«Die Arbeit bei Heart2Heart bereichert mich»
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21. März 2023 – Petra Gerber* ist eine erfahrene Sozialpädagogin aus Zollikon. Die Fachfrau arbeitet seit Anfang Jahr beim Pilotprojekt «Heart2Heart» mit, einer zusätzlichen Dienstleistung der «Dargebotenen Hand» für Menschen, die sich eine Beratung auf Englisch wünschen. (1 Kommentar)
21. März 2023 – Petra Gerber* ist eine erfahrene Sozialpädagogin aus Zollikon. Die Fachfrau arbeitet seit Anfang Jahr beim Pilotprojekt «Heart2Heart» mit, einer zusätzlichen Dienstleistung der «Dargebotenen Hand» für Menschen, die sich eine Beratung auf Englisch wünschen.
Kurz nach 18 Uhr nimmt Petra Gerber den ersten Anruf entgegen. Auf ihrem Display erscheint die schweizweit bekannte Nummer 143 der «Dargebotenen Hand» – sie weiss, dass sie sich in deutscher Sprache melden muss: «Dargebotene Hand, guten Abend.» Kaum hat sie erfahren, dass sich die Ratsuchende schwertut mit der Erkrankung einer nahen Angehörigen, zwingt sie das neuerliche Läuten des Telefons zu einer Unterbrechung: «Moment, ich bin gleich wieder bei Ihnen!»
Diesmal erscheint die 0800 143 000 auf dem Display. Ein Anruf auf Englisch! Petra Gerber stellt augenblicklich um: «Heart2Heart, good evening, how can I help you?». Anrufe dieser Art geniessen bei ihr Priorität, und so vertröstet sie die Frau, deren familiäre Situation offenbar stark belastet ist, auf später. Die englischsprachige Person beendet ihren Anruf überraschend schnell, so dass Petra Gerber nicht einmal richtig weiss, warum sie angerufen hat. Sie zuckt mit den Achseln. Wenige Minuten später hat sie wieder die Frau mit der schwierigen Familiensituation am Draht. Nun erfährt sie, dass die Betroffene vor allem unter einem schlechten Gewissen und dem Gefühl leidet, nicht all ihren Lieben gerecht werden zu können.
Petra Gerber hört immer wieder minutenlang zu und signalisiert nur mit einem knappen «Mmh» oder einem zurückhaltenden «Aha», dass sie den Ausführungen ihrer Gesprächspartnerin folgt. Manchmal stellt sie auch eine Frage: «Ist das wirklich Egoismus? Oder geht es nicht eher darum, dass Sie Verantwortung für sich selber übernehmen?»
Wiederholt bestärkt sie die Anruferin mit Worten wie «Ich gehe mit Ihnen einig» oder «Das sehe ich genauso wie Sie.» Zuletzt konstatiert sie: «Sie analysieren Ihre Situation sehr präzise.» Als sie das Gespräch beendet, wünscht sie der Frau «alles Gute» und erinnert sie daran, dass sie gern auch nochmals anrufen könne. Nachher erklärt sie, dass sich diese Frau letztlich nur aus einem Grund gemeldet habe: «Sie hat die Bestätigung einer Drittperson gesucht, dass sie auf dem richtigen Weg sei.»
Ressourcen aufspüren
Der Abend hat es in sich. Vielleicht liegt das am trüben, regnerischen Märzwetter, das einem wirklich aufs Gemüt schlagen kann. Anruf folgt auf Anruf, mal deutsch, mal englisch. Eine Person leidet unter Schlaflosigkeit und lässt sich von Petra Gerber erst Atemübungen empfehlen, um dann unter ihrer Anleitung einen Tee in der Küche der Wohngemeinschaft aufzugiessen. Eine andere ist unglücklich, weil der anberaumte Termin in der psychiatrischen Klinik geplatzt sei und sie weitere drei Wochen warten müsse. Das halte sie nicht mehr aus. Die Beraterin versucht mit der Betroffenen deren Ressourcen aufzuspüren, dank der sie die schwierige Situation etwas besser meistern könne.
Eine dritte ist so verwirrt, dass sie ihr Anliegen fast nicht formulieren kann und im Verlauf des Abends noch mehrere ebenso unergiebige Anläufe nimmt. Gerber seufzt: «In einer solchen Situation muss ich einfach dasein und der Person signalisieren, dass ich ein offenes Ohr habe, auch wenn ich nicht verstehe, worum es geht.» Im Gegensatz dazu läuft das Gespräch mit einer weiteren Ratsuchenden so locker, dass diese der Fachfrau zum Abschluss einen Witz erzählt.
Wie gemacht für die Aufgabe
Gegen 21 Uhr haben sich die Wangen von Petra Gerber bereits leicht gerötet. Sie legt das Headset auf das Pult in ihrem Einzelbüro und stellt sich für ein, zwei Minuten ans geöffnete Fenster, um etwas frische Luft zu schnappen. Insgesamt arbeiten auf der Etage an diesem Abend vier Freiwillige der «Dargebotenen Hand».
Hilfe für Expats und MigrantInnen
Die Zolliker Sozialpädagogin hatte sich nach fast 20jähriger Berufstätigkeit nach einer neue Herausforderung als Freiwillige umgesehen. Auf der Suche nach einer sinnstiftenden Tätigkeit stiess sie auf die «Dargebotene Hand» und realisierte, dass sie wie gemacht war für diese Aufgabe: Sie ist fachlich versiert, erfahren im Umgang mit Menschen in schwierigen Lebenslagen und erledigt ihre Arbeit gern am Telefon. Dazu war sie vor vielen Jahren einmal für das Sorgentelefon 147 für Kinder und Jugendliche tätig gewesen und erinnert sich gern an ihre Erfahrungen.
Ihre erste Bewerbung lief allerdings ins Leere, weil es zu jenem Zeitpunkt keine freien Plätze für die Schulung gab. Ein paar Monate später aber erreichte sie ein Mail, das ihre Neugier weckte: Die «Dargebotene Hand» plane in Zürich ein Angebot für englischsprachige Menschen in der Schweiz, die sich telefonische Unterstützung wünschten – etwa Männer und Frauen mit Migrationshintergrund oder Expats aus dem englischsprachigen Raum.
Petra Gerber fand die Idee reizvoll. Sie spricht gut Englisch und war offen für etwas Neues. Also meldete sie sich für die rund neun Monate dauernde Ausbildung bei «Heart2Heart» an. Sie kniete sich vor allem in die englische Sprache und deren Feinheiten in den Bereichen Alltagsbewältigung, psychische Belastungen und Gefühle hinein. Im Januar dieses Jahres hatte sie ihren ersten Einsatz.
Steigende Nachfrage
Projektleiter des englischen Abkömmlings ist Matthias Herren, der auch der «Dargebotenen Hand Zürich» vorsteht. Der Theologe hatte realisiert, dass sich die Zahl englischsprachiger Anrufe Jahr für Jahr verdoppelt hatte. Das seien Menschen, die zwar über Grundkenntnisse in einer Landessprache verfügten, in einer Krisensituation aber nicht in der Lage seien, ihre Probleme auf Deutsch, Französisch oder Italienisch zu schildern.
Herren liess sich sagen, dass vor allem in urbanen Zentren wie Zürich, Zug und Genf bereits mehr als 12 Prozent der Menschen Englisch als ihre erste Sprache bezeichnen. Damit war das Bedürfnis ausgewiesen.
Nun ging es darum, Mitarbeitende zu finden, die sehr gut Englisch sprechen, sich neun Monate schulen lassen und bereit sind, zwischen 30 und 40 ehrenamtliche Einsätze pro Jahr zu leisten. Sieben aus dem bestehenden Team sagten zu, dazu liessen sich acht neue wie Petra Gerber gewinnen. Der Name «Heart2Heart», der so viel bedeute wie «vertrauliches Gespräch unter vier Augen» bringe das Wesen des neuen Angebots perfekt auf den Punkt.
Vielversprechender Start
Das erste Jahr dient nun als Pilotphase, in der man sich auf die Primetime von 18 bis 23 Uhr beschränke und erstmal Erfahrungen sammeln wolle: Wie gelingt es, das Zielpublikum zu erreichen? Besteht überhaupt ein Bedürfnis nach der niederschwelligen, kostenlosen und anonymen Dienstleistung?
Die ersten beiden Monate seien vielversprechend verlaufen, erzählt Herren. Sie hätten rund 130 Gespräche geführt und befänden sich damit auf Kurs. Bis Ende Jahr sollten es mindestens 1000 sein, gern auch mehr. Diese Bedingung müssten sie erfüllen, weil es einen grossen personellen, aber auch finanziellen Aufwand bedeute, eine solche Linie zu betreiben.
Solange das «Heart2Heart»-Team nicht ausgelastet ist, beantwortet es auch deutsche Anrufe. Nach dem nächsten «Heart2Heart, good evening, how can I help you?» realisiert Petra Gerber schnell, dass es sich bei der Anruferin um eine sogenannte «Regular» handelt, eine Person, die täglich, manchmal auch mehrmals pro Abend anruft, einfach, um mit jemandem reden zu können. Solange sie Zeit habe, widme sie sich ihr; sobald aber der Andrang grösser werde, müsse sie sie auf den folgenden Tag vertrösten. Diesmal spricht sie mehr als 20 Minuten mit der Betroffenen, die einen ganzen Berg von Problemen vor ihr ausbreitet.
Ein gutes Gefühl nach der Arbeit
Im Anschluss erzählt sie, dass sie die Beratungstätigkeit als bereichernd erlebe und sehr gern ausübe. Sie wisse nie im Vornherein, was sie erwarte; bei jedem Anruf müsse sie sich vollständig auf eine neue Person einlassen: «Angesichts der kurzen Zeit wäre es vermessen, Lösungen zu liefern oder nur schon dezidierte Ratschläge zu geben.» Ihre Aufgabe sei es, den Menschen aufmerksam zuzuhören, mit ihnen ihre Probleme und Bedürfnisse zu erfassen und zu strukturieren, ihre eigenen Ressourcen zu finden und deren Wert zu betonen, aber auf keinen Fall zu werten.» Sie orientiere sich gern an einer der Grundhaltungen der «Dargebotenen Hand», dass jeder Mensch der beste Experte für sein eigenes Leben sei.
Wenn sie sich nach einem fünfstündigen Einsatz um 23 Uhr auf den Heimweg mache, gelinge es ihr in der Regel, das Gehörte auch wieder loszulassen. In seltenen Fällen dauere es länger, bis sie die Geschichten verdaut habe. Sie spüre, dass die Tätigkeit sie erde: «Es gibt so viele Menschen in unserer Gesellschaft, die einsam, psychisch, aber auch körperlich krank sind oder alles zusammen, dass meine eigenen Probleme dagegen verblassen.» (bl)
*Name geändert
Heart2Heart – Crisis Support in English 0800 143 000: We are here for you 365 days a year, 5 hours a day (6 – 11 pm).
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Ich finde es eine Supersache. Gratuliere. Es wäre schön, wenn wir mehr Fachpersonal für psychische Probleme hätten.