Die Unterlassungssünde

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13. März 2025 – Morgen läuft die Eingabefrist ab: Zollikon hat keine Anstrengung gescheut, um den Widerstand gegen die geplante Deponie Brunnenwisen kundzutun. Seltsam nur, dass man dabei die eigene Kantonsrätin Corinne Hoss-Blatter (FDP) vergessen hat – die Politikerin mit dem direktesten Draht zum Kanton. (6 Kommentare)

13. März 2025 – Morgen läuft die Eingabefrist ab: Zollikon hat keine Anstrengung gescheut, um den Widerstand gegen die geplante Deponie Brunnenwisen kundzutun. Seltsam nur, dass man dabei die eigene Kantonsrätin Corinne Hoss-Blatter (FDP) vergessen hat – die Politikerin mit dem direktesten Draht zum Kanton.

Kantonsrätin Corinne Hoss-Blatter (Foto: ZN)
Kantonsrätin Corinne Hoss-Blatter (Foto: ZN)

VON BARBARA LUKESCH

Corinne Hoss-Blatter ist seit 2020 Kantonsrätin. Sie kennt viele RatskollegInnen seit Jahren und bezeichnet sich selber als «gut vernetzt». Mit einzelnen ist sie befreundet, so zum Beispiel mit Barbara Franzen, der Präsidentin der Kommission für Planung und Bau (KPB), auch sie FDP-Mitglied.

Mit anderen wie Sarah Fuchs aus Meilen, ebenfalls FDP, die in der Kommission für Energie, Verkehr und Umwelt (KEVU) sitzt, verbindet sie die Erfahrung des gemeinsamen Wahlkampfs.

Beide Kommissionen werden matchentscheidend sein, wenn es um die endgültige Wahl der Deponiestandorte für den Eintrag in den kantonalen Richtplan geht.

Wer die langjährige Zolliker Schulpräsidentin kennt, die heute Mitglied der Sozialbehörde ist, weiss, dass sie eine extrovertierte, offene Person ist. Mit Hoss-Blatter ist leicht ins Gespräch zu kommen, auch wenn man politisch nicht auf derselben Wellenlänge ist. Das bestätigen viele in Zollikon, so zum Beispiel der ehemalige SVP-Präsident Thomas Gugler oder der F5W-Politiker und Ex-Schulpfleger Edwin Fuchs.

Breit angelegte Offensive

Nun hat ja die Gemeinde Zollikon seit einigen Monaten ein brisantes Thema auf dem Tisch: die vom Kanton geplante Aufnahme des Deponiestandorts Brunnenwisen auf dem Zollikerberg in den kantonalen Richtplan. Der Gemeinderat setzt alle Hebel in Bewegung, um diesen Eintrag zu verhindern. Zollikon hat beim Kanton einen formalen Protest eingereicht. Bauvorstand Dorian Selz (GLP) ist federführend bei der Organisation des Runden Tischs, der dasselbe Ziel verfolgt. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, sich ebenfalls zur Wehr zu setzen und Einwendungen zu formulieren.

Nun gäbe es ja auch noch die Kantonsrätin Corinne Hoss-Blatter, die von Amtes wegen prädestiniert wäre, Kontakte zwischen der Gemeinde und dem Kanton zu knüpfen. Sie hat direkte Drähte in die Regierung, auch zu dem für das Deponiedossier verantwortlichen Regierungsrat Martin Neukom (Grüne), den sie wie die anderen Ratsmitglieder duzt und bei Bedarf auch auf seinem Handy erreicht. Dazu kennt sie aus ihrer knapp sechsjährigen Tätigkeit in der kantonalen Legislative inzwischen auch das Prozedere in- und auswendig, wie politische Geschäfte aufgegleist und – vielleicht – auch zum Erfolg geführt werden können.

Sie konstatiert nüchtern: «Als eine von 180 Kantonsrätinnen und Kantonsräten kann ich den Deponiestandort Brunnenwisen natürlich nicht wegzaubern.» Sie habe aber die Möglichkeit, innerhalb der 30-köpfigen FDP-Fraktion Überzeugungsarbeit zu leisten. Sie könne lobbyieren, das heisst Einfluss nehmen und sich bei den wichtigen Leuten für die Bedürfnisse Zollikons und seiner Bevölkerung stark machen. Ausserdem könne sie Termine beziehungsweise Abläufe herausfinden, die der Gemeinde Zollikon einen Wissensvorsprung verschaffen: «Das ist unser Benefit als Kantonsrats-Mitglieder, dass wir Sachen früher als andere in Erfahrung bringen.»

Kaum Interesse bei der Gemeinde

Mit der Absicht genau das zu tun, fragte sie Gemeindepräsident Sascha Ullmann, kurz nachdem der Deponiestandort Brunnenwisen öffentlich bekannt geworden war, ob sie mit Regierungsrat Neukom reden und ihm zu erklären versuchen solle, dass der Zollikerberg keine gute Wahl sei. Ullmann habe abgelehnt; sie könne im Kantonsrat ja sowieso nichts bewirken.

Gefragt, warum er dieses Angebot ausgeschlagen habe, mag sich Ullmann fast nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal mit Hoss-Blatter geredet habe. Folglich ist ihm auch die zitierte Gesprächssequenz nicht mehr präsent. 24 Stunden später sieht es schon anders aus und er ergänzt schriftlich: «Ich kann den Rahmen nun klar benennen, an dem wir ganz bestimmt auch über die Deponie gesprochen haben: Es war der Gwerbler-Treff vom 23. Mai 2024 im Werkhof der Holzkorporation, wo ich in gemütlicher Runde am gleichen Tisch wie Frau KR Hoss-Blatter sass (vis-à-vis oder schräg gegenüber; das weiss ich tatsächlich nicht mehr genau.)»

Schriftlich präzisiert er nun auch seine Antwort auf Hoss-Blatters Frage, ob sie mit Regierungsrat Neukom reden solle: «Warum sollte ich ein solch wichtiges Angebot (RR Neukom) ausgeschlagen haben?» Er sage «unseren Kantonsräten im Bezirk bei jeder Gelegenheit: «Bitte, bitte, liebe Kantonsräte, macht alles, lasst eure Kontakte spielen, redet mit euren Fraktionen und macht deutlich, dass Zollikon kein guter Standort ist.» Hoss-Blatter schmunzelt: «Das klingt jetzt aber deutlich anders, als was er mir damals gesagt hat!»

Fragt man Dorian Selz (GLP), den Kopf des Runden Tischs, warum er darauf verzichtet habe, die «Ressource» Hoss-Blatter anzuzapfen, sagt er, er habe mit ihr geredet. Sie erwidert, sie habe seit April 2023 nicht mehr mit ihm gesprochen. Dazu stellt er fest, dass sie nicht am Runden Tisch teilgenommen habe. Eingeladen worden sei sie zwar nicht, ergänzt er, aber die Treffen seien öffentlich, also könnten alle kommen.* Hoss-Blatter räumt ein, dass sie vielleicht einmal hätte hingehen können: «Nur fühlte sich die Reaktion von Sascha Ullmann auf mein Vermittlungsangebot nicht wirklich einladend an.»

Selz vertritt zudem die Meinung, dass das Geschäft verfahrenstechnisch noch weit von den politischen Kommissionen und damit dem Kantonsrat entfernt sei, es also noch gar keinen Sinn mache, bereits jetzt zu lobbyieren und damit möglicherweise dem bekannten «Anti-Goldküstenreflex» Nahrung zu geben.*

Hoss-Blatter staunt über diese Logik. Sie wisse aus Erfahrung, dass Lobbyieren Zeit erfordere, dass man ein Thema immer mal wieder ansprechen und den Kollegen und Kolleginnen vor allem der eigenen Partei in Erinnerung rufen müsse: «Daher halte ich es für falsch, die Hände in den Schoss zu legen und abzuwarten.»

Als sie kürzlich auf eigene Initiative dann doch das Gespräch mit Regierungsrat Neukom suchte, habe sie von ihm interessante Informationen erhalten. Es sei sinnlos, dem Kanton Hunderte von Einwendungen zukommen zu lassen, die dann die Verwaltung in zeitraubender Arbeit überprüfen müsse. «Ein überzeugendes Dossier, das alle Einwände zusammenfasst, hätte völlig gereicht», habe Neukom gesagt.

Wenn man schon Angst vor dem «Anti-Goldküstenreflex» habe, wäre es wohl gescheiter gewesen, so Hoss-Blatter, nicht wieder mit einer Extraleistung in Erscheinung zu treten. All das hätten auch die Zolliker Entscheidungsträger wissen können, wenn sie «ihre» Kantonsrätin besser eingebunden und ihre Connections genutzt hätten.

«Die Gemeinde hat eine Holschuld»

Katharina Kull-Benz (FDP), langjährige Zolliker Gemeindepräsidentin und während sechzehn Jahren auch Kantonsrätin, kennt das politische Geschäft so gut wie wenig andere. Mit den beiden Ämtern in Personalunion habe sie Synergien nutzen können, die sowohl der Gemeinde wie dem Kanton zugutegekommen seien. Ein Beispiel: Der Kanton suchte ein Spital, in dem eine Babyklappe eingerichtet werden konnte. Kull-Benz vermittelte die Kontakte zwischen der kantonalen Gesundheitsdirektion, dem Gemeinderat und dem Spital Zollikerberg, wo das Hilfsangebot letztlich eingerichtet und seither verschiedentlich genutzt wurde.

Darüber hinaus habe ihr der Sitz in der kantonalen Legislative aber auch einen Wissensvorsprung verschafft, den sie mitunter auch zugunsten der Gemeinde Zollikon habe nutzen können. So sei sie in der vorberatenden Kommission an der Ausarbeitung von Gesetzen im Kantonsrat beteiligt gewesen, deren Folgen Zollikon direkt zu spüren bekommen habe. Das habe ihr einen frühzeitigen Einblick verschafft, der äusserst wertvoll gewesen sei und sie manchmal auch zu beschleunigtem Handeln bewogen habe.

Mit der Zeit habe sie auch gelernt, die Beziehungen, die sie dank ihrer politischen Arbeit geknüpft habe, zu nutzen: «Türen öffnen sich einem schneller, und man hat einen direkteren Draht zu einem Regierungsrat.» Trotzdem habe sie sich zunächst schwergetan, diese Quelle anzuzapfen: «Als Frau hatte ich verinnerlicht, dass man so etwas nicht tut.» Mit der Zeit habe sie ihre Skrupel dann aber überwunden. «Das machen ja wirklich alle», lacht sie.

Im Wissen um diese Mechanismen und Gepflogenheiten konstatiert Kull-Benz: «Ich finde es unverständlich, dass Corinne Hoss-Blatter nicht besser vom Gemeinderat, der zur Zeit selber über kein Kantonsratsmandat verfügt, eingebunden wird.» Es sei seine «Holschuld», mit der eigenen Kantonsrätin einen regelmässigen Austausch zu pflegen, «um auch einmal über den Tellerrand hinauszublicken». Wenn sich jemand wie Hoss-Blatter dann auch noch als Vermittlerin anbiete, gebe es ja wohl nur eine Antwort: «Ja, gerne!»

* Dorian Selz wünschte zu den mit Sternen bezeichneten Passagen folgende Präzisierungen:

– Auf die Frage, ob sie eingeladen worden sei, antwortete er, die Treffen seien öffentlich, also könnten alle kommen.

– Selz weist noch darauf hin, dass der «Anti-Goldküstenreflex» in den Beratungen in den Kommissionen und dem Kantonsrat durchaus ein Thema sein könne.

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Leserinnen und Leser werfen Corinne Hoss-Blatter vor, sie habe sich nicht von sich aus für die Interessen der Gemeinde eingesetzt. Wir verweisen auf den beiliegenden Auszug aus dem Protokoll des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 21. August 2024. Daraus geht hervor, dass die Zolliker Kantonsrätin zusammen mit Barbara Franzen (FDP, Niederweningen) und Astrid Furrer (FDP, Wädenswil) beim Regierungsrat schon im April 2024 eine Anfrage zum Thema Deponien einreichte und damit auch dem eigenen Gemeinderat ihr Interesse an der Sache signalisierte. Zur Erinnerung: Barbara Franzen ist die Präsidentin der Kommission für Planung und Bau (KPB), die eine wichtige Rolle spielt, wenn es um die endgültige Wahl der Deponiestandorte für den Eintrag in den kantonalen Richtplan geht.

Mich überrascht und befremdet die Haltung von Frau Hoss-Blatter. Von unserer „Zolliker“ Kantonsrätin hätte ich schon erwartet, dass sie in Eigeninitiative die Interessen der Zolliker Bevölkerung im Kantonsrat vertritt. Ich werde mir das für die kommende Wahl merken. Vielleicht ist das Betreuungshaus Rüterwis in Frau Hoss‘ langer Zeit als Schulpräsidentin ja auch deshalb nicht vom Fleck gekommen, weil es die Holschuld von jemand anderem war? Die Rechnung über Fr. 6.5 Mio. haben wir jedenfalls nun bekommen.

Grosses Dankeschön auch an den Gemeinderat, alle Parteien und die vielen engagierten Bürgerinnen und Bürger, welche sich gegen die Deponie eingesetzt haben. Schlussendlich entscheidet die Kommission und der Regierungsrat nach stichhaltigen Argumenten – und es wurden doch einige zusammentragen.

Bei allem Respekt, der Beitrag ist mir zu einseitig, zu voreingenommen und – trotz epischer Länge – leider mit kläglich wenig Relevanz. Sind Dir da Deine Sympathien für Corinne Hoss durchgebrannt? Nur so kann ich verstehen, dass Du die gnadenlos übersteigerten Selbstdarstellungen der Kantonsrätin derart unkritisch übernommen hast. Naheliegend ist doch, dass nicht ein Versäumnis, sondern ein bewusster Entscheid ursächlich war, gewisse Exponenten nicht in den überaus heiklen Prozess einzubeziehen. Von Holschuld des Gemeinderates zu sprechen, ist da völlig abwegig. Und wer sich als grosse Strippenzieherin präsentiert, muss sich zudem die Frage gefallen lassen, warum sie nicht lange vor der Präsentation der Vorschläge der Verwaltung effektive (Verhinderungs-)Arbeit geleistet hat. Wer den knallhart auftretenden Regierungsrat Neukom kennt, der muss bei den geradezu kindlich anmutenden Hinweisen auf ein Duzis oder auf persönliche Tel-Nummer nur lachen. Jedenfalls zeigen diverse Konflikte der letzten Jahre, bei denen die beiden im Bericht erwähnten Damen selbst aktiv im Gemeinderat sassen, dass offenbar deren Einfluss auf die kantonalen Behörden ziemlich rudimentär sein muss.

Hat der Wahlkampf schon begonnen? Ich würde erwarten, dass Frau Hoss als Einwohnerin Zollikons sowohl im eigenen als auch im Interesse Ihrer Wählerinnen und Wähler die intrinsische Motivation hat, sich in diesem äusserst wichtigen Thema für unser Zuhause einzusetzen. Braucht es dazu noch ein Bittibätti des GR?

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