Das Züri-Oberland, die perfekte Bühne

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Edwin van der Geest: «Das Zürcher Oberland bietet an einem sonnigen Wintertag die perfekte Bühne für ein fröhliches 10-Hügel-Hüpfen. Von Steg im oberen Tösstal geht es über Hörnli, Schnebelhorn, Chrüzegg und Tweralpspitz zum Ricken.»

VON EDWIN VAN DER GEEST

Als ich in Steg dem Zug entsteige, ist es eiskalt. Die Sonne hat das enge Tösstal noch nicht erreicht. Also habe ich zunächst nur wenig Auge für die typischen Flarzhäuser. Handschuhe an, Mütze auf, der erste Kilometer wird gerannt. Ich passiere die Banner des berühmten Hörnlischlittelweges, die ein bisschen verloren dastehen in der aperen Landschaft. Bald ist mir warm, und ich schalte auf Wandermodus um.

Es ist noch kalt in Steg
Es ist noch kalt in Steg …
….während die Sonne das Hörnli schon wärmt
….während die Sonne das Hörnli schon wärmt (Fotos: Edwin van der Geest)

Gleich kommt die Sonne, und noch vor dem Tanzplatz verschwinden Handschuhe, Mütze und Fleece im Rucksack. Mit rassiger Musik in meinen Ohren stürme ich den Hügel hoch und stehe keine 45 Minuten nach dem Start auf dem Hörnli. Die junge Wirtin verwöhnt den frühen Gast mit einem hausgemachten Nussgipfel (super!) und einer Schorle. 

Die Aussicht vom Hörnli bietet bereits das volle Programm: Umgeben von den tausend Hügeln des Oberlandes, im Süden die Alpenkette von Säntis bis ins Berner Oberland. Ein Strahlen breitet sich über mein Gesicht aus; ein «Ihr dürft mich alle beneiden»-WhatsApp macht die Runde.

Fernsicht und Zirren auf dem Hörnli
Fernsicht und Zirren auf dem Hörnli

Ich steige über die bewaldete Nordseite ab und spure wenig später auf das Fahrsträsschen ein, das mich zur Hulftegg (Postauto, Restaurant) hinunterbringt. Von nun an bewegt sich die Tour im Auf und Ab zwischen 950 und 1331 Metern über Meer. Fast jedes neue Gipfelchen ist ein bisschen höher, anstrengend ist es nie. Und mit jedem Hoger wird der Pfad etwas alpiner, aber es bleibt immer gutmütig.

Blick zurück vom Älplispitz zur Hulftegg und dem Hörnl
Blick zurück vom Älplispitz zur Hulftegg und dem Hörnli

Zunächst bestaunen mich die jungen Rindli, als ich den Chrüzbühl-Hof passiere, den Weg verlasse und direkt über das Gras auf den namenlosen Pt. 1066 zusteuere. Zuhause stellt sich heraus, dass der Gupf «Älplispitz» genannt wird. Ich folge dem Gratrücken und stosse bei Pt. 955 wieder auf den Toggenburger Höhenweg, dem ich grundsätzlich folge. Allerdings immer wieder mit kleinen Abstechern auf die Gipfelchen. So zuerst auf den Roten – inklusive 15 Minuten Sonnenbad im getrockneten Gras unter den Nadelbäumen – und dann weglos der Gratkante entlang den Wald hinunter. Wenig später folgt ein kurzes Carve-out auf die Hirzegg, ein schön geformter Drumlin, mit Kreuz anstatt Baum verziert. 

Hirzegg, links der höchste Zürcher
Hirzegg, links der höchste Zürcher
Im Aufstieg zum Schnebelhorn
Im Aufstieg zum Schnebelhorn

Jetzt folgt der Anstieg zum höchsten Zürcher, dessen Höhe (1291 m) sich jeder Eidgenosse mühelos merken kann. Mit dem Übertritt nach St. Gallen kommt nun auch der erste Schnee. Der Abstieg ist etwas vereist, aber dafür habe ich ja meine Spikes hinaufgetragen. Die Aussicht ist herrlich, auch wenn der «warme» Wind, den mir das schöne Wetter beschert, hier oben doch ziemlich kalt ist. Aber wen kümmert’s! Softshell-Jacke und Hardshell-Hosen schützen perfekt, meine Stimmung könnte nicht besser sein. Vor lauter Glücksgefühlen weiss ich gar nicht, wofür und bei wem ich mich bedanken müsste. 

Winterspuren auf dem Schnebelhorn
Winterspuren auf dem Schnebelhorn

Während der Traversierung des Schindelbergs (es lohnt sich, hier den herumführenden, offiziellen Weg zu verlassen) stopfe ich meine Kopfhörer erneut in die Ohren und lausche ein Violinstück von Rachmaninoff. Gerührt von der landschaftlichen Schönheit und der schönen Musik lassen sich die Tränen in meinen Augen nicht mehr alleine auf den kalten Wind zurückführen. 

Der Schindelberg – geometrisch wie ein Hausdach
Der Schindelberg – geometrisch wie ein Hausdach

In dieser euphorischen Stimmung, die Beine tun heute auch besonders gut mit, wechsle ich mangels anderer Gesprächspartner ein paar aufmunternde Worte mit dem einzigen Nadelbaum auf der Rosegg. Der stellt sich winkelriedmässig schützend vor die Laubbäume (siehe links unten) und trotzt dem wohl gewohnten Wind.

Bänkli
Eine schöne Bank lädt zur Pause ein – knorrige Gesellen am Wegrand

Der Aufstieg über die Nordflanke des Hablütispitzes ist ziemlich vereist. Jetzt vermisse ich die Stöcke, aber bald dreht die Route nach Süden, und eine schöne Bank lädt zur Pause. Was für ein herrlicher Blick durch das Goldingertal zum Obersee und in die Alpen! Da nehme ich mir gerne in Ruhe Zeit für ein paar Telefonate. Dann nehme ich auch hier das Gipfelchen mit und freue mich dabei über den bezaubernden Blick hinunter ins Toggenburg. 

Winterstimmung am Hablütispitz
Winterstimmung am Hablütispitz

Der zweitletzte Aufstieg des Tages erweist sich nicht ganz überraschend als anspruchsvoll – aber nur aufgrund der Verhältnisse. Der Schnee auf der bewaldeten Nordseite der Chrüzegg ist komplett vereist. Als ob weisse Lava über die Baumwurzeln geströmt wäre. Ohne die Spikes wäre ich chancenlos, Halbsteigeisen wären das probatere Hilfmittel gewesen. Ein eigenartiges Gefühl, so durch das Gehölz aufzusteigen. Umso mehr freue ich mich, bald auf der voll besonnten Chrüzegg zu stehen, die mich an so viel Schönes erinnert. 

Die Chrüzegg mit ihrer schönen Gipfelbank. Im Hintergrund Säntis und Churfirsten, rechts der Tweralpspitz
Gipfelbank auf der Chrüzegg. Im Hintergrund Säntis und Churfirsten, rechts der Tweralpspitz

Die sonst so beliebte und belebte Chrüzegg-Beiz liegt derweilen verlassen im Schnee, die Ruhe wirkt fast ein bisschen beklemmend. Die folgende Route über den Tweralpspitz ist bekanntes Gelände, wie oft habe ich meine Kids hier vom Atzmännig kommend durchgeschleift! Allerdings nie im Winter, und so ist auch dieses Teilstück auf seine Art eine Premiere. 

Der Schnee auf den Spuren zum Tweralpspitz ist glücklicherweise griffig, im Nu stehe ich auf dem letzten Hoger und gleichzeitig höchsten Punkt des Tages (1331 m). Grund genug, bei der schöngelegenen, altbekannten Feuerstelle nochmals inne zu halten, in Erinnerungen zu schwelgen und den Blick über den Tanzboden zum geliebten Speer schweifen zu lassen. 

Auf dem Tweralpspitz: Säntis, Silberplatten, Stockberg, Nüenalpspitz … alles gute Bekannte
Auf dem Tweralpspitz: Säntis, Silberplatten, Stockberg, Nüenalpspitz … alles gute Bekannte
Nachmittagstimmung über dem Obersee
Nachmittagstimmung über dem Obersee

Schliesslich atme ich dankbar durch und mache mich an den glitschigen Abstieg über die Schwammegg nach Oberricken. Da gerade kein Bus fährt, folgt noch etwas Asphalt bis zur Rickenpasshöhe, aber das tut der Freude an einem so schönen Tag keinen Abbruch.

Ricken, Churfirsten, Tanzboden, Speer, Federispitz – mein Homeland
Ricken, Churfirsten, Tanzboden, Speer, Federispitz – mein Homeland

Anreise: Bequem mit der S-Bahn; vom Ricken fährt ein Bus nach Jona oder Wattwil. Von dort mit dem Zug zurück.

Anforderung: 25,5 km, 1380 m aufwärts, 1295 m abwärts, 8 1/2 Stunden.

Route: PDF von SchweizMobil

Edwin van der Geest

Der Zolliker Edwin van der Geest ist ein begeisterter Wanderer. Er beschreibt in dieser Kolumne jeden Monat eine seiner Lieblingstouren.

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