Der Gemeinderat geht auf den Stoos in Klausur
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3. Oktober 2022 – Diese Woche nimmt der neue Gemeinderat laut seinem Präsidenten Sascha Ullmann die Erarbeitung der Legislaturziele 2022–26 in Angriff. Im November folgt eine zweitägige Klausur auf dem Stoos. Wenn alles nach Plan laufe, könne das Ergebnis an der Gemeindeversammlung vom 30. November vorgestellt werden. – Mit einem Kommentar von René Staubli.
Sascha Ullmann (GLP) verströmt Zuversicht: «Ich freue mich auf die Legislatur und bin überzeugt, dass wir einen guten Gemeinderat haben.» In den ersten Wochen sei es darum gegangen, sich besser kennenzulernen und die Abläufe einzuspielen. Das sei «ein konstruktiver und spannender Prozess».
Viereinhalb Monate nach der Wahl vom 15. Mai und 86 Tage nach der Konstituierung anlässlich der ersten Sitzung vom 6. Juli hat das Gremium zunächst kleinere Aufgaben bewältigt, beispielsweise die Abnahme der Jahresrevision des Betreibungsamtes, die Teilrevision des Abfallgebühren-Reglements oder den Ersatz der Gasheizung im Friedhofgebäude Dorf.
Doch diese Woche will der neu gewählte Gemeinderat die wohl bedeutendste strategische Aufgabe anpacken: die Erarbeitung der Legislaturziele für die nächsten vier Jahre, die sich von den Schwerpunkten 2018–22 ziemlich stark unterscheiden dürften. Dort war beispielweise keine Rede ist vom Umgang mit dem Klimawandel und der Umstellung auf nachhaltige Energien.
Wichtige Entscheide in den Sommermonaten
Im Laufe des Sommers sind einige wichtige Entscheidungen bekannt geworden, die direkte Auswirkungen auf die Legislatur-Diskussion haben werden. So hat der alte Gemeinderat die Projektarbeiten zur Ortskernentwicklung (Beugi) abgebrochen, weil die Initiative Widmer nicht umsetzbar ist. Die Bevölkerung soll diesen Beschluss am 27. November an der Urne stützen. Vom Gemeinderat erwartet man nun zeitnah Vorschläge, wie es in der Beugi und mit dem genossenschaftlichen Wohnungsbau weitergehen soll. Dazu Sascha Ullmann: «Es ist klar, dass beide Themen in die Legislaturziele einfliessen müssen. Wir stehen im Dialog mit den Wohnbau-Genossenschaften.»
Der Gemeinderat verzichtet überdies auf eine Beschwerde gegen den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts, der Forchbahn den Bau von Bahnschranken beim Spital Zollikerberg und am Rosengarten zu erlauben. Damit könnte sich die Verkehrssituation im Zollikerberg zuspitzen, auch deshalb, weil das neue Kinderspital Mehrverkehr in der Lengg verursachen wird und die Stadt Zürich nun auch noch einen Testlauf mit der Spurreduktion auf der stark frequentierten Bellerivestrasse starten will.
Wunschtraum Untertunnelung
In ihrem Parteiprogramm (ZollikerNews vom 5. April 2022) fordert die GLP Zollikon die Untertunnelung des Zentrums Zollikerberg für den Durchgangsverkehr «ab Stadtgrenze bis Ende Siedlungsgebiet in Zollikerberg». Sollte das nicht möglich sein, wollen die Grünliberalen zumindest den «Dorfplatz Binz-/Forch-/Rosengartenstrasse untertunneln, um die beiden Dorfteile über einen qualitativ hochwertigen, zentralen Platz beim Schulhaus Rüterwis und Bibliothek/Freizeitzentrum für Fussgänger zu verbinden».
Alles nur schöne Worte aus dem Wahlkampf? Ullmann dazu: «Eine von der Gemeinde alleine finanzierte Untertunnelung war nie ein Thema, das kostet schnell 100 Millionen. Vor dem Finanzausgleich hätte das vielleicht funktioniert, wie das Beispiel Zumikon zeigt. Heute sind wir aber auf den Kanton angewiesen.»
Als Vizepräsident der Zürcher Planungsgruppe Pfannenstil (ZPP) und Verantwortlicher für das Ressort Verkehr arbeite er jedoch mit aller Kraft darauf hin, in ein Agglomerations-Programm aufgenommen zu werden, in dem Bundesgelder gesprochen werden. Das dürfte allerdings ein hartes Stück Arbeit werden, denn gegenüber den «ZollikerNews» äusserte sich Markus Gerber, Mediensprecher der kantonalen Volkswirtschaftdirektion, am 14. März 2022 zu einer möglichen Umgestaltung der Forchstrasse skeptisch: «Wir haben die Projektliste der Gemeinde gesamthaft geprüft und festgestellt, dass darauf keine in den folgenden Jahren umsetzungsreife Massnahmen enthalten waren, die nicht auch ohne Bundesbeiträge umgesetzt hätten werden können.»
Was den zu erwartenden Mehrverkehr wegen der Spurreduktion an der Bellerivestrasse angeht, will Ullmann auch in Zollikon den Verkehrsfluss messen lassen, «um beurteilen zu können, welche Auswirkungen die Massnahme auf unsere Gemeinde hat; ich bin mit der Stadt Zürich an diesem Thema dran». Wo an der Stadtgrenze aus zwei Spuren eine werde, befürchte er Rückstau. Die Einfahrt von der Dufourstrasse in die Seestrasse könnte deshalb zu einem Nadelöhr mit gravierenden Folgen werden, «insbesondere auch für unsere wichtigen Busverbindungen».
Es brauche klare Abbruchskriterien für den Versuch an der Bellerivestrasse, zum Beispiel, wenn es zu einem Rückstau auf der See- oder der Dufourstrasse komme: «Wie bei einem gestauten Bächlein werden sich die Umfahrungsrouten erst mit der Zeit einschleifen, darum braucht es auch die systematische Beobachtung der Zolliker Quartierstrassen.»
Punktuelle Gestaltung des Seeufers
Ein weiteres Legislaturziel müsste darin bestehen, Zollikons weitgehend unbewirtschafteten Seeanstoss endlich aufzuwerten. Was will der Gemeinderat diesbezüglich unternehmen? Ullmann: «Beim Thema Seeufergestaltung steht bei mir die Wässerig an der Stadtgrenze ganz oben auf der Agenda.» Die Gemeinde hat das Areal vor einigen Jahren den SBB abgekauft und kann es nach dem Bau des Seewärmewerks aufwerten.
Ullmann wünscht sich dort «ein kleines Gebäude mit Garderobe und der nötigen Infrastruktur für die Besucherinnen und Besucher dieser schönen Liegewiese». Diese ist allerdings von der Zolliker Bevölkerung nur auf Umwegen erreichbar, weil die Bahngeleise und die Seestrasse im Weg stehen. Leichteren Zugang wird man zur Badestelle beim Altersheim am See haben, die der Öffentlichkeit auch nach einem Verkauf der Immobilie offenstehen soll.
Eine grössere Herausforderung ist das eigentliche Herzstück der Seegemeinde Zollikon, der Park mit den beiden Schiffshäfen bei der Schifflände. Der Zolliker Architekt Alain Merkli hatte vor Jahren ein attraktives Projekt angedacht, das jedoch in den Schubladen verschwand. Die «zeitnah machbare Idee unter Berücksichtigung aller Hindernisse und Einschränkungen ist noch nicht geboren worden», konstatiert Ullmann, stellt aber in Aussicht: «Auch die längerfristige Gestaltung unserer Seeuferflächen will ich an unserer Retraite im November zum Thema machen.»
Politisches Kräftemessen
Legislaturziele sind immer auch das Ergebnis eines politischen Kräftemessens. Nach wie vor stellt die FDP im Gemeinderat mit 4 von 7 Sitzen die absolute Mehrheit. Die Grünliberalen besetzen 2 Sitze, das Forum 5W einen. Die SVP – nach wie vor stärkste Partei der Schweiz – ist nach dem freiwilligen Abgang ihrer beiden Gemeinderäte Martin Hirs (kandidiert für den Kantonsrat) und Bernhard Ecklin weder im Gemeinderat noch in anderen Behörden vertreten. (rs)
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KOMMENTAR
«Was machen wir gross?»
VON RENE STAUBLI
3. Oktober 2022 – Ich erinnere mich gerne an Kurt W. Zimmermann, meinen Chefredaktor bei der «SonntagsZeitung» in den 1990er-Jahren. Unser Wirtschaftsressort bestand damals aus sechs Journalisten. Mittwochs kam «Zimmi» jeweils in unsere Sitzung und fragte: «Jungs, was machen wir gross?»
Mit diesem Standardsatz wies er uns darauf hin, worauf es ihm ankam: Wir sollten unsere Kräfte auf die wichtigen Themen konzentrieren. Er wollte nicht, dass wir uns verzetteln; lieber eine grosse Geschichte mit Wirkung als zehn kleine.
Im «ZollikerZumikerBoten» vom 15. Juli bilanzierte der abtretende SVPler Martin Hirs, das Amt eines Gemeinderats sei «sehr zeitintensiv, und für grosse Würfe fehlten die Ressourcen». Es seien «die kleinen Schritte, die zum Ziel führten». Grosse Ziele könnten nur erreicht werden, «wenn Politiker, Bevölkerung und Interessengruppen am gleichen Strick ziehen».
Wenn im Gemeinderat für grosse Projekte die Ressourcen fehlen, dann stimmt etwas nicht mit der Organisation. Vom neuen Gemeinderat erwarten wir, dass er nach einem Jahrzehnt des Stillstands bei grossen Projekten wie Beugi, Dorfzentrum, Zentrumsgestaltung Zollikerberg und See-Liegenschaften innert nützlicher Frist machbare Projekte vorschlägt.
In seinen ersten vier Sitzungen hat sich das Gremium mit Themen wie der Bestätigung des Redaktionsteams des Zolliker Jahrhefts, der Teilrevision des Verwaltungsreglements der Rosa Schelling-Stiftung, der Umnutzung der Telefonzentrale Buchholzstrasse 15 oder der Umgebungsgestaltung mit Fokus auf Biodiversität an der Bergstrasse 10 beschäftigt.
Es ist an der Zeit, sich an Kurt W. Zimmermanns Spruch zu erinnern: «Was machen wir gross?»
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Je nach Wohnort werden die Gemeinderätinnen ihren Fokus auf verschiedene Themen legen. Der Zollikerberg ist klar untervertreten und deshalb wird wohl die Zentrumsgestaltung im Raum Rosengartenstrasse hintanstehen müssen. Die Zweiteilung der Gemeinde ist mit ein Grund, warum es einfach nicht vorwärts geht mit den grossen Schritten.