Die mobile Frustabfuhr

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22. Januar 2024 – Autofahren gehört für viele zum Alltag; es ist eine an sich ganz harmlose Sache. Als langjährige Beifahrerin hat das Autofahren für mich aber noch eine andere Dimension bekommen. Es ist auch ein Ort, an dem sich scheinbar friedfertige Menschen in Furien verwandeln.

Autofahren gehört für viele zum Alltag; es ist eine an sich ganz harmlose Sache. Als langjährige Beifahrerin hat das Autofahren für mich aber noch eine andere Dimension bekommen. Es ist auch ein Ort, an dem sich scheinbar friedfertige Menschen in Furien verwandeln.

Was am Strassenverkehr ist es, das unsere normalerweise kontrollierte Fassade zum Einsturz bringt? Sind es heikle, vielleicht gar gefährliche Situationen, die uns auf die Palme bringen, oder ist das Auto einfach nur der perfekte Ort, um den in uns brodelnden Frust rauszulassen?

Mir scheint, als ob sich auf den Strassen eine Parallelwelt auftut, in der die Regeln des gesellschaftlichen Umgangs ungeniert ausser Kraft gesetzt werden. Da wird gehupt und geflucht, als gebe es kein Morgen. Doch warum geraten so viele Menschen gerade hinter dem Lenkrad in einen emotionalen Ausnahmezustand?

Ein entscheidender Faktor könnte in der Anonymität des Autofahrens liegen. Hinter der Windschutzscheibe fühlen sich viele wie in einer geschützten Blase, in der sie ungestraft ihre Wut herauslassen können. Hier können sie ohne direkte Konsequenzen schimpfen, gestikulieren und ihrem Unmut freien Lauf lassen. Die Chance, dass sie den «Gegner» im anderen Auto persönlich kennen, ist verschwindend gering. Eine Wutrede während des Autofahrens bleibt meist ohne reale Konfrontation und unliebsame Folgen. Die Strasse bietet eine vermeintlich risikofreie Bühne, auf der man wildfremde Menschen beschimpfen und den Ärger über den schlechten Fahrstil des Vordermanns zur lautstarken Generalabrechnung aufblasen kann.

Vielleicht entladen sich dabei die Strapazen des Alltags, und das Autofahren dient nicht nur der Fortbewegung, sondern auch als Ventil für aufgestaute Emotionen: den Stress im Büro, die nervende Familie, die Mietzinserhöhung und andere Sorgen. Alles wird beim Autofahren verarbeitet. Das Fahrzeug als rollende Therapiesitzung, die Strasse als Fahrbahn zur mobilen Frustabfuhr.

Vor wenigen Jahren habe ich vom Beifahrerinnen- auf den Fahrerinnensitz gewechselt. Bisher habe ich mich kaum aufgeregt; ich bin noch zu konzentriert darauf, das Abenteuer Strassenverkehr unbeschadet zu überstehen. Ich war mit Sicherheit aber schon oft der Grund, wieso die Person im Auto hinter mir lautstark zu fluchen begonnen hat. Wenn ich daran denke, dass dabei der Frust des Tages gleich auch noch mitentladen wird, muss ich fast ein bisschen schmunzeln.

Olivia Porträt

Olivia Eberhardt (geb. 1994) arbeitet als Redaktorin beim Online-Stadtmagazin «Züri Today». Sie bezeichnet sich als «Beobachterin mit feinen Antennen und dem Wunsch, die Essenz dieser Beobachtungen mit einem humoristischen Ansatz niederzuschreiben».

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