«Ich ringe vor jedem Telefonat mit mir»

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Es gibt alltägliche Situationen, die derart unangenehm sein können, dass schon der Gedanke daran ein unangenehmes Gefühl auslöst. Für mich ist es das Telefonieren in der Öffentlichkeit. Genauer: ein Telefonat im beruflichen Rahmen in einem Raum voller anderer Menschen.

Stichwort Grossraumbüro. Kennt wahrscheinlich jeder, der nicht das Privileg genossen hat, seit Beginn seiner beruflichen Laufbahn ein Einzelbüro zu haben. Im Homeoffice war es auch für mich kein Thema mehr, da war ja niemand da ausser ich. Zurück im Büro sitze ich aber wieder auf meinem Stuhl und ringe vor jedem Telefonat mit mir. Ich kriege das Gefühl nicht weg, dass dem Gespräch nicht nur ich und die Person am anderen Ende des Hörers lauschen werden. Nein, nein, im Grossraumbüro hören alle mit.

Wenn wir davon ausgehen, dass meine Mini-Feldstudie in meinem Umfeld zuverlässige Resultate ergeben hat, bin ich mit diesem Problem nicht alleine. Erst kürzlich redete ich mit einem Gspänli über dieses Unbehagen, wenn man vor anderen Menschen ein Telefonat führen muss. Er meinte, dass er sich in dem Moment so exponiert fühle. Unfreiwillig exponiert, als ob plötzlich ein Scheinwerfer auf ihn gerichtet sei, ohne dass man darum gebeten habe.

Ich kann das nachvollziehen. Speziell in Situationen, in denen ich nicht genau weiss, was mich am anderen Ende der Leitung erwartet, schleicht sich eine Angst vor dem öffentlichen Scheitern ein.

Eigentlich ist das absurd, weil ich ja nichts zu befürchten habe, wenn jemand mithört und sich seine Gedanken zu meiner Gesprächsführung macht. Im schlimmsten Fall ist sie oder er davon nicht sonderlich beeindruckt. Im besten Fall läuft das Telefonat gut.

Das führt mich unweigerlich zu der Frage, woher denn dieses Unbehagen kommt, wenn man weiss, dass nichts am Telefonat im Grossraumbüro vorbeiführen wird. Ich kann inzwischen für mich den wichtigsten Grund nennen: Menschen, die jeden Satz, jede Frage von mir bewerten können. Mich macht das nervös. Ich wäre gern so selbstsicher und abgeklärt, dass ich sagen könnte: «Das macht mir doch nichts aus.» Kann ich aber nicht.

Sollte sich also unter der Leserschaft jemand befinden, der diese Angst kennt und sie bestenfalls überwunden hat, lasst es mich wissen. Ruft mich bitte einfach auf keinen Fall an. Vermutlich werde ich nicht rangehen.

Olivia Porträt

Olivia Eberhardt (geb. 1994) hat 2017 ihr Studium an der ZHAW abgeschlossen und seither vor allem in der Musikbranche gearbeitet. Sie bezeichnet sich als «Beobachterin mit feinen Antennen und dem Wunsch, die Essenz dieser Beobachtungen mit einem humoristischen Ansatz niederzuschreiben».

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