Die Corona-Spucktests fahren Rikscha-Taxi
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24. Januar 2022 – Alle reden vom Pool-Testen, aber kaum jemand weiss, welch ausgeklügeltes System dahinter steckt. Wenn die rund 400 Kinder und mehr als 40 Mitarbeitenden der Schule Oescher inklusive Kindergärten gespuckt haben, geht es hinter den Kulissen erst richtig los.
Die beiden Kleinen klettern in einem Nebenzimmer des Kindergartens Hinter Zünen geschickt auf die bereitstehenden Stühlchen und reissen ganz selbstverständlich die Beutel mit den Testkits auf. Man sieht, sie haben Übung. «Ich bin sowieso negativ», sagt der Bub ziemlich selbstbewusst. Man schmunzelt, denn vor zwei Jahren wäre einem kleinen Kind so etwas sicher nicht in den Sinn gekommen.
Die beiden drehen den Plastikverschluss von der Ampulle, drücken sich die Kochsalzlösung in den Mund und schieben die etwas eklige Flüssigkeit 45 Sekunden lang mit ernster Miene von einer Backentasche in die andere. Dabei beobachten sie einander konzentriert.
Lob vom Klassenassistenten
Dann spucken sie die Lösung sorgfältig durch einen Trichter in ein Röhrchen. Der Klassenasssistent Tim Thurnherr, der in der Schule Zollikon seinen Zivildienst leistet, lobt die beiden, schüttet den Inhalt der Röhrchen in einen kleinen Sammelbehälter, sagt ihnen, welche Kinder sie als nächste rufen sollen und lässt sie dann springen. Die Kiddys hüpfen vergnügt zurück zu ihren Gschpänli.
Wenn maximal zehn Kinder gespuckt haben – Tim Thurnherr führt auf seiner Liste sorgfältig Buch –verschliesst er den Sammelbehälter mit einem blauen Deckel und schüttelt ihn, um den Inhalt gut zu vermischen. Dann drückt er ein Vakuumröhrchen senkrecht in die Vertiefung des Deckels, sodass die Flüssigkeit eingesogen wird. Damit ist die Poolprobe erstellt, luftdicht abgeschlossen und mit einem Barcode unverwechselbar gekennzeichnet.
Die Röhrchen bringt er zurück ins Sekretariat zu Doris Gnehm, der Assistentin der Schulleitung. Sie ist die Pool-Managerin und bestellt nicht nur die Test-Kits bei der Plattform «Together we test», die von der Privatklinikgruppe Hirslanden betrieben wird, sondern hat in der Schule Oescher die ganze Administration der Pool-Testerei im Griff. Jeden Montag landen rund 60 Röhrchen aus allen Klassen und Kindergärten in ihrem Büro.
Ausgeklügelte Excel-Liste
Ihr zentrales Arbeitsinstrument ist eine ausgeklügelte Excel-Liste, die sie peinlich genau auf dem neusten Stand hält, damit der Überblick über die Corona-Situation im Oescher jederzeit gewährleistet ist. Aus den Aufstellungen geht unter anderem hervor, welche Kinder am Pool-Testen teilgenommen haben und welche nicht – zum Beispiel, weil ihre Eltern das so wünschen, weil sie in den letzten sechs Monaten positiv getestet wurden, oder weil sie am Montag gefehlt haben.
Wenn alle Daten auf der «Together we test»-Plattform eingetragen und die Barcodes überprüft sind, gibt Doris Gnehm jeweils 10 Pools in ein Plastiksäcklein und stellt diese für Tim Thurnherr bereit.
Das Pool-Testen ist ein kostenloses Angebot. Lanciert wurde es im März letzten Jahres von der Zürcher Gesundheitsdirektion, der Volkswirtschaftsdirektion und Wirtschaftsverbänden. Die Zürcher Firmen wurden eingeladen, ihre Beschäftigten einmal wöchentlich zu testen, auch die Schulen konnten sich anmelden. Über die Teilnahme entscheiden die Gemeinden. Die Zolliker Schulen sind seit dem 6. September bei «Together we test» dabei.
Die Rikscha Taxi machte das Rennen
Kurz vor 14 Uhr rafft Tim Thurnherr die Plastiktaschen zusammen, bringt sie zur Post an der Rotfluhstrasse und deponiert sie in einem Kartonbehälter der Rikscha Taxi AG. Beim Eingang treffen wir Maren Stauber. Sie besorgt die Medienarbeit für die 2008 gegründete Firma, die in Bern, Luzern und Zürich mit einer Touristenattraktion, den Rikschas, bekannt geworden ist. An diesem Tag holt uns aber kein Dreirad mit breitem Passagiersitz und buntem Baldachin ab, sondern ein ganz gewöhnlicher Kleinwagen mit Fahrer.
Die Hirslanden-Gruppe suchte im Frühling eine Firma, die in der Lage war, für das Projekt «Together we test» innert weniger Wochen den Sammelprozess der Corona-Pooltests im ganzen Kanton Zürich zu organisieren. Das junge Unternehmen mit zehn Angestellten machte das Rennen gegen etablierte Kurierfirmen. Es investierte in taugliche Software und Geräte, kaufte Elektroautos und heuerte junge Leute an, die bereit waren, sich für die unbestimmte Dauer der Corona-Pandemie zu engagieren.
Mehr als eine Million Pooltests eingesammelt
Die Rikscha Taxi AG beschäftigt derzeit rund 100 Mitarbeitende im Fahr- und Sortierdienst. Seit April 2021 hat das Start-up mehr als 1 Million Pooltests eingesammelt. «Wir fahren am Vormittag und am Nachmittag sechs fixe Touren im ganzen Kanton, dazu Sammeltouren in der Stadt», sagt Maren Stauber. Die grössten Herausforderungen seien die Verkehrsstaus und das unberechenbare Wetter. Die Öffnungszeiten der Poststellen nehmen darauf keine Rücksicht.
Das Verteilzentrum der Rikscha AG befindet sich im Zürcher Binz-Quartier. In einer kargen Lagerhalle werden die Taschen mit den Pooltests ausgepackt und über kleine Rutschen in Plastikbehälter geleitet, die mit den Namen der Labors beschriftet sind. Nicht jedes der zwölf Institute kann jeden Pool-Test verarbeiten.
Es ist faszinierend, zu beobachten, dass die Abläufe einerseits durchdigitalisiert sind und andererseits viel Handarbeit erfordern. Um die Labors mit ihrem 24-Stunden-Betrieb möglichst schnell mit den Proben beliefern zu können, laufen die Prozesse im Sortierhub zuweilen bis 21 Uhr.
Die Pools der Schule Oescher gehen zu Analytica, einem privaten Medizinischen Labor an der Falkenstrasse beim Bellevue. Der Weg wird ökologisch korrekt in einem nagelneuen Elektro-Lieferwagen zurückgelegt. Medienschaffende haben im Labor aus Sicherheitsgründen keinen Zutritt. Man kann sich aber vorstellen, was hinter verschlossenen Türen vor sich geht: Die Zolliker Röhrchen werden ausgepackt und einem Analysegerät zugeführt, das die Flüssigkeiten auf Corona-Viren testet.
In aller Regel erhält Doris Gnehm die Resultate innert 24 Stunden per Mail und SMS. Sie setzt die Lehrpersonen davon in Kenntnis. Die Eltern werden direkt von «Together we test» informiert. Sie erhalten per Mail eine Mitteilung mit der Poolnummer und dem Poolresultat.
Letzte Woche waren 16 von 59 Pools positiv. «Wenn ein Pool positiv ist, müssen die Eltern mit den betroffenen Kindern einen PCR-Test machen und uns das Resultat mitteilen», sagt Doris Gnehm. Positiv getestete Kinder begeben sich auf Anweisung des Contact Tracing für mindestens fünf Tage in Isolation. Erst nach zwei symptomfreien Tagen dürfen sie wieder in die Schule oder in den Kindergarten.
Grosser administrativer Aufwand
Wie immer bei so gross angelegten Übungen gibt die Detailarbeit am meisten zu tun. «Ich muss darauf achten, dass wir von den Eltern die Resultate aller Tests unverzüglich erhalten», sagt Doris Gnehm. Sie muss ihre Liste nachführen, die Lehrpersonen über positiv getestete Kinder informieren und die Eltern regelmässig mit einer aktuellen Statistik auf dem Laufenden halten: «Durchschnittlich verursacht Corona bei mir zusätzliche acht bis zehn Stunden Arbeit pro Woche und bei Tim Thurnherr sicherlich mindestens vier.» Die 16 positiven Pools der letzten Woche erhöhten die Beanspruchung zusätzlich.
Wenn alle Arbeiten erledigt sind, bleibt Doris Gnehm und Tim Thurnherr nur eine kleine Verschnaufpause. Sie bereiten anhand der aktualisierten Listen für alle 27 Klassen, Kindergärten und Lehrpersonen die Plastikbehälter mit den Testkits vor. Denn am Montag wollen die Kinder, Lehr- und Betreuungspersonen wieder mit Test-Kits versorgt sein. (rs)
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Einmal mehr ein interessanter Blick hinter die Kulissen; freue mich auf weitere!