Feuer und Flamme für Jonas Kaufmann
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29. Dezember 2023 – Erika Hammer ist Augenärztin und leidenschaftliche Opernbesucherin. Ihre ganz grosse Leidenschaft gilt dem deutschen Startenor Jonas Kaufmann, dem sie seit rund 20 Jahren auf der halben Welt hinterherreist. Angefangen hat diese Liebe in Zürich. (1 Kommentar)
29. Dezember 2023 – Erika Hammer ist Augenärztin und leidenschaftliche Opernbesucherin. Ihre ganz grosse Leidenschaft gilt dem deutschen Startenor Jonas Kaufmann, dem sie seit rund 20 Jahren auf der halben Welt hinterherreist. Angefangen hat diese Liebe in Zürich.
VON BARBARA LUKESCH
Kein Mensch glaubt, dass Erika Hammer 88 Jahre alt ist. Zugegeben, ihr Gang ist etwas gemächlich, der Oberkörper leicht vornübergebeugt, und man kann sich gut vorstellen, dass ihre Stimme früher etwas kräftiger war. Doch ihre Präsenz ist stark: aufmerksam, konzentriert, hellwach.
So arbeitet sie denn auch noch vier Tage pro Woche in ihrer Augenarztpraxis im grenznahen deutschen Lörrach und behandelt ihre Patienten, die teilweise schon seit Jahrzehnten zu ihr kommen. Darunter etliche, die mit Unbehagen an die Zukunft denken, in der sie dereinst nach einer neuen Ärztin oder einem neuen Arzt Ausschau halten müssen. Erika Hammer gilt als Koryphäe der anthroposophischen Augenheilkunde und wird an Kongressen und Tagungen gern als Gastrednerin eingeladen. Ein grosser Teil der Männer und Frauen, die vor allem auch bei schweren Leiden ihre Hilfe suchen, stammt aus der Schweiz.
Sie selber reist regelmässig in die Schweiz, und das aus einem richtig guten Grund: Sie besitzt ein Abonnement B für die Oper in Zürich, das ihr jede Saison sechs Aufführungen jeweils an einem Sonntagnachmittag beschert. An der Zürcher Oper sah sie vor rund 20 Jahren auch zum ersten Mal Jonas Kaufmann, den deutschen Tenor, der inzwischen zum Weltstar geworden ist. Damals galt er erst als vielversprechendes Talent, das Engagements in Saarbrücken und Stuttgart vorweisen konnte, in den grossen Opernhäusern in London, Mailand, Salzburg, Bayreuth und New York aber noch keine Spuren hinterlassen hatte.
Als Erika Hammer ihn in Zürich als Don José in «Carmen» sah, war sie sofort Feuer und Flamme für den damals rund dreissigjährigen Deutschen. Sie fand seine Stimme fantastisch, diesen dunkel eingefärbten Tenor, aber sie war auch begeistert von seiner schauspielerischen Leistung: «Es war toll, wie er die Wandlung des Don José vom normalen Soldaten zum eifersüchtigen Liebhaber darstellte, der Carmen, getrieben von Liebesschmerz, zuletzt ersticht.» Von nun an verfolgte sie seine Karriere: erst in Zürich, später auf der halben Welt. Sie schmunzelt: «Ich habe tatsächlich angefangen, dorthin zu fahren, wo er gesungen hat.»
So erlebte sie ihn in London in «Manon Lescaut», in Paris als Titelheld Don Carlos in der gleichnamigen Verdioper, in Salzburg in einer Aufführung der beiden Kurzopern «Cavalleria rusticana» und «Pagliacci». Seine Interpretation des Clowns beziehungsweise Bajazzo, für den er sich auf hinreissende Art schminkte, ist ihr in bester Erinnerung geblieben.
Was sie mindestens genauso begeistere, seien seine Liederabende, die er gemeinsam mit dem Pianisten Helmut Deutsch oder auch anderen Sängern bestreitet. In Baden-Baden hat sie ihn zusammen mit dem Bassbariton Bryn Terfel und der Sopranistin Diana Damrau erlebt, wo Hugo Wolf-Lieder auf dem Programm standen: «Wunderschön!» Weniger Glück hatte sie in New York, der amerikanischen Metropole, in die sie eigens geflogen war, um Kaufmann einmal mehr in «Carmen» zu sehen. Der Sänger sagte seinen Auftritt krankheitsbedingt ab.
«Eine empfindliche Stimme»
Das sollte nicht die einzige Absage bleiben. Jonas Kaufmann ist unter Opernfans schon fast berüchtigt für die vielen Verschiebungen oder auch Ausfälle, die er ihnen zumutet. Fragt man sie, ob es sie nicht nerve, dass er immer wieder Auftritte platzen lasse, lässt sie sich etwas Zeit mit der Antwort. Es stimme, räumt sie zunächst ein, gerade eben habe er den Liederabend an der Bayerischen Staatsoper in München abgesagt, für den sie Karten gehabt habe. Gott sei Dank, sei Piotr Beczala eingesprungen, der polnische Tenor, den sie auch schon viel in Zürich gesehen habe und den sie ebenfalls schätze.
Aber sie habe grosses Verständnis dafür, dass Kaufmann rigoros absage, wenn er krank sei und nicht singen könne: «Das ist völlig richtig.» Er habe nun einmal eine empfindliche Stimme und trage Sorge zu ihr. Es gebe ja genug Fälle, in denen andere Sänger Raubbau an ihrer Gesundheit getrieben und ihre Stimme letztlich verbrannt hätten. Der Vorwurf der Medien, er überlade sein Programm und gehe zu viele Verpflichtungen ein, laufe ins Leere: «Er handelt absolut professionell.»
Zwei Espressotassen und ein Brief
Als es ihr langsam zu bunt geworden sei mit den vielen Beschimpfungen der Kritiker an Kaufmanns Adresse, habe sie ihm aus Mitgefühl ein Päckchen mit zwei Espressotassen und einem Brief geschickt, in dem sie ihn ermuntert habe, sich unbedingt zu schonen, wenn sein Körper das verlange. Sie habe ihm geschildert, wie sie selbst einmal von ihren Patienten angepöbelt worden sei, nachdem ein Reitunfall sie zu einer dreimonatigen Auszeit gezwungen habe. Da habe es geheissen: «Unverantwortlich, als Augenärztin zu reiten.» Er habe sehr freundlich geantwortet und sich bei ihr bedankt.
Diese Reaktion habe sie gefreut und animiert, ihm einen weiteren Brief zu schreiben. In jener Zeit sei eine fast blinde Patientin, die extra aus Spanien zu ihr komme, bei ihr in der Sprechstunde gewesen. Im Gespräch seien sie auch auf die Oper zu sprechen gekommen, und diese Frau habe ihr erzählt, dass Jonas Kaufmann ihr Lieblingssänger sei: Als sie das sagte, habe sie regelrecht von innen heraus geleuchtet. «Dieses Erlebnis habe ich ihm beschrieben und mit den Worten geschlossen, dass er wissen solle, was er den Menschen geben könne.» Auch auf dieses Schreiben sei eine sehr charmante Antwort gekommen.
«Er war fantastisch»
Erika Hammer lässt nichts auf Kaufmann kommen. Gefragt, ob sie ihn auch als Mann attraktiv finde, nickt sie. Ja, er sehe gut aus, aber er wirke auf sie trotzdem bescheiden und zurückhaltend und spiele sich nie auf. Das habe mit Sicherheit auch damit zu tun, dass er äusserst intelligent sei, was man nicht von allen Opernsängern sagen könne. Sie lacht verschmitzt. Wenn sie ihn in Interviews erlebe, sei er aufmerksam, schlagfertig, auch witzig, und fachlich extrem kompetent. Das mache ihr Eindruck.
Angst, dass er altersbedingt abgeben könne, er ist ja nun auch schon 54 Jahre alt, hat sie nicht: «Es ist der pure Neid, wenn geschrieben wird, dass er gewisse altersbedingte Schwächen zeigt.» Sie habe ihn in München vor nicht allzu langer Zeit in Wagners «Tristan» und Korngolds «Die tote Stadt» erlebt, zwei wirklich anspruchsvollen Opern: «Er war fantastisch.»
Am Anfang war die Tosca
Dass die Oper einen solchen Stellenwert in ihrem Leben einnimmt, führt sie auf die Erziehung ihrer Mutter zurück. Jeden Abend habe sie ihr und ihrer Schwester eine Geschichte vorgelesen, ihnen auf dem Klavier etwas vorgespielt und mit ihnen zusammen gesungen. Dazu habe sie sie schon mit zwölf Jahren erstmals mit Freunden der Eltern in die Oper gehen lassen: «Tosca» in Stuttgart. Das sei offenbar zu viel für ein Kind gewesen. Sie erinnere sich gut, wie man sie laut schluchzend aus der Oper habe führen müssen, weil sie es nicht ertragen habe, dass Tosca von der Engelsburg gesprungen sei und sterben musste. Die Puccini-Oper, ergänzt sie, habe sie übrigens vor genau einem Jahr mit Jonas Kaufmann in Zürich gesehen: «Er war umwerfend!»
Ode an die Oper: Sechs überraschende Liebesgeschichten
Teil 1: Eine Träne für Violetta
Teil 2: «Die Oper ist das Fussballstadion der Schwulen»
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Es heisst «Die Tote Stadt“ von Korngold
Danke für den Hinweis, Frau Dibiase. wir haben den Fehler korrigiert – und mit Freude festgestellt, dass man unsere Opernserie auch in Frankreich liest.