Der Waldhüttentraum ist ausgeträumt
1 KOMMENTARE
25. April 2024 – Am letzten Montag um 15.34 Uhr ist im Zolliker Wald ein lokales Denkmal gestürzt worden. Ein Bagger hat den Kamin der Forsthütte umgeworfen. Der Schutthaufen symbolisiert das Ende eines jahrelangen vergeblichen Kampfes um den Erhalt eines beliebten Treffpunkts – ein Nachruf. (1 Kommentar)
25. April 2024 – Am letzten Montag um 15.34 Uhr ist im Zolliker Wald ein lokales Denkmal gestürzt worden. Ein Bagger hat den Kamin der Forsthütte umgeworfen. Der Schutthaufen symbolisiert das Ende eines jahrelangen vergeblichen Kampfes um den Erhalt eines beliebten Treffpunkts – ein Nachruf.
1957: Die Forstarbeiter der 1798 gegründeten Zolliker Holzkorporation bekommen endlich ein Betriebsgebäude. Erstaunlicherweise gibt es weder im Ortsmuseum noch bei der Korporation Fotos von damals. Auch in den Medien wird die neue Hütte nicht erwähnt. In der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 25. Oktober 1962 findet sich einzig ein kurzer Bericht, wonach ein Pyromane im Jahr 1959 Feuer ans Schützenhaus in Uitikon am Albis und «an je eine Waldhütte der Holzkorporationen Schlieren und Zollikon» gelegt haben soll. In unserer Gemeinde erinnert sich niemand mehr daran.
1974: Die primitive Forsthütte wird einer Renovation und Erweiterung unterzogen. Mit der Schaffung eines Garderobe- und Duschraums sowie dem Einbau einer Zentralheizung und einer Küche im Aufenthaltsraum können die Arbeitsbedingungen der Forstleute stark verbessert werden. Gleichzeitig wird eine Traktorengarage an den bestehenden Geräteschopf angebaut.
2011: Der Quartierverein Zollikerberg möchte für die Bevölkerung gerne eine Waldhütte haben. Umliegende Gemeinden wie Küsnacht, Maur, Fällanden oder Herrliberg verfügen über dieses Privileg. Der ehemalige Quartiervereins-Präsident Fritz Wolf erinnert sich: «Für uns kam unter anderem der Standort oberhalb des Reservoirs beim Parkplatz Fohrbach für einen Neubau in Frage.» Eine weitere Möglichkeit wäre der Ausbau eines bestehenden Holzschopfs am Waldrand in der Nähe der Allmend gewesen (beim «Lindenbänkli») – ideal von der Grösse her (83m2), idyllisch gelegen mit Blick auf den Zürichsee, zu Fuss gut erreichbar. «Die Umnutzung hätte eine formidable Waldhütte ergeben», schwärmt Wolf noch heute. Doch bei den Besitzern, den Zolliker Altbürgern, habe man «trotz mehreren Anfragen kein bisschen Gehör gefunden». Also erkundigt sich der Quartierverein bei der kantonalen Baudirektion, ob ein Neubau im Wald grundsätzlich bewilligungsfähig wäre.
2012: Die Baudirektion erteilt dem Quartierverein eine unmissverständliche Absage: Eine neue Hütte im Zolliker Wald komme überhaupt nicht in Frage, und wenn, dann höchstens mit einer Nutzfläche von maximal 35 m2. Grundsätzlich seien die Nutzungen für Forst, Jagd und Geselligkeit zusammenzulegen, erklärt der Kantonsforstingenieur Konrad Noetzli. Für «Nutzungen im Sinne der Wohlfahrt» stünden in Zollikon ja auch die Hütte der Jagdgesellschaft in der Auenrüti und die Forsthütte im Feufbüel zur Verfügung – was nicht ganz stimmt, denn die Zolliker Jäger vermieten ihre Hütte nicht an Private, und die Forsthütte kann nur bedingt beansprucht werden, etwa am Samichlaustag oder für eine Weihnachtsfeier.
2014: Der Holzkorporation genügt die alte Forsthütte nicht mehr. Im Winter ist es drinnen manchmal kälter als draussen, und wenn eine Maschine Öl verlieren würde, käme es zu einer Verschmutzung des Waldbodens. Deshalb plant man einen Neubau. Der Quartierverein hofft, die alte Forsthütte instandstellen und für private Anlässe nutzen zu können.
Ganz unproblematisch ist das freilich nicht, denn in den letzten Jahren haben etliche BenutzerInnen die Hütte in einem unordentlichen Zustand hinterlassen, so dass die Holzkorporation den Raum nur noch vertrauten Institutionen wie dem Familienclub zur Verfügung stellt.
Der Quartierverein fragt den Gemeinderat an, ob er eine Sanierung der Forsthütte unterstützen würde. Ideell schon, bekommt er zur Antwort, aber wegen der angespannten Finanzlage könne die Gemeinde in den nächsten zwei Jahren keinen Beitrag leisten.
2015: Die Holzkorporation bekommt die Baubewilligung für ihren Ersatzneubau, aber die Organisation Pro Natura macht eine Einsprache, die teilweise gutgeheissen wird. Pro Natura kritisiert den Standort und die Grösse des neuen Betriebsgebäudes, ausserdem liege es auf einem Waldstück mit Quellenschutz. Der Rechtsstreit endet mit dem Ergebnis, dass die Holzkorporation den Standort leicht verschieben, die Grösse des Gebäudes reduzieren und ein neues Projekt einreichen muss.
2016: Der Quartierverein macht sich weiterhin Hoffnungen. Er stellt fest, dass die Forsthütte alle Wünsche der Bevölkerung erfüllen würde: Sie ist für Anlässe genügend gross, in 10 Gehminuten vom ÖV her erreichbar, für behinderte Personen sogar mit dem Auto. Der Optimismus wächst, allerdings findet sich in einem Brief auch dieser Satz: «Ob unsere Odyssee nach jahrelangen Irrungen und Wirrungen endlich ihr Waldhütten-Ithaka gefunden hat, bleibt abzuwarten.» Ithaka ist der Name der griechischen Insel, auf die Odysseus nach seiner langen Reise zurückkehrte, den Freier seiner Frau Penelope tötete und die Regierung übernahm.
2019: Nach dem jahrelangen Streit mit Pro Natura reicht die Holzkorporation ein revidiertes Baugesuch für das Betriebsgebäude ein. Im darauffolgenden Jahr erteilt die Gemeinde die Baubewilligung, die eine unmissverständliche Bedingung der kantonalen Baudirektion enthält: Der neue Werkhof darf nur gebaut werden, wenn die alte Forsthütte im Gegenzug dem Erdboden gleichgemacht wird. Für den Quartierverein ist das auch deshalb eine schlechte Nachricht, weil er von privaten Sponsoren bereits die Zusagen von mehr als 100’000 Franken für eine Renovation der Forsthütte bekommen hat.
2021: Nach langer Arbeit mit vielen Beteiligten reicht der Quartierverein beim Kanton noch einmal ein Gesuch für den Erhalt der Forsthütte ein und argumentiert: «Die Erhaltung dieses für die vorgesehene Nutzung optimal erschlossenen Gebäudes ist eine einmalige Chance, denn die Forsthütte würde viele Bedürfnisse abdecken»:
- Die Schule könnte sie als «Waldklassenzimmer» und Ausgangspunkt für Exkursionen nutzen.
- Das Sozialamt der Stadt Zürich, das seit rund 25 Jahren mit dem Angebot «Joblade» vor Ort ist, bekäme anstelle der vier Baustellenwagen, die auf dem Gelände parkiert sind, einen warmen Umkleide- und Aufenthaltsraum mit Kochgelegenheit über Mittag.
- Der Ornithologen-Verein könnte sich einen Stützpunkt und in der Nähe einen Beobachtungssitz, ein Brutkasten-Magazin und ein Aufzuchtgehege einrichten.
- Pro Natura könnte in der Forsthütte Veranstaltungen zum Schutz des Waldes organisieren.
- Der Verschönerungsverein, der Familienclub, die Pfadi und andere Zolliker Vereine bekämen einen tollen Ort für gesellige Anlässe.
Der Quartierverein hätte die Forsthütte übernommen, «entweder im Eigentum, im Baurecht oder in Pacht der Holzkorporation, wir hätten auch die Sanierung durchgeführt und wären anschliessend sogar für den Betrieb und den Unterhalt aufgekommen», erinnert sich Fritz Wolf. Zu einem späteren Zeitpunkt hätte man dann wohl eine Trägerschaft in Form eines Vereins gebildet. Der Gemeinderat verspricht in eigener Kompetenz einen einmaligen finanziellen Beitrag.
Das Veto der Baudirektion
Es scheint also alles ganz gut zu laufen, wäre da nur nicht die kantonale Baudirektion – und die stellt das Signal auf Rot. Die Umnutzung der Forsthütte sei nicht bewilligungsfähig, heisst es im Rahmen einer Vorabklärung lakonisch. Die Begründung bleibt dieselbe: Die Forsthütte wird durch den Bau des neuen Forstwerkhofs ersetzt, eine Weiternutzung ist deshalb nicht möglich. Damit die Hütte stehenbleiben kann, müsste der neue Werkhof stark redimensioniert werden (was für die Holzkorporation nicht in Frage kommt). «Die rechtskräftige Baubewilligung inklusive Abbruch der Forsthütte ist eine Einheit, Teile davon können nicht nachträglich aufgehoben werden», schreibt die kantonale Baudirektion.
Und sie fügt an die Adresse des Quartiervereins noch eine Bemerkung an: «In Ihrem Schreiben vom 3. März 2021 führen Sie aus, dass Sie seit mehreren Jahren Standorte für eine Waldhütte für gesellige Anlässe evaluieren, wie sie entsprechend der kantonalen Praxis für jede Gemeinde zustehen. Dem müssen wir entgegenhalten, dass grundsätzlich kein solcher Anspruch besteht. Gemäss kantonaler Bewilligungspraxis gilt, dass Räume für gesellige Anlässe in forstlich genutzten Gebäuden unter bestimmten Voraussetzungen integriert werden können.» Mit andern Worten: Wenn die ZollikerInnen im Wald feiern möchten, müssten sie das im neuen Betriebsgebäude der Holzkorporation tun, das für solche Nutzungen aber nicht zur Verfügung steht.
Regierungsrat Neukom, die letzte Hoffnung
Ein letztes verzweifeltes Aufbäumen in Form eines Schreibens an den zuständigen Regierungsrat Martin Neukom bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Seine ebenso diplomatische wie unmissverständliche Antwort: Es freue ihn, dass sich der Quartierverein Zollikerberg dermassen für die Bevölkerung einsetze. Einen Ermessensspielraum der Behörden in Sachen Forsthütte gebe es aber leider nicht. Den neuen Forstwerkhof habe der Kanton nur unter der Bedingung bewilligt, dass die alte Forsthütte im Gegenzug abgebrochen werde: «Ein Nichtabbruch würde zu einem Rechtsbruch führen.»
2022: Der jahrelange Kampf des Quartiervereins Zollikerberg geht definitiv zu Ende. Eine letzte Idee, zusammen mit Zumikon eine Waldhütte zu bauen, wird wegen mangelnden Interesses auf Seiten der Nachbargemeinde aufgegeben. Die Holzkorporation baut ihr neues Betriebsgebäude und nimmt es in Betrieb.
Zollikon habe einen der grössten Waldflächenanteile im Kanton (1/3 des Gemeindegebiets ist Wald), aber dennoch keine Waldhütte, bilanziert Fritz Wolf. Zwar stünden der Bevölkerung drei wunderbare Unterstände zur Verfügung: Chüele Grund, Spitzhütte und Glarnerwies. Aber eine «wind- und wettertrotzende, auch winters benutzbare Waldhütte für die Bevölkerung gibt es bis heute nicht» – und wird es wohl nie geben.
2024: Im Januar tritt Marc Bodmer die Nachfolge seines Vaters Arthur als Revierförster an. Am 22. April um 15.34 Uhr packt der Baggerführer mit der eisernen Greifhand den Kamin der alten Forsthütte und kippt ihn zur Seite. Eine 67jährige Geschichte findet ihr Ende. Marc Bodmer sagt, man werde in der Waldlichtung selber etwas anpflanzen oder sie einfach der Natur überlassen: «Dieser Entscheid ist noch nicht gefallen.» (René Staubli)
1 KOMMENTAR
Die unheilige Allianz zwischen den kommerziellen Anliegen der Holzkorporation und den Umweltanliegen von Pro Natura hat unter Missachtung der Anliegen der lokalen Bevölkerung die Forsthütte zu Fall gebracht. Eine gutschweizerische Kompromisslösung, die unter Berücksichtigung der standortspezifischen Parameter den Erhalt der Forsthütte problemlos hätte gewährleisten können, wurde verunmöglicht durch die kompromisslose Haltung von Pro Natura und den kantonalen Behörden. Die 15-jährige Suche des Quartiervereins Zollikerberg nach einem Standort für eine ganzjährig benutzbare Waldhütte von Familienanlass-tauglicher Grösse hat mit dem Abriss der Forsthütte ihr trauriges Ende gefunden.