Der Gitarrenvirtuose und der stille Betrachter
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28. März 2022 – Der Gitarrist Max Lässer und der Schriftsteller Pedro Lenz beschreiben am 31. März im Gemeindesaal die Vielfältigkeit der Schweiz: «Bündner Nusstorte und Thaicurry» gehen hierzulande Hand in Hand. Wir haben Lässer in seinem Musikstudio in Baden besucht.
Er hat Andreas Vollenweider in Europa und den USA auf Tournéen begleitet. Mit seiner Gitarre untermalte er die eingängigen Lieder des Churer Singer-Songwriters Walter Lietha. Als Konzertgast oder Studiomusiker trug er zum Sound von «Patent Ochsner» und der Hardrock-Band «Gotthard» bei. Für Stephan Eichers legendäre Platte «Engelberg» spielte er mit dem Drummer Manu Katché, der mit Superstars wie Peter Gabriel, Sting oder Dire Straits auftrat, sowie mit dem Bassisten Pino Palladino, der mit Phil Collins, Elton John und David Gilmour von Pink Floyd auf der Bühne stand.
Jetzt sitzt Max Lässer in seinem Musikstudio in Baden hinter einem Mischpult und einem grossen Bildschirm und spielt – Schwyzerörgeli. Dieses urschweizerische Instrument habe er im Lockdown entdeckt, sagt Lässer. Dann wechselt er zur elektrischen Gitarre, legt mittels Computer-Software einige Basisakkorde in einen Loop und setzt eine Melodie drauf, erzeugt sphärische Klänge. Man betrachtet sein Fingerspiel und weiss: da ist ein Virtuose am Werk.
Briefmarken für eine Gitarre
Max Lässer wurde 1950 in Zürich geboren. Er war ein Einzelkind und lebte mit seinen Eltern, «die vom Alter her fast meine Grosseltern hätten sein können», in einer bescheidenen Dreizimmerwohnung am Kreuzplatz. Er habe als Jugendlicher viele Freiheiten genossen, dauernd Platten gehört. Die Beatles und die Stones hatten gerade ihre Karrieren gestartet.
Musikalisch versuchte er sich zuerst am Klavier, weil seine Halbschwester Klavierlehrerin war. Die Tasten sagten ihm aber nicht zu. Mit 16 verscherbelte er seine Briefmarkensammlung, um sich eine Gitarre zu kaufen. Er brachte sich alles selber bei, spielte bald in einer Band, die in Kellern und Jugendhäusern auftrat.
Die Lehre habe er eher nebenbei gemacht, «drei Minuten von zuhause in einer Bank». Nach dem Abschluss arbeitete er keine Minute länger dort, hinter einem Schalter mochte er sich nicht langweilen. Ein US-Verlag im Seefeld, der den Finanzplatz mit Informationen versorgte, beschäftigte ihn tagsüber ein paar Stunden und manchmal auch in der Nacht. Was ihn faszinierte, war der IBM-Composer, ein Vorläufer des Computers, die englische Sprache eignete er sich on-the-job an.
«Eine harte, aber lehrreiche Schule»
Als die Firma nach London zog, bekam er eine Abgangs-Entschädigung in der Höhe von drei oder vier Monatslöhnen. «Das war mein Startkapital – von nun an setzte ich voll auf die Musik.» Mit seinen Folksongs tingelte er durch Beizen in der ganzen Schweiz, manchmal mit der gleichaltrigen Sängerin Dodo Hug. «Wir liessen den Hut herumgehen und finanzierten uns so den Lebensunterhalt; das war eine harte, aber lehrreiche Schule.» Inzwischen lebte er in einer WG mit Walti Anselmo und Hardy Hepp von «Krokodil». Er begleitete Toni Vescoli auf seinen ersten Platten. Die Verstärker drehte man in einem Haus auf dem Land auf, im Thurgau: «In der Stadt konntest Du ja gar nicht ungeniert üben.»
Mit der Karriere ging es stetig voran, bald wurde ihm die Schweiz zu eng, Amerika lockte. Mit «Earthwalk» schaffte es Max Lässer 1987 in die vordersten Ränge der amerikanischen Jazz-Charts. Er bekam in New York einen Vertrag bei CBS Masterworks, einem Label, das auch Andreas Vollenweider und den britischen Jazz- und Rockgitarristen John McLaughlin managte.
Dass er nicht wie dieser in die Kategorie der absoluten Superstars aufstieg, hatte zwei Gründe: «Zum einen fehlte es mir an Geld und Sponsoren, um eine Band auf die Beine zu stellen und eine US-Tournée zu organisieren, die damals fällig gewesen wäre.» Zum andern wollte er sich musikalisch weiterentwickeln, neue Erfahrungen sammeln. Lässer ging zu Indianern in die Wälder nördlich von San Francisco und nahm «begierig die kulturelle Energie auf, die in dieser Gemeinschaft herrschte». Später reiste er nach Südafrika, um sich von einheimischen Musikern inspirieren zu lassen. Mit dem Sänger und Gitarristen Madala Kunene und Lulu Plaatjes, einer Sängerin mit unverwechselbarer Stimme, spielte er das Album «Madamax» ein.
Musikalische Zäsur
Diese Einflüsse, kombiniert mit der Trennung von seiner Frau führten zu einer musikalischen Zäsur. «Ich spielte früher sehr kontrolliert, brauchte Sicherheit. Die südafrikanische Musikkultur zwang mich, Kontrolle abzugeben. Ich kam bei den Sessions in einen Flow, den ich zuvor nicht erlebt hatte.» Heute ecke er musikalisch viel mehr an, versuche das Unmittelbare einzufangen, einfachere Strukturen und Melodien zu spielen, spontaner und rauher.
Es folgten einige Experimente, zum Beispiel mit einem Badener Slampoeten – Musik und Texte kombiniert. Der Schriftsteller Pedro Lenz, unter anderem bekannt geworden als Verfasser des Drehbuches für den Film «Der Goalie bin ig», habe ihm nach einem Auftritt fast ein wenig neidisch gesagt, er würde auch gerne so was mit ihm machen.
Nach guten Jahren mit seinem «Überlandorchester», mit dem er «Schweizer Alpenmusik» spielte, «eng und weit, knorzig und luftig, ganz wie die Landschaft, in der sie entsteht», merkte er, dass es Zeit für etwas Neues war. «Ich rief Pedro an, wir trafen uns bei einem Nachtessen und einer guten Flasche Wein und beschlossen, es miteinander zu versuchen.»
Lässer schrieb ungefähr 60 Nummern – «ich habe auf Halde gearbeitet» –, von denen nur gerade jede fünfte Verwendung fand. Er habe viel Zeit in seinem Badener Studio verbracht: «Loops eingespielt, mit der Gitarre gepinselt, gemalt, g’sändelet, ich mag die Weite der Töne.» Es ging darum, Pedro Lenz eine stimmige Atmosphäre für die vorgelesenen Texte zu liefern.
Die Zusammenarbeit war anspruchsvoll: Es sei wichtig gewesen, die Texte von Pedro mit ihrem speziellen Flow so zu strukturieren, dass auch die Musik Platz hatte: «Ich musste ihm zeigen, wann er einsetzen und wann er meinen Gitarrenblock abwarten musste.»
«Mittelland» – Suche nach der Schweizer Seele
So entstand das Projekt «Mittelland», laut Eigenwerbung «eine Suche nach der Seele der Schweiz in diesem Streifen quer durch das Land, wo die Handwerker und Bürogummis leben, die Linken, die Netten und die anderen auch, die Alten und die Jungen – nicht das Matterhorn ist die Schweiz, sondern Egerkingen und Utzensdorf. Oder Olten und Baden.»
Im wunderbaren Stück «Fusion» geht es darum, dass sich Schweizerinnen und Schweizer inzwischen ebenso gut im fernen Osten auskennen wie in den Schweizer Bergen: «Zum Apéro es lokals Bierli und zum Ässe dänn de auschtralisch Rotwii, wo so guet iifaahrt. Zum i de Gägend umeheize es asiatisches Auto und hinedruff dä Chläber, wo z’Pole sehr günschtig druckt isch worde und so guet chläbt am Subaru und wo i Ruuneschrift druf schteit: Eidgenosse.»
80 Auftritte waren mit «Mittelland» geplant, etliche fielen wegen Corona aus, auch jener in Zollikon. Nun kommen sie mit ein wenig Verspätung doch noch in den Gemeindesaal – in ein Ambiente, wie es karger nicht sein könnte. «Das ist der Sonderfall Schweiz, wo die Kultur grösstenteils ehrenamtlich betrieben wird», sagt Max Lässer. «Wir mögen das und werden schon dafür sorgen, dass die Leute vergessen, wo sie sind.» (rs)
Eine Veranstaltung des Kulturkreises Zollikon im Gemeindesaal. Donnerstag, 31. März, 19.45 bis 22 Uhr. Eintritt 40 Fr., Jugendliche 30 Fr.
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Die Künstler haben dieses Programm vor einiger Zeit erarbeitet. Unterdessen ist schon der Titel „Bündner Nusstorte und Thaicurry“ sehr gewagt. Es gibt in der Woke-Kultur die Meinung, dass „Curry“ eine rassistische Bezeichnung und als kulturelle Aneignung westeuropäischer Länder abzulehnen ist. Im Umkehrschluss müssten wir auch über die Bezeichnung des Gebäcks aus dem rätoromanischen Sprachraumes nachdenken. Achtung dünnes Eis!