Eine Baustelle namens Forchbahn
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30. Oktober 2023 – Das Unternehmen Forchbahn steht vor grossen Herausforderungen: Das Rollmaterial ist in die Jahre gekommen und muss zur Hälfte ersetzt werden, die Depot-Infrastruktur auf der Forch genügt nicht mehr. Man fragt sich, wie es mit dem Betrieb weitergeht.
Die Appenzeller Bahnen könnten als Vorbild dienen. Dort waren noch bis vor kurzem Züge im Einsatz, die jenen der Forchbahn glichen – klobig im Erscheinungsbild, für ältere Leute schwierig zu besteigen, wenig Stauraum für Koffer, Velos und Kinderwagen. Inzwischen haben die «AB» ihr Rollmaterial fast rundum erneuert. Schnittige Niederflur-Kompositionen mit grossen Fenstern und Klimaanlage erfreuen seither die Reisenden.
Die Forchbahn ist auf ihrer rund 16 Kilometer langen Strecke zwischen Esslingen und dem Bahnhof Stadelhofen mit 9 Kompositionen unterwegs. 4 sind inzwischen 18jährig, die übrigen wurden zwischen 1976 und 1994 in Betrieb genommen. «Der durchschnittliche Lebenszyklus eines Eisenbahnschienenfahrzeugs beträgt 33 Jahre», sagt Urs Stucki, Geschäftsleiter Technik bei der Forchbahn, «bei sorgfältiger Wartung sind aber auch 40 Jahre und mehr möglich.» Diesen Spielraum hat man bei etlichen Zügen ausgeschöpft.
Die Quadratur des Kreises
Wann dürfen die Kunden der Forchbahn denn mit komfortableren, zeitgemässen Zügen rechnen? Die Frage geht an den Geschäftsführer Hanspeter Friedli. «Wir verfolgen in Absprache mit dem Zürcher Verkehrsverbund ZVV, der unseren Betrieb finanziert, eine Zweiflotten-Strategie», erwidert Friedli. «Sobald die 5 ältesten Züge vollständig abgeschrieben sind, was in vier Jahren der Fall sein wird, ziehen wir sie gesamthaft aus dem Verkehr und ersetzen sie durch neue Kompositionen.»
Derzeit wird für das neue Rollmaterial ein umfassendes Pflichtenheft erstellt. Die Anforderungen seien hoch, sagt Geschäftsführer Friedli: «Wir sind einerseits eine Spitallinie, die von vielen Patienten genutzt wird, die gerne sitzen möchten. Zugleich müssen wir zwischen Zürich und dem Zollikerberg den Nahverkehr mit grossem Passagieraufkommen und erhöhtem Bedarf an Stehplätzen bewältigen. Zusätzlich sind wir eine Regionalbahn, mit der man komfortabel bis ins Oberland reisen möchte.» Die komplexen Herausforderungen ähneln der Quadratur des Kreises.
Auf der technischen Ebene muss von den Anbietern zudem berücksichtigt werden, dass die «Frieda» von Esslingen bis zur Stadtgrenze mit 1200 Volt Gleichstrom fährt, auf dem VBZ-Netz ab Rehalp nur noch mit 600 Volt. Und im Vergleich mit herkömmlichen Zügen, die 260 cm breit sind, müssen die Forchbahnwagen 20 cm schmaler sein, weil sie sonst den Trams der VBZ zu nahe kämen.
Das bedeutet, dass die neuen, nach wie vor 75 Meter langen Kompositionen ein ausgeklügeltes Angebot an Sitz- und Stehplätzen haben müssen, dass sie Menschen einen leichten Einstieg ermöglichen, die mit Krücken oder Rollatoren auf dem Weg in die Spitäler im Balgrist und Zollikerberg sind, dass es genügend Platz für Velos und Kinderwagen hat sowie eine Klimaanlage für gute Luft und angenehme Temperaturen.
Ein wichtiges Thema ist auch die Ergonomie des Führerstands. Sowohl Friedli wie Stucki verlassen regelmässig ihre Schreibtische, um Fahrdienste zu leisten. «8 Stunden im Führerstand sind eine anstrengende Sache», sagen sie übereinstimmend, «unser Personal soll wegen ergonomisch unzureichenden Sitzen keine Zwangshaltung einnehmen müssen und nach Dienstschluss nicht gerädert aus dem Führerstand steigen.»
Neues Innendesign ab Ende Oktober
Mitte nächsten Jahres folgt die öffentliche Ausschreibung des Beschaffungsauftrags. Interessierte Hersteller haben dann drei Monate Zeit, um ihre Offerten einzureichen. Das Auftragsvolumen beläuft sich für die 5 neuen Züge auf rund 100 Millionen Franken.
Dem grossen Wurf der Neubeschaffung geht ein kleinerer voraus. «Ab Ende Oktober verkehren unsere vier Niederflurzüge nach einem umfassenden technischen Refit mit einem neuen Innendesign», sagt Friedli. Pro Komposition steht den Reisenden ein neues «Multifunktionsabteil» zur Verfügung – mit mehr Platz für Kinderwagen, Velos, Rollatoren und Passagiere, die nur kurz mitfahren und sich nicht setzen wollen.
Verkehrte Welt erfordert Anpassungen
Die zweite grosse Aufgabe besteht in der Modernisierung des Depots auf der Forch, das in den 1970er-Jahren gebaut wurde. Die Zugslänge betrug damals standardmässig 50 Meter, heute sind es 75 Meter. Der Antrieb sowie die restliche Technik befand sich fast ausschliesslich auf der Unterseite der Wagen, für die Unterhaltsarbeiten stiegen die Monteure in Gruben hinunter und arbeiteten über Kopf.
Was früher unten war, ist heute oben. Die modernen Niederflur-Kompositionen haben sämtliche Betriebsaggregate auf dem Dach, was eine spezielle Zugangskonstruktion für das Unterhaltspersonal bedingt. Diese «verkehrte Welt» macht im Depot bauliche Anpassungen sowohl in der Höhe als auch in der Länge nötig.
Die neuen Züge kommen auf jeden Fall
Immerhin befindet sich die Forchbahn in einer besseren Ausgangslage als die Zolliker Busbetriebe, die ihre Dieselbusse gerne durch umweltschonende Elektrofahrzeuge ersetzen würden, aber über keine geeigneten Werkstätten verfügen. Der geplante Bau eines Depots bei der Kunsteisbahn Küsnacht stösst bei den AnwohnerInnen auf wenig Gegenliebe, mit Einsprachen und Verzögerungen ist zu rechnen.
«Auch wenn das neue Instandhaltungszentrum auf der Forch bis im Jahr 2029 auf sich warten lassen sollte und wir zwei, drei Jahre unter erschwerten Bedingungen arbeiten müssten, würde das unseren Investitionsplan nicht tangieren», sagen Friedli und Stucki: «Die neuen Züge werden wir aller Voraussicht nach so oder so im Jahr 2027 in Dienst nehmen können.» (rs)