Das Nebelbüsi vom Nussbaumersee
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Thomas Widmer: «Was hat uns der graue Tag im Thurgau nicht alles geschenkt. Ein gewaltiges Wasserrad. Schlafende Kleinseen. Die Begegnung mit einer einsamen Katze. Einblick ins Leben der alten RömerInnen. Und vor allem: eine exquisite Stille.»
VON THOMAS WIDMER
Wanderfreund Markus und ich fahren von Frauenfeld mit dem Bus über die Thur zur Kartause Ittingen. Gleich gibts einen Kafi. Doch zuvor spazieren wir durchs Areal. In diesem Kloster hatte jeder Mönch des Ordens, der Schweigen gebot, ein Hüsli samt Vorgarten. Einsamkeit hatte den Vorrang gegenüber gemeinschaftlichem Leben.
Heute ist die Kartause Ittingen weit über die Thurgauer Grenzen hinaus bekannt als Kultur- und Seminarzentrum; hinzu kommen ein Gutsbetrieb sowie Einrichtungen für betreutes Arbeiten und Wohnen. Im Restaurant isst man gut, doch dafür ist es viel zu früh. Wir begnügen uns mit unserem Startkafi, beäugen das Wasserrad von 1870 an der Wand der Gaststube. Durchmesser 8,7 Meter, Gewicht 3,7 Tonnen.
Wir stürzen uns in den Nebel. Kühl ist es, aber nicht kalt. Unser erstes Ziel ist die Seenplatte vier Kilometer nordwestlich. Wir steigen, vorerst im Wald, etwas auf, passieren den Bauernweiler Horben, die Äcker ruhen, das Stechlaub trägt weisse Raureif-Ränder.
Schliesslich geht es abwärts. Wir erreichen den ersten See des Tages, den Hüttwilersee. Stege führen durch den sumpfigen, braungelben Riedgürtel ans Ufer, im Wasser spiegeln sich die Bäume.
Zur Linken haben wir im Folgenden den Hasensee, freilich berührt ihn der Wanderweg nicht ganz. Unser nächstes Ziel ist schon nah, die Burgruine Helfenberg. Der Fünf-Minuten-Abstecher vom gleichnamigen Gehöft führt uns ein paar Meter in die Höhe. Oben hätten wir Sicht auf die umliegenden Seen. Doch eben, der Nebel. Dafür stellen wir in dem schulreise-trächtigen Gemäuer fest: Es liegt über der Landschaft eine exquisite Stille. Reden wir selber nicht, ist nichts zu hören.
Wir gehen zurück zum Gehöft, halten vorwärts zu See Nummer drei, dem Nussbaumersee. Als wir ihn erreichen, weichen wir vom markierten Wanderweg ab, wir bevorzugen gegenüber der südlichen Normalroute die Wege am nördlichen Ufer, das spart etwas Zeit, wir wollen nicht zu spät zum Zmittag kommen.
Bei der Badi im Gebiet Sandbuck halten wir. Und schauen uns den Steg an, der wie eine Kunstinstallation aus dem Wasser ragt. Leider ist das knallgelbe Bänkli mit der Frage «Wie geht’s dir?» zu klamm zum Sitzen. Eine Katze streicht auf ihm herum, miaut uns heran – sie will gestreichelt werden. Hernach geht’s ihr deutlich besser. Was uns angeht: Wir fühlten uns schon vorher gut.
Nach Nussbaumen ist es nun nicht mehr weit, gut so, wir haben Hunger. Adieu Seenplatte. Dass der «Löwen» offen ist, weiss ich aus dem Internet, ich habe reserviert. Das Lokal ist praktisch voll, da sitzen Einheimische, ältere vor allem, aber auch Handwerker und Chauffeure. Und nun gesellen sich also die zwei Herren Wanderer dazu. Das Essen ist einfach. Deftig. Günstig. Salat, Suppe, einen frittierten Pouletschenkel mit Teigwaren und Gemüse plus einen halben Liter Mineral gibt’s für 22 Franken 50.
Als wir wieder ins Freie treten, ist es immer noch grau. Uns gefällt das so sehr, dass wir fast ein wenig irritiert sind, als auf dem Weg nach Hüttwilen die Sonne sich durch den Nebel drängeln will. Was sie dann doch nicht ganz schafft. Schloss Steinegg sehen wir aus der Distanz durch die Bäume. Kurz darauf zwingt uns das Staanegger Tobel, die Augen zu Boden zu richten. Eine schmale Passage über dem Bach ist mit einem Geländer gesichert, ein wenig aufpassen muss man aber schon.
Am unteren Waldrand leisten wir uns den zweiten, wieder sehr kurzen Abstecher des Tages, durch die Wiese geht es zur Römerruine bei Stutheien. Vor knapp 100 Jahren grub hier der Kantonsarchäologe. Er entdeckte die Mauern einen Gutshofes. Mehrere Familien lebten in der Antike auf dem Areal. Im Herrenhaus war ein Bad mit Bodenheizung installiert. Was der Boden und die Ställe hergaben, hielt man im nahen Marktflecken Tasgetium, heute Eschenz, feil. Die Küche war reichhaltig mit Rind, Schwein, Schaf, Huhn, Hirsch, Hase, Fisch, die Speisen wurden auf verziertem Tafelgeschirr serviert, den Wein trank man aus dekorierten Tonbechern und wertvollen Glasgefässen. Doch, die hatten es gut auf dem Gut. Wenigstens die, denen das Gut gehörte.
In einer Viertelstunde beschwingten Auslaufens durch die Weinberge erreichen wir alsbald das grosse Dorf Hüttwilen. Dort kommt grad ein Bus, den wir aber ignorieren. Uns ist nach einem Schlussbier in der «Eintracht». Dort stossen wir an auf die diversen Überraschungen des Tages, darunter das Büsi vom Nussbaumersee. Wie es ihm wohl geht? Und ob es wohl wieder auf dem Bänkli warten würde, wenn wir ein zweites Mal vorbeikämen?
Anforderung: 16,1 km, 312 Meter aufwärts, 299 Meter abwärts. 4 Stunden, 6 Minuten.
Route: PDF von SchweizMobil
Thomas Widmer wohnt im Zollikerberg, ist Reporter bei der «Schweizer Familie» und hat mehrere Wanderbücher verfasst. Er wandert zwei Mal pro Woche und sagt: «Man wandert nicht nur durch eine Landschaft. Sondern auch durch die Kultur, die Geschichte, die Politik. Wenns dazu etwas Gutes zu essen gibt: grossartig!»