Das Schweigen der Zürcher

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5. April 2023 – Ich bin immer auf der Suche nach schönen, für Laien leicht singbaren Schlagern aus den letzten Jahrzehnten. Die Sängerinnen meiner Singgruppen freuen sich über Altbekanntes, sind aber auch offen für Neuentdeckungen.

Ich bin immer auf der Suche nach schönen, für Laien leicht singbaren Schlagern aus den letzten Jahrzehnten. Die Sängerinnen meiner Singgruppen freuen sich über Altbekanntes, sind aber auch offen für Neuentdeckungen.

Dazu gehören die Lieder von Artur Beul, die zum Teil Weltruhm erlangt haben. Beul hat lange Jahre in Zollikon gelebt. Andere Ohrwürmer, die in den Sechzigerjahren bei uns daheim aus dem Radio krochen und dann vergessen gingen, sind heutzutage dank Youtube leicht wiederzufinden.

Ein freudiges Wiedersehen erlebte ich letzthin mit dem Lied «Mys Dach isch de Himmel vo Züri» aus dem Musical «Eusi chlii Stadt». Den Text zu diesem Lied hatte Werner Wollenberger geschrieben, der bekannte Journalist, Theater- und Drehbuchautor (Foto auf der Frontseite).

Ich hörte mir das Lied auf Youtube an mit Zarli Carigiet in der Rolle des Trunser Seppli. Mit seinem umwerfenden Bündner Dialekt hat das Lied sehr viel Charme:

Mys Dach isch de Himmel vo Züri
mys Dach und mys Huus und mys Zält!
Tüf dine da gschpüri: für immer isch Züri
mys Liebschte, mys Läbe, my Wält!

Diese Liebeserklärung hat natürlich kein Zürcher geschrieben. Zwar preist das Tourismusbüro die «little big city» als eine der angesagtesten Städte der Welt an. Die Zürcherinnen selber verlieren aber kaum ein Wort darüber, wie schön ihre Heimat ist, sie hüllen sich lieber in Schweigen. Stattdessen besuchen sie das MoMA in New York, shoppen übers Wochenende in London oder besuchen Szene-Lokale in Barcelona, weil es dort eben noch angesagter ist als bei uns. Wieder zu Hause schwärmen sie von den tollen Theatern, den schicken Läden und dem exklusiven Essen.

Seine eigene kleine Stadt zu loben und wortreich zu lieben kommt für den pragmatischen, tief im Herzen zwinglianischen Zürcher nicht in Frage. Könnte ja noch jemand denken, er sei provinziell! Denn der Zürcher ist kein Träumer, er hält sich an Fakten.

Werner Wollenberger wurde 1927 in Heilbronn geboren. 1933 emigrierte seine Familie nach Basel, später besuchte er die Schule in Vaduz und studierte in Basel. 1959 schrieb er «Eusi chlii Stadt». Sein weiteres Leben verbrachte er mit seiner Familie in Zürich. Sein Wirken ist bis heute unvergessen.

So kommt es also, dass einer der schönsten, liebevollsten Texte über Zürich von einem staatenlosen Emigranten geschrieben und von einem Bündner berühmt gemacht wurde. Die Worte haben die Zeit überdauert und vermögen uns auch heute noch zu berühren.

Werner Wollenberger erhielt die Schweizer Staatsbürgerschaft erst 1978, vier Jahre vor seinem Tod, nachdem er sich mehrmals vergeblich darum bemüht hatte. Die Gemeinde Unterengstringen hielt ihn für einen zu wenig solventen Steuerzahler.

Betti Hildebrandt

Betti Hildebrandt war 40 Jahre lang Lehrerin an der Musikschule Zollikon. Sie ist ins Zürcher Oberland ausgewandert und pflegt seitdem ihr Heimweh.  

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