«Extrembergsteigen ist lebensgefährlich»

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8. November 2021 – Der Fotograf Robert Bösch hält am nächsten Donnerstag im Gemeindesaal einen Vortrag, in dem er von seinen beiden Leidenschaften erzählt: dem Bergsteigen und der Fotografie. Dazu zeigt er spektakuläre Bilder.

Porträt des Bergsteigers Robert Bösch
Robert Bösch (Foto: Lukas Pitsch)

MIT ROBERT BÖSCH SPRACH BARBARA LUKESCH

Robert Bösch, Sie waren 40 Jahre lang als Bergsteiger auf allen Kontinenten unterwegs und haben viele Expeditionen unternommen, die ans Limit gingen. Jetzt sind Sie 67. Was muten Sie sich heute noch zu?

Ich klettere immer noch und mache Skitouren, aber die grossen anspruchsvollen Wände und mehrmonatigen Expeditionen gehören der Vergangenheit an. Wer das Bergsteigen ernsthaft betreibt, will ja möglichst schwierige Routen klettern. Doch um das zu bewältigen, muss man das entsprechende Leistungsvermögen mitbringen, und das fehlt mir inzwischen altersbedingt. Unser Sport ist viel zu gefährlich, als dass ich den Bogen überspannen würde.

Ihre zweite grosse Leidenschaft ist das Fotografieren, Sie haben sich auch als Berg- und Actionfotograf einen Namen gemacht. Ihr Bildband «Mountains» ist Ausdruck dieser Kombination. Was war zuerst: das Bergsteigen oder das Fotografieren?

Ich war schon als Jugendlicher extrem fasziniert vom Fotografieren, konnte mir aber nicht vorstellen, wie man daraus einen Beruf hätte machen können. Dank dem hochintensiven, ja, suchtmässigen Bergsteigen habe ich dann Bilder an spektakulären Orten machen können, die noch nicht so bekannt waren. So bekam ich einen Fuss in die Tür zur professionellen Fotografie. Ich bin also über das Bergsteigen zum Profi-Fotografen geworden.

Erzählen Sie uns, wie der Bildband «Mountains» entstanden ist.

Für rund achtzig Prozent der Bilder habe ich mit Kollegen und Freunden wie Ueli Steck oder Chrigel Maurer bewusst zum Fotografieren abgemacht. Da ging es um die Bilder und sonst nichts. Natürlich ist es von Vorteil beziehungsweise zwingend nötig, dass man selber Bergsteiger ist, wenn man in der Eigernordwand fotografiert. Aber diese Fototermine unterscheiden sich total von einer gemeinsamen Bergtour, auf der ich zwar meist auch eine Kamera dabeihabe, aber da geht es um den Berg, um die Schwierigkeiten – auch ums Überleben. Anders bei Foto-Shootings: da versucht man alles fürs Fotografieren zu optimieren. Manchmal sind wir auch mit dem Helikopter auf den Gipfel geflogen und von oben in die Wand hinuntergestiegen.

Helikopter? Das klingt anspruchsvoll, wenn man sich das unwegsame Gelände vorstellt.

Es birgt tatsächlich erhebliche Risiken. Wenn ich aus dem Helikopter fotografiere, ist es sehr schwierig, wirklich gute Bilder zu machen. Es ist alles hektisch und nervös. Lasse ich mich an der Longline mitten in der Eigernordwand absetzen, stehe ich da, habe kein Gefühl für den Berg, nachdem ich zehn Minuten vorher noch unten auf der Wiese gesessen bin. Das ist ein Kaltstart, der nicht ohne ist. Dank der jahrelangen Zusammenarbeit mit Ueli Steck haben wir dann aber eine irrsinnige Effizienz entwickelt.

Wie riskant sind solche Einsätze?

Da muss man klar unterscheiden. Beim reinen Bergsteigen gehört eine gewisse Risikobereitschaft dazu; sonst schaffst du keine anspruchsvollen Touren. Drohte auf einer Tour auf einer kurzen Passage Steinschlag, bin ich manchmal trotzdem weitergegangen. Beim Fotografieren würde ich abklemmen. Ich hatte immer einen Riesenrespekt, dass etwas passiert. Ich habe ja auch viele Aufnahmen im Bereich Freeriden, Biken oder Wildwasserfahren gemacht. Dabei arbeite ich oft mit jungen Sportlern zusammen, die total übermotiviert sind, wenn fotografiert wird. Da habe ich es immer als meine Aufgabe angesehen zu bremsen, auch wenn ich wusste, dieses Sujet gäbe jetzt ein Hammerbild.

Können Sie sich an eine solche Situation erinnern?

Als ich meinen ersten grossen Auftrag als Fotograf von der deutschen Illustrierten «Stern» hatte, ging es ums Freeriden und Extremskifahren. Ich war total unter Strom, weil ich diese Chance natürlich packen wollte. Der junge Sportler, ein Österreicher, stand oben auf der Kante, und ich sah, dass ich das Titelbild im Kasten hätte, wenn er springen würde. Aber er zögerte und bat mich, den Schnee zu prüfen, in dem er landen würde. Ich habe ihn aufgefordert, selber nachzuschauen, das wolle ich nicht beurteilen. Er kam runter, fand, das liege drin, und marschierte wieder hoch. Ich habe keinen Pieps gemacht, weil ich wusste, dass er springt, wenn ich sage, das gäbe ein geiles Bild. Er ist dann nicht gesprungen.

Das muss Sie enorm frustriert haben.

Es war einfach so. Dafür haben wir am nächsten Tag Aufnahmen gemacht, die mindestens so gut waren.

Haben Sie jemals einen schweren Unfall erlebt, sei es als Fotograf oder Bergsteiger?

Ich bin vierzig Jahre ohne schweren Unfall durchgekommen. Beim Fotografieren war meine Devise stets: Kein Bild ist das Leben oder eine schwere Verletzung wert. Natürlich gab es auch brenzlige Situationen, in denen ich mich zu sehr vom Fotografieren habe ablenken lassen. Es ist aber – wie gesagt – immer gut gegangen. Beim Bergsteigen war mir immer bewusst, dass das Risiko tödlich sein kann, aber auch unerlässlich ist.

Erschreckend. Wie haben Sie versucht, ein so grosses Risiko in Schach zu halten?

Ich war immer topvorbereitet, also fit, habe mein technisches Können laufend verbessert und mich langsam an meine Leistungsgrenze herangetastet. Dazu war ich auch fähig, hin und wieder umzukehren, wenn ich das Risiko als zu hoch eingeschätzt habe.

Es braucht also auch Gefühl, Intuition…

…absolut. Und – ganz wichtig – Selbstvertrauen. Je grösser mein Selbstvertrauen wurde, Selbstvertrauen, nicht Überheblichkeit, um so präzisere Entscheide konnte ich fällen. Darüber hinaus ist auch eine Portion Demut erforderlich und das Eingeständnis, dass man auch einige Male Glück hatte. Ich habe immer gesagt: «Handle stets so, dass du nichts aufs Glück angewiesen bist, aber sei dankbar, wenn du es hast.» Das ist ja nicht allen vergönnt. Jeder Extrembergsteiger hat eine Liste mit Namen von Kollegen, die in den Bergen umgekommen sind.

Sie waren eng befreundet mit Ueli Steck, der 2017 bei einer Trainingstour am Mount Everest tödlich verunglückt ist. Was hat sein Tod bei Ihnen ausgelöst?

Ich wollte ihn damals treffen und bin nach Nepal geflogen, als es passierte. Es war furchtbar.

Steck galt als Ausnahme-Bergsteiger, den viele für unbezwingbar hielten.

Das zeugt natürlich von grosser Naivität. Aber die allermeisten Leute können überhaupt nicht einschätzen, was am Berg passiert, welche Leistung erforderlich ist und wie schmal der Grat ist, auf dem man sich bewegt. Das versuchen ja alle Bergsteiger immer wieder zu erklären, nur leider vergeblich.

Erklären Sie uns doch wenigstens, was die Faszination des Bergsteigens ausmacht.
DasBergsteigen hat mir ein extrem intensives, spannendes Leben ermöglicht. Es war zwar nicht immer «Schoggischlecken», aber ich bin überzeugt, dass die Dinge, die einem nicht einfach in den Schoss fallen, sondern erst dank Engagement und gewisser Entbehrungen möglich werden, die wertvolleren sind. (lacht) Dass Extrembergsteigen eine sinnvolle Tätigkeit ist, darf ernsthaft bezweifelt werden. Oder können Sie mir einen Grund nennen, warum man auf einen Achttausender steigen soll?

Um etwas Grossartiges zu erleben.

Darum geht es sicher, dazu natürlich auch um Ruhm und Ehre. Auch der Marathonläufer nimmt das ganze Elend letztlich nur auf sich, weil er durchhalten, siegen und Ruhm ernten will. Andere würden sagen, sie gehen in die Berge, um die Aussicht vom Gipfel zu geniessen. Aber das ist bei leistungsorientiertem Bergsteigen, wie ich es betrieben habe, zweitrangig. Das ist etwas für Genussalpinisten, die klettern, behütet von einem Bergführer, schwitzen, sich auf die Aussicht freuen und nachher das verdiente Bier trinken wollen. Gegen ein Bier zur Belohnung haben auch wir nichts einzuwenden, aber das ist auch die einzige Gemeinsamkeit. Uns treibt der Wille an, eine sehr schwierige Route zu meistern.

Sie haben viele andere Bildbände realisiert, in denen das Bergsteigen keine Rolle spielt: «NO MAN’S LAND» enthält genau zwei Bergbilder. Wie würden Sie diesen Band umschreiben?

Dieses Buch enthält Bilder, die entstanden sind, während ich auf diesem Planeten unterwegs war. Es ist für mich nämlich genauso inspirierend, in Zürich oder Tel Aviv zu fotografieren wie seinerzeit mit Ueli Steck am Eiger. Ich habe mein Leben lang und überall das spannendste, stärkste Bild gesucht. Das ist eine Leidenschaft, für die ich sehr dankbar bin und der ich – unabhängig vom Alter – weiterhin nachgehen kann.

Ihr aktuelles Buch heisst «Engiadina», Sie siedeln es – wie ihre letzten Bücher auch – ausdrücklich im Bereich der Kunstfotografie an. Wie ist es dazu gekommen?

Ich habe eine enge Beziehung zum Engadin. Mit diesem Buch will ich nicht zeigen, wie das Engadin aussieht. Hätte ich es vor fünfzehn Jahren realisiert, wäre ich sicher an all die spektakulären Orte gereist und hätte versucht, die Landschaft möglichst schön zu fotografieren. Heute habe ich einen völlig anderen Ansatz: ich habe mich auf die Suche nach Bildern gemacht, die sich versteckt hielten, die erst durch mich, durch meine Kamera entstanden sind.

Wovon werden Sie in Zollikon erzählen?

Vom Bergsteigen und der Fotografie. Mein Vortrag wird sowohl von den Bildern her, aber auch meinen Ausführungen berglastig sein, weil es nun mal spannender ist, diese Geschichten zu erzählen.

Hinweis: Ausstellung Engiadina. Das Bild. 4. November bis 18. Dezember in der Galerie Petra Gut Contemporary, Nüschelerstrasse 31, 8001 Zürich, Mi – Fr: 11 bis 18 Uhr, Sa: 11 – 16 Uhr

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