«Playoffs sind nichts für schwache Nerven»
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4. April 2025 – Es sind Playoffs im Eishockey, und die ZSC-Lions spielen wieder ganz vorne mit. Hohe Zeit für das Zolliker Urgestein Giovanni Marti, der seit 25 Jahren als Stadionspeaker amtet. Im Gespräch erzählt er, warum er dieses Engagement liebt und was einen guten Stadionsprecher auszeichnet.

VON BARBARA LUKESCH
«Giovi», die Playoff-Halbfinals laufen. Was heisst das für Dich als Speaker in der Zürcher Swiss Life Arena?
Definitiv mehr Stress. Es geht um viel, je länger je mehr um alles, das heisst, ständig bewegen wir uns auf Messers Schneide. Dazu wächst der Playoff-Bart.
Auch bei dir?
Auch bei mir. Das ist Ehrensache. Da können mich noch so viele Leute anzünden, dass ich jeden Seich mitmachen würde. Seit drei Wochen habe ich mich nicht einmal rasiert. Letztes Jahr sah ich nach dem Gewinn der Meisterschaft wie der Samichlaus persönlich aus.
Wie erlebst Du die Stimmung momentan bei Euch im Stadion?
Total elektrisierend. In den Partien gegen Kloten, unseren Lokalderbys, war es auch eine Frage des Prestiges, dass wir gewinnen mussten. Aktuell in den Spielen gegen Davos, dem Klassiker schlechthin, herrscht natürlich auch jedes Mal totale Spannung. Es ist keine Floskel, wenn ich sage, dass die Playoffs die schönste Zeit in der Eishockey-Saison sind.
Wie nervös bist Du als eingefleischter ZSC-Fan?
Oh, mein Gott. Ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass ich ruhig bleiben kann. Ein deutliches Zeichen für meine Nervosität sind meine kalten Hände. Dazu trage ich seit letztem Jahr eine Pulsuhr, die während diesen Spielen nie unter 100 Schlägen anzeigt, sondern mehrheitlich zwischen 105 und 110. Nach einem Sieg beruhige ich mich allerdings schnell wieder. Playoff-Spiele sind definitiv nichts für schwache Nerven; daran ändern auch fast 25 Jahre Speaker-Tätigkeit nichts.
Wie kannst Du Dein Lampenfieber drosseln?
Will ich das?
Kein Extra-Bier zur Beruhigung?
Ich trinke überhaupt keinen Alkohol, es sei denn mal ein Glas, um auf den Gewinn des Meistertitels anzustossen. Während den Spielen gibt’s nur Mineralwasser.
Was ist Deine Motivation, dich dem Stress dieser hektischen, ultraschnellen Sportart als Speaker auszusetzen, und das alles auch noch ehrenamtlich?
Der Job ist für mich die reine Freude. Stress habe ich höchstens, wenn ich im Vorfeld die Spielerliste bekomme und neue, unaussprechbare russische, tschechische oder finnische Namen sehe. Ich habe mir längst angewöhnt, dann jemanden von der betreffenden Mannschaft zu kontaktieren und zu fragen, wie man die Namen richtig ausspricht. In meinen Augen hat es mit Respekt zu tun, dass die Spieler ihre Namen im Stadion korrekt hören. Ich wäre als Speaker unglaubwürdig, wenn ich das nicht auf die Reihe kriegen würde.
Welche Regeln muss ein Speaker befolgen? Was darf er ganz sicher nicht tun?
Als Heimspeaker der ZSC Lions darf ich die Stimme nach einem Tor für unsere Mannschaft schon etwas anheben und dem Publikum ein wenig einheizen. Trotzdem bin ich nicht der Animator. Meine Hauptaufgabe besteht darin, Dienstdurchsagen zu folgenden Punkten zu machen: Tore, Torschützen, Strafen. Bei grösseren, mitunter auch mehreren Strafen gleichzeitig kann es für mich ziemlich kompliziert werden, den Überblick zu behalten. Dann muss ich vor allem Ruhe bewahren.
Muss der Speaker nicht auch für Ordnung und Sicherheit sorgen, wenn es im Stadion Störungen oder gar Ausschreitungen gibt?
Ist zwar schon lange nicht mehr passiert, aber wenn im Stadion eine Knallpetarde abgeht oder sich starker Rauch entwickelt, versuche ich das Publikum zu beruhigen und zur Mässigung anzuhalten. In der Swiss Life Arena haben wir, wie schon im Hallenstadion, ein Problem mit Papierfliegern, die von ganz oben auf den Tribünen aufs Eis geworfen werden. Das kann für die Spieler und Schiedsrichter wirklich gefährlich werden, wenn sie mit den Kufen auf einen solchen Flieger geraten und ausrutschen. Diese Unsitte versuche ich mit einer entsprechenden Ansage zu unterbinden. Wenn es tatsächlich einmal zu einem ernsthaften Zwischenfall kommen sollte, beispielsweise einem Brand, und man das Stadion räumen müsste, wäre ich erst recht gefragt. Kurz: ich bin nicht der Pausenclown.
Beim ZSC gehörst du schon fast zur Familie und bist den Fans sicher sehr nahe. Wie fühlt sich das an?
Wenn dich die Fans, insbesondere auch die organisierten Fangruppen schon seit 25 Jahren kennen und auch noch mögen, dann geht auf deinem Handy die Post ab, wenn du mal nicht da bist. Kaum liegt der Puck auf dem Eis, kriege ich 60 Messages: «Was ist los? Wo bist du? Warum kommst du heute nicht?» Das finde ich schön, weil es die grosse Wertschätzung zum Ausdruck bringt, die mir seit vielen Jahren entgegengebracht wird.
Was muss man als Speaker mitbringen, um solchen Erfolg zu haben?
Man braucht eine gute Stimme, eine klare, gut verständliche Aussprache, Sprachkenntnisse sowieso. Dazu muss man die professionellen Standards beherrschen, die der Verband von den Speakern der National League und der Swiss League seit rund zehn Jahren verlangt. Die bespreche ich jeweils im August als Workshop-Leiter mit meinen Kollegen und einzelnen Kolleginnen, damit wir für die Saison gerüstet sind.
Muss man nicht auch ein bisschen was von einer «Rampensau» mitbringen, also gern im Mittelpunkt stehen?
Wer mich kennt, wird bei meiner nächsten Aussage im höchsten Grade erstaunt sein. Aber ich sage es jetzt trotzdem: Ich stehe nicht gerne im Mittelpunkt, lande aber automatisch dort.
Wie bist Du überhaupt Speaker geworden?
Die ersten Schritte habe ich beim Kinderkaraoke beim Zolliker Grümpi gemacht. Ende 2000 hat mich dann Charly Schlott angerufen, der legendäre Speaker der Sechstagerennen und des ZSC im Hallenstadion. Er war eine Koryphäe, und ich habe ihn schon als Bub verehrt. Tja, und dann fragt er mich, ob ich Interesse hätte, sein Mikrofon zu übernehmen. Wow! Welche Chance! Ich war damals 29 und habe ihn rund ein Jahr begleitet und von ihm gelernt. Anschliessend hat er mich gefragt, ob ich bereit sei. Von einem Tag auf den anderen. Und los ging’s. Mein Gott, hatte ich Respekt!
Später bist Du ja auch einige Jahre Speaker beim FC Zürich gewesen.
Eine Zeitlang habe ich tatsächlich beides gemacht: Eishockey und Fussball. Irgendwann haben mir Journalisten dann den Übernamen «die Stimme des Zürcher Sports» gegeben. Da habe ich mich als Zolliker wahnsinnig geehrt gefühlt. (lacht)
Worin unterscheidet sich die Arbeit des Speakers im Fussball- und im Eishockeystadion?
Das Publikum ist anders. Das FCZ-Publikum ist sehr streng, im Sinne von traditionell, konservativ, aber auch leidenschaftlich wie kein anderes. Die Fans mochten es überhaupt nicht, wenn ich als Speaker nur den Vornamen eines Spielers nannte und sie dazu animieren wollte, mit dem Nachnamen zu antworten. Ein komplettes No Go. Ich musste alles alleine machen. Das rhythmische Klatschen, wenn ich einen vollständigen Namen genannt hatte, sorgte dennoch für eine tolle Stimmung. Beim ZSC ist das völlig anders. Ich und mein Kollege beim ZSC sind die einzigen Speaker in der Schweiz, die nach einem Goal der eigenen Mannschaft den Vornamen des Torschützen dreimal sagen und die Fans dreimal den Nachnamen skandieren: «Denis!» – «Malgin!» «Denis!» – «Malgin!» «Denis!» – «Malgin!» Andere Klubs, die versucht haben, diesen Torjubel zu übernehmen, sind über kurz oder lang gescheitert und haben zum Glück wieder damit aufgehört. (lacht)
Der ZSC spielte früher im Hallenstadion und ist erst seit Oktober 2022 in der Swiss Life Arena zuhause. Wie fühlt es sich im Vergleich an?
Seit wir mit dem ZSC in die Swiss Life-Arena gezogen sind, weiss ich, was echte Stimmung ist. Es ist so unglaublich laut, aber gleichzeitig wahnsinnig toll, wenn die Halle wie jetzt während den Playoffs mit 12’000 Zuschauern ausverkauft ist und auf dem Eis die Post abgeht. Wer das einmal erlebt hat, wird nie mehr sagen, das Zürcher Publikum sei nicht leidenschaftlich. Das Gegenteil ist der Fall.
Letzte Frage: Wer wird Meister?
Das Team mit den magischen drei Buchstaben: Der ZSC.

Giovanni Marti (53) war viele Jahre als Print- und Radiojournalist tätig (u.a. beim Blick und bei Radio 24). Dann wechselte er die Seite und arbeitete an verschiedenen Orten als Mediensprecher. Zunächst beim FC Zürich, ab 2012 dann bei der Fifa und seit 2023 als Medienverantwortlicher beim Fifa Museum. Sportbegeistert wie er ist, widmet er auch seine Freizeit dem Sport. Seit 25 Jahren ist er ehrenamtlicher Speaker beim ZSC. Genauso gross ist seine Leidenschaft für das Unihockey, einen Sport, für den er sowohl als Pressechef wie auch als Sportchef und Trainer tätig war beziehungsweise ist. Er hat einen Sohn und eine Tochter und stammt vom Zollikerberg.
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