Eine richtige Feelgood-Geschichte

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28. März 2025 – Die Idee ist bestechend: Studierende, die Mühe haben, in Zürich billige Wohnungen zu finden, beziehen im Gesundheitszentrum für das Alter Rebwies ein WG-Zimmer. Sie bezahlen ihre Miete in Form von Nachbarschaftshilfe. Die Resonanz ist gross und positiv.

Victorine Fux (links), Alicia Luther und Rosmarie Liechti (Fotos: ZN)
Victorine Fux (links), Alicia Luther und Rosmarie Liechti (Fotos: ZN)

VON BARBARA LUKESCH

Milu ist der Liebling im Gesundheitszentrum für das Alter Rebwies. Die alten Menschen freuen sich, wenn sie den zutraulichen Vierbeiner sehen, der sich gern streicheln lässt und fast nie bellt. Der schwarze Wasserhund gehört eigentlich Victorine Fux (22). Die Medizinstudentin wohnt mit ihrer Kollegin Alicia Luther (23), die Umweltwissenschaften an der ETH studiert, und ihrem Kollegen Dominic Tobler (24), Informatikstudent, im zweiten Stock des Alterszentrums.

Die geräumige 4½-Zimmer-Wohnung mit grosser Terrasse und Blick auf den Zürichsee war ursprünglich für die Heimleitenden reserviert, doch diese sind in ihrem Privatleben je länger je mehr auf Distanz zu ihrem Arbeitsort bedacht.  Auch Silvia Bühler, die den Betrieb seit fünf Jahren führt, verzichtete auf das Angebot: «Ich möchte lieber nicht dort wohnen, wo ich arbeite.» Ein gewisser Abstand bedeute ihr viel.

Ein Win-win-Angebot

Was tun mit dem attraktiven Mietobjekt? Die Stadt Zürich, die das Zentrum Rebwies an der Schützenstrasse 30, also auf Zolliker Boden, betreibt, entwarf das Wohnmodell des «studentischen Wohnens», auch «generationenübergreifendes Wohnen» genannt.

Damit schuf man ein klassisches Win-win-Angebot, das allen Beteiligten Vorteile bringt. Im Rebwies sieht das folgendermassen aus: Drei Studierende wohnen in einer WG und leisten ihre Miete in der Höhe von 700 Franken pro Person in Form von Nachbarschaftshilfe im Alterszentrum ab.

Wenn sie 28 Stunden pro Monat tätig sind, was einem 20 Prozent-Pensum entspricht, haben sie ihren vollen Mietzins abgegolten; zwingen Prüfungen oder andere Studienarbeiten sie dazu, kürzer zu treten, kompensieren sie ihren Ausfall, indem sie einen Teil der Miete bezahlen. Sind sie mehr als 28 Stunden im Einsatz, wird dieser Sondereffort als Geschenk an die alten Menschen verbucht.

Milus besondere Aufgabe

Dominic Tobler ist seit drei Jahren dabei, seine Kolleginnen seit eineinhalb Jahren. Milu ist als Letzter dazugestossen. Der Hund, der alle Herzen im Sturm erobert, hat eine besondere Aufgabe: er ist der Assistenzhund von Victorine Fux, die im autistischen Spektrum ist.

Das bedeutet in ihrem Fall, dass sie ausgesprochen lärmempfindlich ist und es für sie komplizierter ist, die Körpersprache und die Mimik anderer Menschen zu lesen, so dass ungewohnte Alltagssituationen für sie schnell herausfordernd werden. In solchen Momenten ist Milu, der sie ständig begleitet, ihr Anker, der ihr Stabilität und Ruhe vermittelt. Sie strahlt: «Er ist für mich Gold wert.» Dazu sei er ein wunderbarer Türöffner, weil ihn alle so herzig finden.

Alle finden ihn herzig: Victorine mit ihrem Hund Milu
Alle finden ihn herzig: Victorine mit ihrem Hund Milu

Die drei Jungen haben sich für ihr aussergewöhnliches Wohnmodell entschieden, weil es in ihren Augen über grosse Vorteile verfügt: Sie zahlen (fast) keine Miete, haben einen Job an ihrem Wohnort und damit keinen Arbeitsweg, lernen alte Menschen und deren Bedürfnisse kennen und bilden als Dreiergruppe, die nicht nur zusammenwohnt, sondern auch arbeitet, ein starkes Team, das sich sehr verbunden fühlt.

Silvia Bühler ist denn auch des Lobes voll über «ihre» Studierenden: «Sie sind eine grosse Bereicherung für unser Zentrum, die ich nicht mehr missen möchte.» Sie seien weitgehend selbständig und müssten bloss alle sechs Monate eine Kopie ihres Studentenausweises vorlegen und Buch führen über die von ihnen geleisteten Stunden.

Spielabende und digitale Hilfe

Das Angebot der drei umfasst eine ganze Reihe an Freizeitattraktionen, aber auch Dienstleistungen, die im Haus geschätzt werden. So führen sie jeden Montag einen Spielabend durch, an dem man sich im Bistro des Zentrums mit Uno, Elfer raus, Spot it (auch bekannt als Dobble) oder ABC SRF 3 vergnügen kann. Bis zu 10 Bewohnende versuchen jeweils ihr Glück.

Einmal im Monat steht Bingo beziehungsweise Lotto auf dem Programm, was, so Alicia Luther, noch beliebter ist: «Das Prozedere ist einfach, und es gibt kleine Preise wie Wein oder Schokolade zu gewinnen. Das zieht.»

Regelmässig veranstalten sie am Wochenende Filmnachmittage, während denen sie mal einen Charlie Chaplin, mal eine Natur- oder Tierdokumentation zeigen. Inzwischen wissen sie, was sich am besten eignet: «Die Filme dürfen nicht länger als eineinhalb Stunden dauern», erzählt Victorine Fux. Wenig Text sei besser, dazu tiefes Tempo und hohe Lautstärke: «Dann funktioniert es.»

Donnerstagmorgen ist jeweils eine/r von ihnen im Fitnessraum anwesend. Auf Wunsch geben sie einem Pensionär Hilfestellung, der sich auf einem Gerät unsicher fühlt. Oft aber reiche es schon, dass sie da seien, zuhören würden und man mit ihnen ein paar Worte wechseln könne. Gespräche ständen sowieso hoch im Kurs, erzählen Alicia und Victorine. Das könne bei einem Kaffee im Bistro sein oder auf einem Spaziergang, den sie in unmittelbarer Nähe des Zentrums durchführen.

Besorgungen gehören auch dazu

Rosmarie Liechti, mit 79 Jahren aktuell die jüngste Bewohnerin im Rebwies, nickt lebhaft: «ich finde den Austausch mit den jungen Leuten toll.» Mit ihnen könne sie über Literatur, Politik oder deren Studien reden: «Nicht nur über Krankheit und Tod.» Sie lacht. Was sie ebenfalls schätze, sei Hilfe bei Problemen mit ihrem Laptop oder Drucker: «Da wäre ich aufgeschmissen, wenn mir Dominic oder Alicia nicht hin und wieder zur Seite stehen würden.»

An diesem Morgen, an dem sie in die WG gekommen ist, die einen Stock höher als ihr 1 Zimmer-Appartement liegt, hat sie einen Briefumschlag dabei, auf den sie geschrieben hat: «Bitte bei Gelegenheit 2 Pakete Druckerpapier für Rosmarie Liechti.» Ins Innere des Kuverts hat sie eine Zwanzigernote gelegt.

Solche Einzelaufträge gehören ebenfalls zur Arbeit der jungen Leute. Betriebsleiterin Bühler erinnert sich an die Corona-Pandemie, während der die Studierenden für viele im Heim die einzige Verbindung zur Aussenwelt, ja, ein richtiger Rettungsanker gewesen seien: «Aus dieser Zeit ist das Einkaufen geblieben, das sich heute mehrheitlich auf schwere Sachen beschränkt.»

Was ihr auch nütze, so Bühler, sei die Mithilfe beim Sommer- oder Herbstfest, bei denen sie der einen Bewohnerin ein Glas Wein bringen oder die andere an den Tisch begleiten würden. Es sei auch schon vorgekommen, dass sie für die ganze Bar verantwortlich gewesen seien.

An Ideen fehlt es Dominic, Victorine und Alicia nicht. Kürzlich haben sie ein neues Format getestet, das – so Victorine – zunächst etwas Mut erfordert habe: «Wir haben im Bistro verschiedene Passagen aus dem Buch «Komm, ich erzähl dir eine Geschichte» von Jorge Bucay vorgelesen.» Sie seien unsicher gewesen, wie lange sie lesen dürften, ohne die Anwesenden zu überfordern oder zu langweilen. Oder ob jemand Lust habe, im Anschluss über das Gehörte zu diskutieren. Der Abend sei auf jeden Fall sehr gut angekommen, so dass sie ihn wiederholen werden.

Rund 20 «StammkundInnen»

Da im Rebwies zur Zeit 87 Menschen im Alter zwischen 79 und 102 Jahren leben, stellt sich natürlich die Frage, wie die Studierenden ihr Angebot überhaupt bekannt machen können. Das sei gut organisiert, heisst es. «Jede Woche bekommen die Bewohnenden einen Plan mit allem, was zur Aktivierung und Unterhaltung offeriert wird.»

Auf Neue gingen sie direkt zu und würden sich vorstellen; damit sei schon einmal eine Basis gelegt und die Einzelnen würden sich mit der Zeit trauen, ihre Angebote in Anspruch zu nehmen. Alicia Luther ergänzt, dass nicht alle etwas von ihnen wollten: «Wer kognitiv oder körperlich eingeschränkt ist, verhält sich uns gegenüber zurückhaltend.» Dazu auch jene, die selber viel Besuch hätten oder anderweitig beschäftigt seien. Rund 20 würden sie zu ihren «StammkundInnen» zählen, zu anderen gebe es sporadische Kontakte.

Gern gesehen seien sie bei jenen, die sich einsam oder auch fit und unternehmungslustig wie Rosmarie Liechti fühlten. Wie beliebt die drei im ganzen Haus seien, ergänzt die Pensionärin, zeige sich immer dann, wenn sie zufällig beim Mittag- oder Nachtessen am Speisesaal vorbeigingen: «Dann winkt der ganze Saal». Silvia Bühler nickt: «Die Bewohnenden lieben Dominic, Alicia und Victorine – und natürlich auch Milu.»

Mehr Informationen zum generationenübergreifenden Wohnen bei den Gesundheitszentren für das Alter der Stadt Zürich finden Sie unter diesem Link.

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