindeversammlung vorgestellt hat. Was den Zollikerberg angeht, regiert einmal mehr das Prinzip Hoffnung.
Den Umfahrungstunnel gemäss kantonalem Richtplan und die Tramlösung strebt der Gemeinderat «langfristig» an, aber er will die beiden Projekte bis 2026 nach Möglichkeit vorantreiben.
Konkret: Er will sich bei der Forchbahn, bei der die Gemeinde knapp 7% der Aktien hält, «für den Trambetrieb zwischen Waldburg und Zollikerberg einsetzen». Was die Umfahrung des Zollikerbergs mittels Tunnel angeht, führt er keine Massnahmen an.
Hanspeter Friedli, Geschäftsführer der Forchbahn, äusserte sich gestern auf Anfrage der «ZollikerNews» einmal mehr ablehnend zur Tram-Idee: «Die Forchbahn vertritt in allen Instanzen, dass die Betriebsführung zwischen Rehalp und Esslingen nach den Regeln eines Eisenbahnbetriebes angewendet wird. Dies bietet die grösstmögliche Sicherheit und Fahrplanstabilität für unsere Fahrgäste.»
Der Bau des Wehrenbachtobel-Tunnels wiederum ist Sache des Kantons, der von der Notwendigkeit und dem Nutzen einer schnelleren Realisierung der Umfahrung überzeugt werden muss, was bislang nicht gelungen ist. Wir haben in zwei Artikeln ausführlich über die vergeblichen Bemühungen berichtet (die Planung sieht den Bau nach 2035 vor):
8.10.22: Ziel: den Zollikerberg endlich umfahren
14.11.22: Was verspricht uns der Gemeinderat diesmal?
Immerhin: Die Volkswirtschaftsdirektion und die Zürcher Planungsgruppe Pfannenstil (ZPP), deren Vizepräsident Sascha Ullmann ist, wollen ein Regionales Gesamtverkehrskonzept für die Weiterentwicklung des Verkehrssystems am rechten Seeufer erarbeiten. Zeithorizont: Offen.
Aus «Wortwolken» sind Legislaturziele geworden
Ende November 2022 hatte der frisch gewählte Gemeinderat über seine Retraite auf dem Stoos berichtet. Er hatte dort «Wortwolken» kreiert und Stichwörter zu konkreten Vorhaben zusammengetragen. Daraus sind die acht Legislaturziele 2022-2026 entstanden. Wir greifen einige wichtige Punkte heraus. Das vollständige Papier finden Sie unter diesem Link.
Ortsentwicklung: Projekte «anstossen»
Bis 2026 will der Gemeinderat für die Ortskerne im Berg und im Dorf neue Entwicklungsprojekte «anstossen». Für das Areal Roswies im Zollikerberg soll bis in drei Jahren – so lange dauert die laufende Legislatur nur noch – ein konkretes «Umsetzungsprojekt» vorliegen. Bis es soweit ist, bietet die Gemeinde Hand zu einer Zwischennutzung, an der sich eine Pferdebesitzerin, der Blumenladen Verdissimo und der «Wilde Kaiser» mit einem Popup-Restaurant beteiligen könnten. Entsprechende Pläne sind derzeit in Arbeit, aber noch nicht spruchreif.
Für das Dorfzentrum und das Beugi-Areal erstellt der Gemeinderat noch kein «Umsetzungsprojekt», sondern zunächst ein «Gesamt-Nutzungskonzept unter Einbezug der Bedürfnisse der Schule». Das weitere Vorgehen will er «mit relevanten Stakeholdern definieren».
Leben in Zollikon: Attraktiv für Familien
Familien sollen in Zollikon «bezahlbaren Wohnraum» finden und von «vielseitigen Angeboten für Betreuung und Förderung» profitieren können. Alten Menschen sollen «verschiedene Wohnformen bedarfsgerecht zur Verfügung stehen». Ausserdem will der Gemeinderat bei Jugendlichen «eine Kultur der politischen und demokratischen Mitwirkung fördern».
Um all dies zu erreichen, ist in den Legislaturzielen eine einzige Massnahme aufgeführt: «Die Bedürfnisse der Zielgruppen werden erhoben und gestützt darauf Handlungsfelder definiert.»
Seeufer: Attraktivere Gestaltung
Die beiden Uferabschnitte beim ehemaligen Altersheim am See und bei der Wässerig an der Stadtgrenze sollen für die Bevölkerung attraktiver gestaltet werden. Die Aufwertung der zentralen Parkanlage an der Schifflände ist in den Legislaturzielen nicht vorgesehen. Menschen im Rollstuhl werden also weiterhin keinen Zugang zur wohl schönsten Aussichtsplattform über den Bootsplätzen haben, weil Stufen zu überwinden sind.
Auch beim Zugang zur attraktiver gestalteten Wässerig wird man mit Hindernissen rechnen müssen. Wer die Wiese von Zollikon aus erreichen will, hat derzeit zwei Möglichkeiten: Mit dem Bus zum Tiefenbrunnen und auf dem Trottoir zurücklaufen, oder auf der Bauisstrasse unter den Bahngeleisen hindurch und rund 1 Kilometer bis zur Wässerig marschieren. Auch hier ist man auf den Goodwill des Kantons angewiesen, bei dem der Gemeinderat den Wunsch nach einer Fussgänger-Überführung von der Bushaltestelle Bahnübergang über die SBB-Geleise deponiert hat.
Nachhaltiges Zollikon: Netto-Null bis 2035
Die gemeindeeigenen Liegenschaften, Anlagen und Betriebe sollen bis 2035 das Klimaziel «Netto-Null» erreichen. «Netto-Null» bedeutet, dass unter dem Strich keine CO2-Emissionen mehr ausgestossen oder diese vollständig kompensiert werden. Die Gemeinde soll bis zum Ende der Legislatur «auf einem unverrückbaren Weg zu Netto-Null» sein.
Um diese Ziele zu erreichen, will der Gemeinderat Photovoltaik-Anlagen auf gemeindeeigenen Gebäuden «forcieren», Privaten entsprechende Möglichkeiten und Anreize bieten und 80% aller eigenen Grünflächen (ohne Sportanlagen und Landwirtschaftsflächen) «naturnah pflegen». Die Biodiversitäts-Flächen sollen stark ausgeweitet werden.
Digitalisierung: Von 10 auf 80
Bis Ende 2026 will der Gemeinderat bei der Verwaltung «zehn wichtige Kundenprozesse medienbruchfrei ausgestalten». «Medienbruchfrei» bedeutet, dass bei der Abwicklung eines Geschäfts am Online-Schalter oder über eine App nicht auf Papier gewechselt werden muss. Langfristig sollen Zollikons Einwohnerinnen und Einwohner 80% ihrer Anliegen im Verkehr mit der Gemeinde rein digital erledigen können (heute sind es keine 10%). Zollikon ist Mitglied von egovpartner, einem Netzwerk von 114 Gemeinden, Städten und dem Kanton Zürich, das mittels Digitalisierung der Dienstleistungen zur «Lebens-, Arbeits- und Standortqualität» beitragen will.
Dabei geht es in einem ersten Schritt darum, wiederkehrende Prozesse wie die Bestellung von Betreibungsauszügen, die Anmeldung eines Hundes, einen Wohnortswechsel oder ein Baugesuch vollständig zu digitalisieren, damit die Verwaltung mehr Zeit für anspruchsvollere Aufgaben hat.
Andernorts erlauben es bereits bekannte Projekte wie E-Partizipation oder E-Mitwirkung der Bevölkerung, sich vereinfacht an politischen Vorhaben zu beteiligen und die Zukunft der Gemeinde mitzugestalten. In den Massnahmen zu diesem Legislaturziel schreibt der Gemeinderat: «Die Digitalisierung des politischen Diskurses wird mit innovativen Projekten angegangen.»
Liegenschaften: Ein neuer Anlauf
Der alte Gemeinderat hatte vor vier Jahren versprochen, «den Liegenschaften-Besitz der Gemeinde zu analysieren und die bestehende Strategie anzupassen». Der neue Gemeinderat nimmt sich diese unerledigte Aufgabe noch einmal vor. Er will bis 2026 «die Grundsätze der Liegenschaften-Strategie» erarbeiten und «die Rolle und die Zukunft jeder gemeindeeigenen Liegenschaft» klären. Ausserdem soll die Sanierung des Schwimmbads Fohrbach abgeschlossen sein.
Schule: Neues Projekt Rüterwis
Die Schulpflege hatte ihre Legislaturziele bereits Ende Januar verabschiedet. Die ZollikerNews interviewten damals Präsidentin Claudia Irniger zu den Themen Eltern-Kommunikation mit neuen Medien, Schaffung einer Tagesschule, vorausschauende Planung von Schulräumen und die Projektierung des neuen Betreuungshauses Rüterwis.
Was nicht in den Legislaturzielen steht
Interessant ist, dass der Gemeinderat die Themen «Finanzen» und «Steuerfuss» beiseite gelassen hat. In den Legislaturzielen 2018–2022 hatte es noch geheissen: «Der positive Einfluss eines angemessen tiefen Steuerfusses auf die Standortqualität und der sorgfältige Umgang von Behörden und Verwaltung mit öffentlichen Mitteln sind erkannt.» Und: «Auf nicht zwingend notwendige Investitionen ist zu verzichten oder sie sind zu verschieben.»
Feedback erwünscht
In Zollikon leben rund 8000 Stimmberechtigte. 85 haben gestern den Weg an die Gemeindeversammlung gefunden – das sind 1,06%. Als Leserin oder Leser können sie sich aber auch jetzt noch aktiv an der Diskussion beteiligen, indem Sie einen Kommentar schreiben – was halten Sie von den Legislaturzielen des Gemeinderats?
PS: Als einziges Geschäft legte der Gemeinderat der Stimmbevölkerung einen Ausführungskredit von 2,84 Millionen Franken zum Ersatz der Gasheizung in der Schulanlage Rüterwis durch eine Heizung mit Wärmepumpe und Erdsonden vor. Die Investition wurde einstimmig genehmigt. (rs)
Pläne und Reaktionen auf einen Blick
Umfrage: Mehrheitlich positive Reaktionen der Parteien auf die Legislaturziele des Gemeinderats
Legislaturziele auf dem Prüfstand (1/4): Zahlbarer Wohnraum – ein frommer Wunsch
Legislaturziele auf dem Prüfstand (2/4): Der Berg, der Verkehr und der Kanton
Legislaturziele auf dem Prüfstand (3/4): «Digitalisierung darf nicht zur Religion werden»
Legislaturziele auf dem Prüfstand (4/4): Keine Planung mehr über die Köpfe hinweg