«Einmal Kellner, immer Kellner»

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3. Oktober 2024 – Er hat im Gastgewerbe seine Berufung gefunden. Weil die «Alte Laterne» schliesst, stellt sich für Rolf Gränicher die Frage, wie es bei ihm beruflich weitergehen soll. Sich pensionieren zu lassen, ist für ihn keine Option. (2 Kommentare)

3. Oktober 2024 – Er hat im Gastgewerbe seine Berufung gefunden. Weil die «Alte Laterne» schliesst, stellt sich für Rolf Gränicher die Frage, wie es bei ihm beruflich weitergehen soll. Sich pensionieren zu lassen, ist für ihn keine Option.

Rolf Gränicher im Garten der Alten Laterne (Foto: ZN)
Rolf Gränicher im Garten der «Alten Laterne» (Foto: ZN)

Wer kennt ihn nicht? Den kleinen, wieselflinken Kellner, der seit Menschengedenken, genauer seit 44 Jahren, im Zollikerberg und im Dorf arbeitet. Fragt man die Leute nach seinem Namen, sind viele ratlos. Einige kennen seinen Vornamen: Rolf. Adrian Michael, einst Primarlehrer im Dorf und selber ein Zolliker Urgestein, kann mit dem vollständigen Namen aushelfen: Rolf Gränicher.

Woran sich aber viele erinnern, sind die Cafés und Restaurants, in denen er serviert hat: Die «Zollikerstube» natürlich, der er 26 Jahre lang die Treue gehalten hat; jetzt die «Alte Laterne» im Zollikerberg, wo er auch schon wieder neun Jahre wirkt. Ältere und alte Bewohner erinnern sich auch noch ans «Café Weber», ebenfalls im Zollikerberg, neben dem grossen Coop, wo er seine hiesige Gastro-Laufbahn gestartet hatte und fast zehn Jahre blieb.

Höchste Zeit also, einen Menschen zu porträtieren, dem viele schon einmal begegnet sind, von dem sie aber trotzdem kaum etwas wissen.

Geboren wurde der inzwischen 66-Jährige in Schaffhausen, aufgewachsen ist er in Luzern und Regensdorf bei Zürich. Auf den Zollikerberg zog er erst vor 15 Jahren.

Sein Vater war ursprünglich Metzger, verdiente sein Geld aber als Maschinist. Seine Mutter kümmerte sich um den kleinen Rolf und seine Schwester; dazu betreute sie Pflegekinder. Er habe strenge Eltern gehabt, erinnert er sich, auch alte Eltern, seine Mutter war 39 und sein Vater 42, als er auf die Welt kam.

Schöne Kindheit – trotz allem

Ein seltsames Erlebnis habe seine frühe Kindheit überschattet. Während einer Busfahrt habe sich ein wildfremder Mann, mit dem er kein Wort gewechselt habe, vor ihm aufgebaut und gedroht, ihn mit einem Stock «abzuschlagen». Passiert sei letztlich nichts: «Aber ich war so geschockt, dass ich monatelang nicht mehr gesprochen habe und eine Heilpädagogische Schule besuchen musste.» Das habe natürlich vor allem seine Mutter belastet, die alles unternommen habe, damit ihm geholfen werden könne.

Trotz allem sei seine Kindheit schön gewesen und er im Grunde ein fröhlicher Bub: «Ein richtiges Augustkind.» An den Wochenenden sei die Familie oft in den Wald zum Picknicken gegangen oder habe andere Ausflüge gemacht. In der grossen Kiesgrube, die zum Gelände der Firma gehörte, wo der Vater beschäftigt war, hätten er und seine Kollegen ein «Paradies zum Rumtoben» gehabt. Am allerliebsten aber habe er Verkäuferlis gespielt; mit Fussball oder Cowboy und Indianer habe er nichts anfangen können.

Als sich die Frage stellte, was er lernen sollte, entschied er sich für den direkten Weg. Er sei nie wirklich gern in die Schule gegangen und wollte vor allem eins: möglichst schnell sein eigenes Geld verdienen. So machte er eine knapp zweijährige Anlehre in der Küche des Restaurants «Sonnenhalde» in Adlikon, einem Nachbarort von Regensdorf. Anschliessend besuchte er den Servicekurs im Zürcher Hotel «Dupont» und merkte, wieviel Spass ihm eine Tätigkeit machte, bei der er viel Kontakt mit Menschen hatte. Damals habe sich sein beruflicher Werdegang bereits abgezeichnet. Er lacht: «Einmal Kellner, immer Kellner.»

In der Rekrutenschule wurde er den Sanitätern zugeteilt. Denkt er an diese Zeit zurück, kommt ihm auch ein junger Appenzeller in den Sinn, «bildschön und von den Frauen umschwärmt», Absolvent der Hotelfachschule, der dem jungen Rolf sehr zugetan gewesen sein muss. Der Kollege sei gern mit ihm joggen gegangen, erinnert sich Rolf Gränicher, habe sich während den Erholungspausen dicht neben ihn auf den Waldboden gelegt und es immer wieder geschafft, gleichzeitig mit ihm zu duschen. «Mehr war da nicht», beteuert er, «auch wenn mich irgendetwas an der Situation irritiert hat.» Doch dieses Gefühl habe er auf die Seite geschoben. Er habe Freundinnen gehabt wie alle anderen Kollegen auch.

Grosses Lob von Louis Wirtz

Als er 22 Jahre alt war, holte ihn Louis Wirtz, langjähriger Wirt der «Zollikerstube», ins «Café Weber». Das Gastgewerbe, stellte er erneut fest, war seine Branche. Er hatte keine Mühe damit, den ganzen Tag auf den Beinen zu sein. Auch den Wechsel der Schichten, heute Spät- und morgen Frühschicht, steckte er locker weg. Als Louis Wirtz die «Zollikerstube» im Herzen des Dorfs eröffnete, war sein Kellner vom ersten Tag an dabei.

Der junge Rolf
Der junge Rolf

Fragt man den erfahrenen Gastwirt, was er so sehr an Rolf Gränicher geschätzt habe, dass er alle Hebel in Bewegung gesetzt habe, um ihn zum Mitkommen zu bewegen, muss er nicht lange überlegen. Rolf sei ehrlich, extrem pünktlich, sehr zuverlässig und sauber. Dazu sei er enorm belastbar und jeweils klaglos eingesprungen, wenn jemand anders krankheitshalber ausgefallen sei: «Ausserdem», lacht Wirtz, «war er sehr beliebt bei den Leuten, die ihm schnell verziehen haben, wenn er manchmal ein bisschen direkt war.»

Rolf Gränicher verbrachte wichtige Jahre in der «Zollikerstube». Er war 31, als er diese Stelle angenommen hatte, und 57, als Louis Wirtz pensioniert wurde. Als sein Patron aufhörte, kündigte er.

Eine völlig neue Welt

Dazwischen wurde sein Leben auf den Kopf gestellt. Er lernte einen Mann kennen, der ihn in die Schwulenszene einführte und ihm eine völlig neue Welt eröffnete. Doch Gränicher tat sich zunächst schwer: «Ich war komplett überfordert, habe geweint bei der Vorstellung, dass mich jemand erkennen könnte und mich in Grund und Boden geschämt.» Dabei sei es überhaupt nicht zum Sex gekommen, aber In den 70er-Jahren sei das Thema Homosexualität noch dermassen tabuisiert gewesen, dass er nicht mehr ein noch aus gewusst habe.

Ausdruck seiner tiefen Verunsicherung, ja, Verzweiflung sind die Worte, mit denen er noch heute den Moment umschreibt, in dem er merkte, dass auch er auf Männer steht: «Ich war bereits 35, als es bei mir ausgebrochen ist.» Ein junger Kollege in der «Zollikerstube» habe sich in ihn verliebt und ihn «sozusagen wachgeküsst». Sie seien sich zwar beide ihrer sexuellen Veranlagung überhaupt noch nicht sicher gewesen und hätten «nur Küsse ausgetauscht». Seine nach wie vor verwirrenden Gefühle habe er in Schach zu halten versucht, indem er sich gesagt habe: «Es ist doch egal ob Mann oder Frau, ich liebe ja den Menschen.» In der Folge habe es nochmals zwei bis drei Jahre gedauert, bis er sich ganz zu seiner Liebe zu Männern bekennen konnte, denen er fortan den Vorzug gegenüber Frauen gegeben habe.

Seinen Eltern sagte er nie etwas. Sein Vater, seufzt er, hätte es nie akzeptiert, einen schwulen Sohn zu haben. Seiner Mutter wollte er es eigentlich auf dem Sterbebett offenbaren, verzichtete dann aber darauf, weil ein Freund der Familie, der auch anwesend war, zu ihm sagte: «Lass es, Rolf, sie weiss es sowieso.» Er schmunzelt: «Ich glaube, er hatte recht. Meine Mutter hatte ein feines Gespür!»

Heute kann er offen über seine Homosexualität reden. Er geniesst es, dass das Tabu gebrochen ist und erinnert sich auch kaum an Diskriminierungen. Im beruflichen Umfeld schon gar nicht, gelten doch das Gastgewerbe ähnlich wie die Krankenpflege, Coiffeursalons oder Blumenläden als Orte, in denen viele Schwule tätig sind.

Unbezahlten Urlaub fürs Chilbi-Geschäft

Mit 49 wagte er in einem anderen Lebensbereich einen Schritt, der ihm ebenfalls viel Mut abverlangte. Er erwarb gemeinsam mit einer Kollegin für insgesamt 60’000 Franken ein Chilbigeschäft mit Zugfahrzeug und zwei Anhängern und verkaufte an zahlreichen Jahrmärkten, darunter auch in Zollikon, Confiserieprodukte wie Magenbrot und gebrannte Mandeln.

Die Selbständigkeit habe ihn schon lange gereizt, erzählt er, gleichzeitig aber sei er ein sehr auf Sicherheit bedachter Mensch und habe darum seine 100-Prozent-Stelle in der «Zollikerstube» behalten. Sei eine Chilbi angestanden, habe er unbezahlten Urlaub genommen. Das Business habe floriert, er sei in jenen Jahren zum «reichen Mann» geworden, der im Luxus gelebt und vier Autos besessen habe. Der Preis? «Ich habe geschuftet wie ein Ross.» Als die Zusammenarbeit mit seiner Kollegin schwieriger wurde, habe er nach fünf Jahren den Bettel hingeworfen.

Nun steht ein neuerlicher Wechsel in seinem beruflichen Leben bevor. Ende September ist die «Alte Laterne» geschlossen worden. Der Besitzer Peter Roduner hat die Immobilie verkauft. Erworben hat sie der 35-jährige Francesco Miraldi, der im Zürcher Nobelrestaurant «Kronenhalle» für den Weineinkauf zuständig ist und dessen Eltern in Fehraltorf die Pizzeria «Binario 3» führen. Kein Wunder, will er dafür sorgen, dass auch auf dem Zollikerberg wieder ein Restaurant entsteht. Er werde es zwar nicht selber führen, aber einen Pächter suchen, dem er weitgehend freie Hand lassen werde.

Und Rolf Gränicher?

Miraldi lacht: «Wenn er Lust hat weiterzumachen, ist er jederzeit willkommen.» Dieser wirkt noch etwas unentschieden. Er wisse noch nicht ganz genau, wie seine künftigen Pläne aussehen. Sicher sei nur: «Aufhören ist keine gute Idee. Dann wird man alt.» (Barbara Lukesch)

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Rolf Gränicher war seit Jahrzehnten nicht Kellner alleine, er war der Gastgeber schlechthin, bis ins Mark loyal zu Kunden, Vorgesetzten und Arbeitskollegen.

Es muss den unprätentiösen Vollprofi mit berechtigtem Stolz erfüllen, dass er auf seinem Gebiet immer zu den Allerbesten gehört hat.

Danke für alles, Rolf!

Dies sind ausgezeichnete Zeilen und haben mich ausserordentlich gefreut. Die Alte Laterne war Rolfs Zuhause für die letzten neuen Jahre, und er hat alles gemacht, was in seinen Kräften stand. Meine Frau und ich werden Rolf unterstützen, wo immer wir können für seine Zukunft. Wir sind glücklich, dass wir Francesco Miraldi gefunden haben, da die Chancen mit ihm am grössten sind, dass es im Zollikerberg weiterhin eine «Beiz für ALLE» gibt.

WIR FREUEN UNS ÜBER IHREN KOMMENTAR

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