Das Passfoto-Paradox
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12. Oktober 2023 – Vor einigen Tagen war es wieder so weit: Ich musste aufs Passbüro, um dort meinen neuen Pass machen zu lassen. Schon als ich den Termin vereinbarte, schoss mir eine Frage durch den Kopf: Was ziehe ich bloss an?
Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich würde mich nicht als ausserordentlich eitel bezeichnen. Aber so ein Pass ist nun mal ein Dokument, das jahrelang gültig ist. Wenn ich mir da überlege, was ich anziehen soll, überlege ich mir unweigerlich auch, wie ich mich jetzt sehe und wie ich in den nächsten Jahren – zumindest in meinem Pass – gesehen werden möchte.
Dabei fiel mir auf: Vor einigen Jahren, als ich das letzte Mal im Passbüro antanzen musste, stand ich vor derselben Herausforderung und fragte mich, welches Outfit am besten für diesen Anlass geeignet wäre. Nun stand ich wieder vor dem Spiegel, dieselbe Überlegung im Kopf.
Die Wiederholung machte mich nachdenklich: Hatte ich mich denn in den vergangenen Jahren überhaupt nicht weiterentwickelt? Doch, mein Geschmack und mein Sinn für Ästhetik haben sich über die Jahre verändert. Was allerdings gleichgeblieben ist, ist die zugrundeliegende Frage: Welches Bild von mir möchte ich in meinem Reisepass präsentieren?
Es scheint, als ob ich in einer Art Zeitblase gefangen bin. Ich entwickle mich, verändere mich, werde selbstbewusster, aber wenn es darauf ankommt, das Bild meiner Identität für die nächsten Jahre festzuhalten, falle ich wieder in alte Muster zurück. Ich überlege zu sehr, wie was wirken könnte, wie andere darüber denken könnten, wie ich darauf reagieren würde. Das stresst mich dann irgendwie so stark, dass ich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehe. Und es zeigt mir, dass es nach wie vor Situationen gibt, in denen ich mir zu viel überlege und zu wenig mache.
Ach ja, das noch: Ich habe mich für den blauen Pulli entschieden, den ich derzeit fast am liebsten trage. Ganz schlicht, unaufgeregter als die bunte Adidas-Jacke von damals. In zehn Jahren läuft der Pass ab. Ich bin gespannt, was ich dann tragen werde.
Olivia Eberhardt (geb. 1994) hat 2017 ihr Studium an der ZHAW abgeschlossen und arbeitet nun als Redaktorin beim Online-Stadtmagazin «Züri Today». Sie bezeichnet sich als «Beobachterin mit feinen Antennen und dem Wunsch, die Essenz dieser Beobachtungen mit einem humoristischen Ansatz niederzuschreiben».