«Das fühlt sich superrichtig an»

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26. Oktober 2023 – Heute startet der «Wilde Kaiser» mit dem Popup-«Beisl 2.0» in der Trichtenhausermühle – mit einem befristeten Vertrag bis Ende 2024. Gastro-Unternehmer Christian Krahnstörfer erklärt, warum er auf dieses Geschäftsmodell schwört.

Neonschriftzug des «Wilden Kaisers» in der Trichtenhausermühle (Fotos: bl/rs/zvg)

INTERVIEW: BARBARA LUKESCH

Herr Krahnstöver, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Popup-Restaurants zu eröffnen?

Ich war damals Hoteldirektor und fühlte mich unglücklich. Von neun bis fünf Uhr sass ich vor dem Computer und habe Zahlen hin- und hergeschoben. Der Kontakt mit den Gästen beschränkte sich auf «Hallo» und «Auf Wiederschauen». Das war nicht sehr befriedigend und ich brauchte dringend einen Ausgleich. So habe ich den Herrn Jordi aus Witikon, der aus einer Bauernfamilie stammt, gefragt, ob ich seinen Kuhstall für die Dauer des Dorfmarkts übernehmen könne. Darin haben meine Frau und ich dann für zwei Tage ein Popup eröffnet. Ich stand in der Küche, eine Art winzige Feldküche, sie war im Service. Angeboten haben wir Wiener Spezialitäten: Tafelspitz, Wiener Schnitzel, Bosna, also spezielle Schweinsbratwürste, und einen Kaiserschmarren.

Wie war die Resonanz?

Als für den ersten Abend nur 40 Reservationen eingingen, war ich wirklich enttäuscht. Doch ehe ich mich’s versah, sassen 120 Gäste im Kuhstall. Wer keinen Platz bekommen hatte, holte sich von Zuhause Tupperware-Boxen, um das Gericht seiner Wahl Take Away mitzunehmen und nicht darauf verzichten zu müssen. Am Samstag haben wir 300 Gäste bekocht. Gegen Mitternacht hatten meine Frau und ich wirklich müde Beine, waren aber auch sehr zufrieden. Die Folge? Im Jahr darauf, 2019, haben wir das gleiche wieder gemacht. Diesmal kamen knapp 1000 Leute – und ich stand immer noch in meiner rudimentär eingerichteten Feldküche. Egal – die Leute waren happy, und für mich ging ein kleiner Traum in Erfüllung.

Hiess Ihr Popup damals schon «Der wilde Kaiser»?

Das ist eine lustige Geschichte. Nach der zweiten Durchführung fragte mich meine Frau, wie wir denn unser Baby nun nennen wollten. Ob ich eine Idee hätte. Ich nickte. Wie es denn mit «Kaiser» wäre? Sie streichelte mir über die Schulter und meinte: «Schatz, du bist doch viel wilder als der Kaiser». Das war die Geburtsstunde des «Wilden Kaisers».

2020 hat Ihnen dann Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Alle Restaurants mussten während mehreren Monaten schliessen. Was tun?

Ich sass zu Hause und hatte so viel Zeit wie noch nie in meinem Leben. Das war im Prinzip angenehm, ich verbrachte wunderschöne Tage mit der Familie, aber ich fühlte mich auch etwas unterbeschäftigt. Irgendetwas fehlte. So haben wir uns einen Foodtruck organisiert, einen giftgrünen Citroën aus den 70er Jahren, den wir unter der berühmtesten Hängebuche in Witikon platziert haben. Wir hatten eine Popup-Bewilligung für die Dauer von sechs Wochen und haben Wiener Essen als Take Away angeboten: ein schönes Fiakergulasch, einen Austroburger, das ist eine Scheibe Schweinsbraten in der Semmel, einen Palatschinken. Peu à peu zog die Nachfrage an, und als die Lockerungen kamen, stellten wir ein paar Tische und Stühle raus. Schwuppdiwupp hatten wir 80 Plätze im Garten. Es lief wie geschmiert. Als die Popup-Bewilligung auslief, war klar, dass wir weiterziehen mussten. Doch mit Unterstützung vom Quartier hatte ich plötzlich den Zürcher Stadtrat André Odermatt am Telefon, der mir – ich wusste nicht, wie mir geschieht – mitteilte, dass wir eine weitere Bewilligung beantragen durften für zusätzliche drei Monate. Das war unglaublich. Es herrschte aber auch eine tolle, lockere Atmosphäre unter der Buche. Alles fühlte sich superrichtig an. Die Leute warteten bis zu 45 Minuten auf einen Tisch. Das würde ich selber zwar nie auf mich nehmen, aber es ehrte uns natürlich. Langsam dämmerte mir, dass das Konzept Popup mein Weg sein könnte, und ich kündigte meine Stelle als Hoteldirektor im «Hirschen» in Obermeilen. Ich wollte die Hände freihaben.

Der grüne Citroën für die Pandemie
Der grüne Citroën für die Pandemie

Wann kam das erste Popup, das mit einer Laufzeit von deutlich mehr als 6 Wochen schon an den Betrieb eines richtigen Restaurants erinnerte?

Das war der «Wilde Kaiser» in Zumikon. Ein Stammgast unseres Popups hatte den Kontakt zu den Besitzern der «Frohen Aussicht» hergestellt und so übernahmen wir für ein Jahr Restaurant und Hotel. Mitten in Corona haben wir eingewilligt, ohne überhaupt zu wissen, wann wir eröffnen können. Immerhin mussten wir während der Renovation keine Miete zahlen; damit ging es erst am 16. Mai 2021 los. Letztlich durften wir sogar ein halbes Jahr länger als ursprünglich vereinbart bleiben.

Wieviel Geld nehmen Sie in die Hand, um ein solches Restaurant Ihren Wünschen gemäss instand zu stellen?

Weil mir mein Schwiegervater sehr viele handwerkliche Fähigkeiten beigebracht hat und ich auch schon unser Haus in Österreich selber renoviert habe, geniesse ich das grosse Glück, dass ich heute grosse Teile der Umbauarbeiten selber übernehmen kann. Gleichzeitig gibt es in meinem Team etliche Quereinsteiger, Menschen, die Talent für die Gastronomie haben, aber ursprünglich aus einer völlig anderen Branche kommen. Edy, ein super Schnitzelkönig, ist gelernter Elektriker und hilft mir beispielsweise bei Fragen zur Beleuchtung. Kurz: meine Kosten beschränken sich weitgehend auf das Material.

Wie hoch sind die denn beim Umbau der «Trichtenhausermühle» ausgefallen?

Rund 80’000 Franken.

Was muss eine Lokalität bieten, damit sie Ihre Anforderungen an ein Popup erfüllt?

Dadurch, dass wir nun schon sehr viel an eigenem Equipment wie Mobiliar und Geschirr angesammelt haben, braucht es in erster Linie Strom, Wasser, eine perfekte Lüftung – und eine gute Lage, ohne die es gar nicht ginge. Dazu muss der Ort Platz für mindestens 80 Personen bieten, darunter rentiert es sich letztlich nicht, wenn man ein Lokal im Minimum ein Jahr betreiben will. Klar, sage ich auch mal ja, wenn ich eine kleine Scheune für drei Monate nutzen kann, bei der meine Investitionskosten sehr tief sind.

In welchem Moment wissen Sie bei der Begutachtung eines neuen Orts, dass er Ihren Wünschen entspricht?

Bei der «Trichtenhausermühle» hatte ich am Anfang richtig grosse Mühe: Ich habe den Ort einfach nicht gespürt. Ich habe hin- und herüberlegt, währenddem mich mindestens schon zehn Leute anriefen und mir rieten: Hey, mach das! Auch meine Frau meinte: Komm, schau es dir doch bitte mal genauer an! Aber als ich in das Haus kam, lag da ein quietschroter Teppich, die Wände waren zugepflastert mit dunklem, drückendem Holz. Das entsprach überhaupt nicht meinen Vorstellungen.

Wann hat es klick gemacht?

Als ich in einer Nacht- und Nebelaktion mit zwei Mitarbeitern einen Naturholzboden, 80 Quadratmeter gross, neu verlegt habe. Da hat sich langsam ein Gefühl für die Räume bei mir eingestellt. Jetzt bin ich Feuer und Flamme für das Haus, unser Farbkonzept, das warme Licht und die florale Tapetenwelt, die wir kreieren werden.

Stichwort Mobiliar. Bei Ihrem ständigen Wechsel von Lokalität zu Lokalität muss es doch extrem kompliziert sein, immer genügend und dann noch passende Tische, Stühle und Schränke aufzutreiben. Wie lösen Sie das Problem?

Für die «Trichtenhausermühle» habe ich jetzt einen Teil des Bestands aus dem «Wilden Kaiser» im Sihlcity brauchen können, wo wir von Anfang Februar bis Ende Juli ein Popup betrieben haben. Das sind bunte Stücke, die gut zu dem alten Haus passen und ihm einen frischen Anstrich verleihen. Dieses Mobiliar wäre sonst rausgerissen und entsorgt worden, nun habe ich es für einen sehr bescheidenen Betrag übernehmen können.

Und was passiert mit den alten Stühlen und Tischen der «Trichti»?

Ein grosser Teil ist bereits weg, den Rest versuchen wir zu integrieren. Ich hatte bisher allerdings das Glück, dass ich meistens an Orte gekommen bin, die über schönes, aber auch praktisches Mobiliar verfügt haben, das ich gern weiterverwendet habe. Manchmal musste ich das eine oder andere Stück etwas aufpimpen, schleifen etwa, aber mehr nicht. In Zumikon war es halbe, halbe. Da war das Gartenmobiliar richtig teuer.

Wie kommen Sie mit der Kücheneinrichtung am neuen Ort zurecht?

Die Küchenbasis ist sehr solide, ja, richtig gut. Ich übernehme gern alte Küchen, weil sie grosszügig und gut durchdacht sind. Moderne Küchen sind oft klein und minimalistisch und nicht sehr praktisch. Hier ist es weitläufig, was natürlich weite Wege für das Personal bedeutet. Aber man kann nicht alles haben.

Sie haben das Personal erwähnt. Wie gelingt es Ihnen, Leute zu finden, die mit dem ständigen Wechsel von Popup zu Popup klarkommen?

Es ist ein Puzzlespiel. Ein grosser Teil sucht ausdrücklich Saisonstellen. Diese Leute wollen sich von Anfang an nur für das Frühjahr verpflichten und dann weiterziehen. Einzelne kommen später wieder zu uns. Dazu habe ich einige treue Seelen, die sich stark mit dem «Wilden Kaiser» identifizieren und nach dem Ende in Sihlcity vorübergehend in der «Wienzeile» am Zürcher Zähringerplatz unterkamen. Ende Oktober beginnen sie dann im Zollikerberg. Darüber hinaus investiere ich viel Geld in Stelleninserate in österreichischen Medien; aktuell besteht ein grosser Teil unseres Personals aus Landsleuten.

Was sind die Vorteile des Popup-Konzepts für Sie als Gastwirt und Unternehmer?

Da würde ich drei aufzählen: Es ist für mich äusserst spannend, immer wieder neue Locations zu gestalten. Dann erlaubt es mir Feldtests mit neuen Gerichten, die ich auf die Akzeptanz bei den Gästen prüfen kann. Im Zollikerberg wird das unter anderem eine Schweinshaxe sein. Dazu ein Kukuruz 2.0, das ist ein gedämpfter Maiskolben, beträufelt mit Nussbutter, gewälzt in geräuchertem Laugenbrotstaub und getoppt mit konfiertem Eigelb und schwarzem Trüffel aus den hiesigen Wäldern.

Und der Vorteil Nummer Drei für Sie als Popup-Wirt?

Ich kann Werbung machen für unsere festen Betriebe wie die «Wienzeile» in Zürich und unser «Wia z’Haus» in Egg, aber auch generell für die Marke «Wilder Kaiser». Die Popups sorgen für einen unglaublichen Schub für diese Betriebe. Die Leute kennen uns langsam, attestieren uns Qualität und eine ausgeprägte Gastfreundschaft – das sind Folgen, die unbezahlbar sind. Allerdings muss ein Popup vom ersten Tag an perfekt laufen, damit man diese Wirkung erzielen kann. Das erzeugt natürlich einen grossen Qualitätsdruck.

Ist es nicht sowieso mit viel Stress verbunden, immer wieder neue Projekte zu lancieren, die Sie nach kurzer Zeit schon wieder beerdigen müssen?

Ich liebe dieses Konzept, meine Frau könnte das überhaupt nicht. Es braucht tatsächlich Nerven, Mut, Risikofreudigkeit und vor allem Entschlossenheit zu höchster Qualität. Es reicht nicht, eine Garage aufzumachen, ein paar Tische reinzustellen und zu behaupten, das sei nun ein Popup.

Nicole und Christian Krahnstöver vor Romy Schneider
Nicole und Christian Krahnstöver vor Romy Schneider

Haben Sie keine Angst, mit diesem Konzept eines Tages mit leeren Händen dazustehen: das eine Popup geschlossen, aber noch nichts Neues in Sicht?

Es ergeben sich doch immer wieder neue Locations, vermittelt durch Freunde, Bekannte, auch Gäste. Wir erhalten auch häufig Anfragen von Restaurantbesitzern, die mit uns zusammenarbeiten möchten. Erst kürzlich kam etwas aus Zug, dann aus Basel, sogar ein Angebot aus Hamburg traf ein. Das ist zwar schmeichelhaft, aber wir haben eine ganz klare Ausrichtung: wir wollen ein Familienbetrieb sein und bleiben und kein Konzern und auch keine Kette werden.

Christian Krahnstörfer ist gelernter Hotelier, Küchenmeister, also Koch, und hat den Eidgenössischen Abschluss als Managementfachmann. Er stammt aus dem österreichischen Burgenland. Der 42-Jährige betreibt gemeinsam mit seiner Frau Nicole zwei auf zehn beziehungsweise 15 Jahre angelegte Filialen des «Wilden Kaiser» in Egg und in Zürich am Zähringerplatz. Grössere Popup-Restaurants führte er in Zumikon und im Zürcher Sihlcity. Am 26. Oktober eröffnet er ein drittes: den «Wilden Kaiser Beisl 2.0» in Zollikerberg. Das Paar hat zwei Kinder und wohnt in Witikon.

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