Eine Erfahrung, die unter die Haut ging
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6. Februar 2025 – Fast niemand wusste, dass gestern morgen um 8.30 Uhr im Schulhaus Oescher die Lichter ausgehen würden. Dabei war das Ganze ein akribisch vorbereiteter Fake, organisiert von der Zolliker «Klimaschule», die junge Menschen für nachhaltigen Klimaschutz sensibilisieren möchte. (1 Kommentar)
6. Februar 2025 – Fast niemand wusste, dass gestern morgen um 8.30 Uhr im Schulhaus Oescher die Lichter ausgehen würden. Dabei war das Ganze ein akribisch vorbereiteter Fake, organisiert von der Zolliker «Klimaschule», die junge Menschen für nachhaltigen Klimaschutz sensibilisieren möchte.

VON BARBARA LUKESCH
Der Erstklässler wirkt etwas bedrückt und seufzt; er finde den Stromausfall «irgendwie blöd». Zwei Mädchen mischen sich ein: «Es war mega-komisch. Stockdunkel im WC, stockdunkel in der Turnhalle und in der Garderobe. Zappenduster im Geräteraum. Und das alles von einer Sekunde auf die andere.» Nur mit Hilfe von Taschenlampen hätten sie ihren Weg gefunden.
Gefragt, was denn Schlimmes hätte passieren können, purzeln die Fantasien nur so aus ihnen heraus. Eines lacht verschmitzt und meint, sie hätte ja nach dem Turnen die Hose eines Buben nehmen und sich über den Kopf ziehen können: «Einfach weil ich gedacht hätte, das sei mein T-Shirt». Das andere stellt sich vor, wie eben dieser Bube dann versucht hätte, sich das Kleid des Mädchens überzustülpen.» Beide prusten los.
In den höheren Klassen tönen die Reaktionen altersgemäss etwas anders. Es sei spannend zu realisieren, wieviel Strom wir brauchen und was wir alles vermissen, wenn er plötzlich nicht mehr da sei. Es werden auch Sorgen laut, beispielsweise um den Vater, einen Informatiker, der an diesem Morgen vielleicht gar nicht arbeiten könne ohne Strom. Oder die Überlegung, wie man Strom wohl auf Dauer ersetzen könne bis hin zur Frage, wo denn beispielsweise Endlager für Atommüll platziert werden sollten.
Überall hektische Betriebsamkeit
Der plötzliche Stromausfall kurz nach Unterrichtsbeginn sorgt unter den Schülern und Schülerinnen auf jeden Fall für Aufregung. Kaum gehen um 8.30 Uhr die Lichter aus, herrscht ein Durcheinander. Die Stimmen überschlagen sich: «Ist es überall so dunkel?» – «Mach doch mal das Licht an!» – «Warum geht das nicht?!» Ganze Gruppen strömen aus ihren Klassenzimmern auf die Gänge, um vielleicht dort eine Erklärung zu finden.
Doch niemand scheint zu wissen, was los ist. Auch Diana Kristovic, eine Zweitklass-Lehrerin, die an diesem Morgen im Mathematikunterricht eigentlich die Sechserreihe einführen will, beteuert gegenüber den Knaben und Mädchen, dass sie keine Ahnung habe, was passiert sei. Ein Mädchen werweisst, ob vielleicht ein Dieb ein Kabel durchgeschnitten haben könnte. Ein Mitschüler ergänzt: «Es muss auf jeden Fall ein Stromausfall sein.» Das habe er mal daheim erlebt, als seine Mutter gerade beim Kochen war.
Die Lehrerin versucht ein wenig Ordnung ins Durcheinander zu bringen. Sie hat ihre Schüler im Mittelkreis versammelt und fragt, was denn nun alles nicht mehr funktioniere. Die Antworten kommen prompt: «Das Licht!» – «Bildschirm und Visualizer.» – «Die Klimaanlage und die Heizung.» – «Das Wasser!» Das Wasser? Plötzlich herrscht Unsicherheit, aber niemand weiss es genau. Ein Mädchen stolpert zum Lavabo und dreht am Hahn: Aha. Es läuft. Wasser hängt also nicht am Strom.
Als Diana Kristovic wissen will, wie sie mit dieser Notlage umgehen sollen, dauert es nicht lange, bis die Idee auftaucht, die Taschenlampe des Handys einzuschalten. Die Lehrerin hilft etwas nach und schlägt vor, ein leuchtendes Handy auf den Boden zu legen und eine Flasche Mineralwasser darauf zu stellen, damit sie das Licht streut. Die Wirkung ist frappant. Mitten im Zimmer steht nun eine Art Laterne und erlaubt den Kindern, in ihrem Schein die Sechserreihe ins Heft zu schreiben.

Diana Kristovic lobt ihre Klasse, es sei beeindruckend, wie gut sie den Unterricht allen Einschränkungen zum Trotz fortsetzen könne. Doch als eine Mitschülerin an diesem Morgen mit ziemlicher Verspätung in der Klasse eintrifft, denkt niemand mehr an die Sechserreihe. Jetzt müssen sie ihrer Kollegin erst mal erzählen, was für eine «krasse Sache» sich da ereignet hat.
Sensibilisierung für das Thema Nachhaltigkeit
Was nur wenige Eingeweihte wussten: an diesem Mittwochmorgen ist Blackout-Day im Oescher. Das heisst: Im ganzen Schulhaus schalteten Elektriker mit voller Absicht den Strom ab, was, so Schulleiterin Brigit Belser, gar nicht so einfach zu bewerkstelligen gewesen sei, und simulierten damit den gefürchteten Blackout.
Geplant und organisiert wurde diese Aktion vom Verein My Blue Planet, der sich seit 17 Jahren darum bemüht, die Schweizer Schulen für die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. Das Schulhaus Oescher, die Schulpflege und der Gemeindepräsident haben vor zwei Jahren beschlossen, Partner von My Blue Planet zu werden und am Programm «Klimaschule» teilzunehmen, das in Zollikon allerdings den Namen «Nachhaltiges Oescher» trägt. Eingeweihte wissen, dass der Begriff «Klima» als ideologisch befrachtet gilt und daher politisch nicht opportun sei.
Im Rahmen dieses Programms, das sich über vier Jahre erstreckt, organisiert My Blue Planet jedes Jahr einen Aktionstag. 2025 ist es nun der Blackout-Day, dessen Ziel es nach Auskunft von Projektleiterin Tanja Staub sei, die Schülerinnen und Schüler mit Hilfe einer persönlichen Erfahrung zu sensibilisieren. Da gehe plötzlich das Licht aus und man spüre ganz konkret, was es heisst, wenn es dunkel und mit der Zeit dann auch kalt werde. Die Folge? Niemand komme darum herum, sich zu Fragen wie Energie und Klimaschutz Gedanken zu machen.
Gut vorbereiteter «Notfall» bei Brigitt Gebs
Besucht man an diesem Morgen das Zimmer von Religionslehrerin Brigitt Gebs, trifft man auf eine Halbklasse mit acht Kindern, die in einem abgedunkelten Raum mit heruntergelassenen Rollläden und verschiedenen hochinteressanten Lichtquellen sitzen. Offensichtlich hat sich die Lehrerin auf den «Notfall» vorbereitet.
Da ist wieder die Mineralwasserflasche auf dem leuchtenden Handy, gleich daneben steht ein Lämpchen mit Akku, das wie eine Orange aussieht. Regelrecht spektakulär ist der hell leuchtende, batteriebetriebene «Rolodex», der sich wie ein Buch zusammenklappen und mittels Magnet an die Wandtafel kleben lässt.


Als sich die Religionslehrerin ihrem eigentlichen Stoff widmet und mit den Erstklässlern bespricht, was genau die berühmten Symbole Yin und Yang bedeuten, sagt ein Schüler: «Yin und Yang sollen zeigen, dass es auch Gutes im Schlechten gibt und Schlechtes im Guten.» Wow! Kaum zu glauben, was diese Knirpse schon draufhaben.

Beim Versuch diese Erkenntnis auf die Erfahrung des Stromausfalls zu beziehen, also zu fragen, ob dieses Erlebnis auch etwas Positives habe, kommen erstaunliche Antworten. Viele mögen offenbar Dunkelheit, weil sie mehr Abenteuer und starke Gefühle verspricht: «Dann klopft das Herz mehr.» – «Es fühlt sich an, als sei man in einer Höhle.» Ein eher praktisch denkender Schüler findet es gut, auf diese Art den Stromverbrauch zu drosseln.
Brigitt Gebs erklärt, warum sie in ihrem Schulzimmer die Storen heruntergelassen hat – «um zu vermeiden, dass es im Zimmer zu kalt wird». Gegen 11 Uhr ist es trotzdem schon deutlich kühler, was den Knaben und Mädchen auf exemplarische Art zeigt, wie stark wir für die Heizung auf Strom angewiesen sind und wie wenig Beachtung wir dieser Energiequelle im Alltag schenken – Licht und Wärme sind für uns selbstverständlich.
Das Erlebte wird reflektiert
Der Blackout-Day im Oescher, den 600 Kinder und 80 Mitarbeitende erleben, endet mittags um 11.30 Uhr mit einer Erklärung von Schulleiterin Belser. Am Donnerstag gibt es noch einen Follow Up, während dem die Lehrpersonen mit ihren Klassen das Erlebte reflektieren: Wie ist es euch ergangen? Was hat Euch diese Erfahrung gezeigt? Welche Erkenntnisse zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit nehmt ihr mit?
An weiteren Aktionstagen, die in den nächsten Jahren folgen, sollen Klassen gemeinsam mit den Verantwortlichen von My Blue Planet und ihren Lehrpersonen Solarpanels auf Oescher-Schulhäusern montieren. Das ist dann der Impact Day Solar. Geplant ist auch eine Aktion zum Thema Biodiversität.
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Grossartige Aktion, spannender Bericht – danke!