Das Dilemma der Eltern

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12. Januar 2022 – Jacqueline Fritschi vom Zollikerberg ist froh, dass ihre beiden 9- und 7-jährigen Söhne gegen das Virus geimpft sind. Dem Impfentscheid und dessen Umsetzung ging allerdings eine belastende Zeit voraus.

Porträt Jacqueline Fritschi
Jacqueline Fritschi auf dem Zollikerberg (Foto: bl)

Der ältere Sohn erkrankte bereits in jungen Jahren diverse Male an Bronchitis und Pseudokrupp. Seit dem fünften Lebensjahr hatte er mehrmals Lungenentzündungen. Heute ist er knapp zehn. Seine Mutter sagt: «Es war jedes Mal eine riesige Belastung für uns alle, jedes Mal verbunden mit Leiden, zahlreichen Arzt- und Spitalbesuchen.»

Sie hatten alles Menschenmögliche unternommen – von der Schulmedizin über die Alternativmedizin, zahlreiche Abklärungen, vorbeugende Massnahmen und eine Ernährungsumstellung. «Doch Ende Januar 2020 erwischte es ihn trotz aller Präventionsmassnahmen wieder», erinnert sich Jacqueline Fritschi, «und wir waren sehr besorgt.»

Damit nicht genug, erreichte in jenen Wochen die Corona-Pandemie die Schweiz und alarmierte die Familie regelrecht: «Stellen Sie sich das einmal vor: ein hochansteckendes Virus, das direkt auf die Lunge geht, und wir haben einen Sohn, der gerade erst seine letzte Lungenentzündung überwunden hat und dessen Atemwegsorgane seine Schwachstelle sind.»

Bislang hatte die Familie Glück

Jacqueline Fritschi ist eine temperamentvolle Frau, die viel lacht und sehr optimistisch wirkt. Inzwischen sind zwei Jahre vergangen. Die Familie hatte bisher Glück und infizierte sich nicht mit Corona.

Dazu beigetragen hat sicher auch das Verhalten der Familie, die grossen Wert auf die Beachtung der Schutzmassnahmen legt, auf Abstand achtet, Masken trägt und Weihnachten nur im kleinen Kreis und gestaffelt gefeiert hat, «dafür dann aber dreimal», erzählt die Mutter. Sie seien sehr darauf bedacht, Innenräume zu meiden und Kontakte – wenn immer möglich – im Freien zu pflegen. So spazieren wir denn auch während unserem Interview vom Coop Zollikerberg Richtung reformierte Kirche und zurück.

Als viel früher als erwartet ein Impfstoff verfügbar war, der einen ausgezeichneten Schutz vor einer Infektion versprach, stand für die Familie fest, dass sich das Elternpaar so schnell wie möglich immunisieren lässt: «Wir wollten uns, unsere Kinder, aber natürlich auch unsere Umgebung vor einer Ansteckung bewahren.»

Bezüglich der Wirkung der mRNA-Impfstoffe vertraute Jacqueline Fritschi der Wissenschaft und den Medizinern: «Ich hatte die Wahl zwischen zwei Übeln: Irgendwann Covid bekommen, eine unberechenbare und teilweise folgenschwere bis hin zu tödlicher Krankheit, oder der Medizin vertrauen und einer Impfung zustimmen, deren Risiken mir vertretbar erschienen.»

Von einer Kinderimpfung sprach lange Zeit niemand. Man ging davon aus, dass die Kleinsten auch bei einer Infektion nur schwache Reaktionen zeigten. Sollte man sie da tatsächlich einem Eingriff aussetzen, dessen Folgen nicht hundertprozentig absehbar waren?

Traurige Ereignisse

Die Pandemie dauerte an, Lockdown hin oder her. Eine Welle jagte die nächste. Die Familie war auch mit traurigen Ereignissen konfrontiert. Eine Tante, zwar über 80, aber gesund und fit, starb an Covid.  Dazu steckten sich zwei Freunde mit dem Virus an, beide um die 50. Der eine erkrankte schwer, der andere starb. Jacqueline Fritschi schiebt sich eine Strähne ihrer hellbraunen Haare aus dem Gesicht: «Das hat uns wirklich betroffen gemacht.»

Inzwischen hatte sich die Pandemie in die Schulen verlagert, die die Behörden um nahezu jeden Preis offenhalten wollten. Jacqueline Fritschi hatte zeitweise den Eindruck, dass eine Durchseuchung in Kauf genommen oder sogar angestrebt wird, auch wenn das nie so deklariert wurde. In den Klassen ihrer Söhne gab es zahlreiche Infektionen, eine Woche lang wurde die Klasse ihres Jüngeren gar geschlossen und im Homeschooling unterrichtet.

Dann nahm das Thema Kinderimpfungen Fahrt auf. Israel, die USA, Deutschland und Österreich waren schneller und drängten stärker als in der Schweiz auf die Zulassung. In all diesen Ländern gab es denn auch schon sogenannte Off Label-Impfungen, die zwar zugelassen, aber noch nicht offiziell empfohlen waren. Das Ehepaar verfolgte die Entwicklung aufmerksam. Für die Eltern gab es im Grunde nur einen Entscheid: ihre Kinder mussten geimpft werden.

Keine Lust auf weitere Pikse

Doch so einfach war das nicht. In der Schweiz war die Kinderimpfung ja noch nicht erhältlich. Zudem hatte sich die ganze Familie im Jahr zuvor gegen Zeckenbisse impfen lassen, wofür drei Pikse pro Person erforderlich sind. «Der Zollikerberg gilt als Risikogebiet», erklärt die Mutter diesen Schritt, «und wir sind viel im Wald unterwegs.»

Als sie dann ihre Buben fragte, ob sie bereit wären, sich in Deutschland «Off Label» gegen das Corona-Virus impfen zu lassen, stiess sie zunächst auf Widerstand: «Sie hatten keine Lust auf weitere Pikse, die unangenehme Zeckenimpfung steckte ihnen noch zu sehr in den Knochen.»

Das Elternpaar diskutierte lange und merkte, dass es den Impfentscheid niemals gegen den Willen der Buben durchsetzen würde: «Ich hätte es mir nicht verzeihen können», seufzt die Mutter», «wenn dann irgendetwas schief gegangen wäre.»

Trotzdem war sie davon überzeugt, dass die Impfung auch bei Kindern den besten Schutz vor schweren Krankheitsverläufen und Long Covid bieten würde: «Mein Mann und ich sorgten uns natürlich aufgrund der Vorgeschichte nach wie vor auch um die Gesundheit unseres Älteren.»

Kinder willigten in Impfung ein

Ein paar Tage und einige Gespräche später entschieden sich die Kinder schliesslich zur Impfung und die ganze Familie fuhr Anfang Dezember letzten Jahres nach Süddeutschland. Im medizinischen Institut, das ihnen von einer Person im Freundeskreis empfohlen wurde, seien sie «hochprofessionell und sehr freundlich behandelt worden». Dazu ausgesprochen kulant: obwohl im Ausland wohnhaft, seien sie sofort aufgeboten worden und hätten nicht einmal etwas bezahlen müssen. Dies wollten sie dann jedoch trotzdem tun: «Wir waren so dankbar für die Grosszügigkeit und Menschlichkeit, mit der wir empfangen wurden, dass wir uns auch finanziell erkenntlich zeigen wollten.» Ende Dezember erhielten die Buben gleichenorts den zweiten Piks.

Jacqueline Fritschi lacht: «Wir sind froh, dass wir diesen Schritt gemacht haben.» Sie hätten angesichts der enormen Fallzahlen einfach nicht länger warten mögen, und die Knaben hätten das alles auch gut verkraftet.

Ende gut, alles gut? Die Mutter denkt lange nach: «Wir sind natürlich sehr erleichtert und dankbar, dass wir unsere Kinder impfen lassen konnten. Eine ‹Off Label›-Impfung der eigenen Kinder ist und bleibt jedoch eine sehr emotionale Sache, auf die ich gern verzichtet hätte.» (bl)

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