Grosser Aufwand, kleiner Ertrag
0 KOMMENTARE
3. Dezember 2024 – Wir hätten nie geglaubt, wie anstrengend eine Treibjagd sein kann. Das Wetter meinte es nicht gut mit uns. Das Wild versteckte sich mit grossem Erfolg im Dickicht. Die Geduld der Zolliker Jäger wurde arg strapaziert. Wir streckten bei Halbzeit die Waffen.
VON BARBARA LUKESCH UND RENE STAUBLI
Es ist noch dunkel, exakt 7.25 Uhr, als wir bei der Salsterhütte eintreffen, es regnet in Strömen. Wir sind zur letzten Zolliker Gesellschaftsjagd des Jahres eingeladen. Gesellschaftsjagd – das tönt nach elegantem Salon, gepflegter Unterhaltung, wohligen Temperaturen. Wir merken bald, dass «Treibjagd» die Sache besser trifft. Unsere Aufgabe besteht an diesem Tag darin, den Jägern das Wild zuzutreiben, aber viel eher sind wir die Getriebenen, angefeuert vom Horn und den Rufen des gestrengen Treiberchefs Thomas Gugler.
Zunächst aber gibt es bei der Hütte im «Schärme» eines Vorzelts einen Kaffee. Rund 30 Leute haben sich eingefunden – Jäger, TreiberInnen, Gäste, darunter Gemeinderat Patrick Dümmler. Wenn man zusammen auf die Jagd geht, ist man per Du. Diese Regel hat man uns im Vorfeld eingeimpft. Unter dem schützenden Zelt entwickelt sich ein reger Austausch, der jäh von Jagdhornklängen unterbrochen wird. Es geht los.
Alain Merkli, Obmann der Zolliker Jagdgesellschaft, stellt die Anwesenden einzeln vor. Dann übergibt er das Wort dem Jagdleiter Peter Trautmann. Uns Neulingen wird bei der dezidierten Befehlsausgabe klar: bei der Jagd geht es erstens um Sicherheit, zweitens um Sicherheit und drittens um Sicherheit. Den Jägern werden Posten zugewiesen und die Regeln in Erinnerung gerufen: Geschossen wird nur bei freier Sicht, klare Kommunikation mittels Horn und WhatsApp. Im Vorfeld haben alle Teilnehmenden Kartenausschnitte der fünf geplanten Triebe erhalten, die Standorte der Jäger sind mit roten Punkten markiert, unsere Treibrichtung mit lila Pfeilen. Wir bekommen orange Westen und Stöcke, um Lärm zu erzeugen und das Wild aufzuscheuchen.
Auf einem Forstweg stellen wir uns im Abstand von 30 Metern auf, bei zehn TreiberInnen ergibt das eine Kette von 300 Metern Länge. Gugler bläst das Horn, und wir dringen mit unseren Stöcken in den Wald ein, den wir von einer ganz anderen, wilden Seite kennenlernen. Die Dornen von Brombeersträuchern stechen uns in die Beine und krallen sich an unseren Jacken fest. Wenn man mit dem Stock gegen die Bäume und Sträucher schlägt, kassiert man jedesmal eine zusätzliche Dusche.
Uns wird aufgetragen, in ständigem Blickkontakt zu bleiben, was leichter gesagt ist als getan. Versteckte Löcher im unwegsamen Gelände, liegende Baumstämme, glitschig und teils nur schwer zu überwinden, erfordern die volle Aufmerksamkeit. Immerhin, ab und zu lichtet sich der Wald, was die Aufgabe enorm erleichtert:
Wir JournalistInnen haben uns aufgeteilt: am Morgen einer auf dem Trieb, die andere bei der Hütte in Erwartung der Beute, am Nachmittag Rollentausch. Beim ersten Trieb fällt kein einziger Schuss. Die Jäger sind beim Zwischenrapport mit dem Jagdleiter etwas frustriert. Jeder und jede wird gefragt: hast Du ein Wild gesehen? Zwei aufgescheuchte Rehe waren kurz im Blickfeld von Louis Wirtz, aber «flüchtig, zu schnell unterwegs für einen gezielten Schuss», wie der erfahrene Jäger etwas zerknirscht Meldung macht.
Den Kopf nicht hängen lassen, weiter geht’s, nächster Trieb. Die Hosen inzwischen klatschnass, die Brille beschlagen, die Schuhbändel lösen sich ein ums andere Mal, weil sich die Brombeersträucher einhaken. Raus aus den Handschuhen, Schuhe binden, wieder rein, klamme Finger, rechts alsbald Kuhnagel. Regen, Regen, Regen. Dann ganz in der Nähe, endlich: ein Schuss.
Das Tier wird aufgebrochen
Alain Merkli und seine Schwester Caroline, die in ihrer Familie mit der Jagd aufgewachsen sind, bringen das geschossene halbjährige Rehkitz, ein kräftiges Böcklein, in einer Wanne auf den extra dafür hergerichteten Platz vor der Salsterhütte.
Um den Respekt der Jäger und Jägerinnen vor dem toten Tier zum Ausdruck zu bringen, haben sie ihm einen kleinen Tannenzweig in den sogenannten Äser, den Mund, geschoben. Sie packen das Reh und befestigen es an den Hinterbeinen an einer Eisenstange, Kopf nach unten.
In dieser Position kann Alain Merkli das Tier am besten aufbrechen. Das heisst, mit einem scharfen Messer die Bauchdecke aufschneiden, um die inneren Organe wie die vier verschiedenen Mägen, den Darm, Leber, Niere, Lunge und Herz sorgfältig herauszutrennen und den Bauchraum vollständig auszuräumen. Leber, Nieren und Herz gelten als Spezialitäten, die dem erfolgreichen Schützen gehören. In aller Regel aber verteilt er diese essbaren Innereien den Treibern, die die Knochenarbeit leisten.
Auch wenn Merkli mit nackten, blutverschmierten Händen tief in die Eingeweide eindringt und der Schweiss des Wildes, also sein Blut, nur so herausströmt, wirkt sein Tun nicht abstossend oder schockierend. Merkli arbeitet mit grosser Konzentration und Präzision, jeder Schnitt sitzt, und man spürt gut, dass er über viel Fachwissen und Erfahrung verfügt.
Er gibt gerne Auskunft, wenn man ihn nach dem Aufwand fragt, den er für die Jagd leistet. Pro erlegtem Tier rechne man mit bis zu 40 Stunden, was sowohl jene Zeit umfasse, die man auf der Jagd oder auf dem Hochsitz verbringt, als auch die Stunden, in denen man Material ausbessern oder die Hütte instandhalten müsse. Die Zolliker Jäger und Jägerinnen haben die Auflage, pro Saison bis Ende Dezember mindestens 50 Tiere zu schiessen, was seiner Meinung nach viel sei.
Dieser Druck mag mit ein Grund sein, warum die Jäger bei ihrer Tätigkeit zuweilen (aber nicht am heutigen Tag) von Jagdkritikern gestört werden. Sie tauchen im Wald auf und versuchen, die Triebe zu behindern und mit den Jägern über ihr Handwerk zu diskutieren. Vor sechs Jahren kam im Kanton Zürich die Initiative «Wildhüter statt Jäger» zur Abstimmung. Die Initianten wollten den Wildbestand mehr oder weniger sich selber überlassen. Die Jäger befürchteten, dass dann die Bauern und Förster Felder und Wälder einzäunen würden, um die Pflanzen zu schützen. Damit wäre der Bewegungsraum der Wildtiere stark eingeschränkt worden. Dass 84 Prozent der Bevölkerung die Initiative ablehnten, erklärte man auch mit dem grossen Engagement der Jäger, die zu jeder Tages- und Nachtzeit ausrücken, um tote oder verletzte Tiere von Strassenrändern zu bergen.
Ein Schuss, aber kein Hornstoss
Nach einer Kaffeepause mit belegten «Treiberbrötchen» geht es auf die dritte Runde, so beschwerlich wie die beiden ersten. Wieder fällt ein Schuss: das zweite Reh. Bei uns ist die Erschöpfung inzwischen total, die Müdigkeit sitzt tief in den Knochen. Zurück bei der Salsterhütte sehen wir, wie Bernhard Ecklin im strömenden Regen alles tut, um die Feuerstelle herzurichten. Es sieht aus, als würde er Beton mischen.
Wir wären zum Mittagessen, zu den beiden nachmittäglichen Trieben, zum Apéro und schliesslich auch zum «Schüsseltrieb», dem frühen Nachtessen in der Salsterhütte, eingeladen gewesen. Aber wie eingangs erwähnt: wir strecken die Waffen, verabschieden uns, fahren nach Hause, stellen uns unter die warme Dusche, füllen die Waschmaschine mit den klitschnassen Kleidern, wärmen uns auf mit einer Tasse Tee und fragen später telefonisch nach, wie es mit der Jagd weitergegangen ist.
Es sei nicht mehr so hart gewesen wie am Morgen, erfahren wir, der Regen habe aufgehört. Um 20 Uhr erhalten wir per WhatsApp das Foto mit der Jagdbeute des Tages.
Unsere Botschaft aus der warmen Stube: Das war ein eindrückliches Erlebnis. Waidmannsdank!
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels war die Rede von einem Fehlschuss. In unserer grenzenlosen Erschöpfung haben wir in unserer Treibergruppe offenbar die Hornstösse nach dem erfolgreichen Abschuss (das sogenannte Verblasen) überhört. Wir haben den Fehler korrigiert.
Teil 1: Thomas Gugler: «Ich empfinde die Jagd als Berufung»
Teil 2: Louis kocht Szegediner Rehgulasch
Wenn Sie unseren wöchentlichen Gratis-Newsletter erhalten möchten, können Sie sich gerne hier anmelden.