«Ich verdanke dem Fussball extrem viel»

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30. September 2024 – Ferry Hermida ist seit knapp 40 Jahren Mitglied des SC Zollikon und seit 2016 Präsident des Fussballclubs. Er hat dem Verein eine einzigartige Erfolgsgeschichte beschert. Am 3. Oktober ist der 45-jährige Primarlehrer zu Gast im «Talk am Puls» bei Barbara Lukesch.

Ferry Hermida (Illustration: Willi Spirig)
SC Zollikon-Präsident Ferry Hermida (Illustration: Willi Spirig)

Sechs, wenn es hochkommt auch mal sieben Stunden Schlaf müssen reichen. Ich bräuchte wohl mehr, komme aber momentan einfach nicht dazu. Läuft zu viel. Gott sei Dank fällt es mir leicht, früh aufzustehen. Um 6.15 Uhr klingelt der Wecker, raus aus den Federn, unter die Dusche, im besten Fall ein Glas Zitronentee und ab in die Schule.

Seit 16 Jahren unterrichte ich in Männedorf Primarklassen – Viert-, Fünft- und Sechstklässler – und bin damit der Dienstälteste. Mir gefällt das Umfeld. In Zollikon würde ich momentan nicht arbeiten. Meine drei Kinder gehen hier noch zur Schule, und da wäre es vermutlich etwas unangenehm, wenn ihr Vater hier Lehrer wäre.

Um 8.05 Uhr ist Schulbeginn. Zur Zeit habe ich eine vierte Klasse, 20 Mädchen und Buben, 9- beziehungsweise 10-jährig. In dem Alter sind sie zwar noch ziemlich kindlich, entwickeln sich aber enorm schnell. Am liebsten habe ich sie in der 5. Klasse. Dann kann man gut mit ihnen reden, sie lassen sich auch gut motivieren, während sie in der 6. Klasse stark unter Druck stehen, weil der Übertritt bevorsteht. Schaffen sie es in die Sek oder gar ins Gymi? In der Zeit sind einige Kinder überfordert, unter anderem auch weil die Pubertät voll einsetzt.

Sobald dann klar ist, wohin die Reise geht, wird es noch verrückter. Dann muss ich als Lehrer alles geben, um den wilden Haufen zusammenzuhalten. Das kann an die Substanz gehen, und es gab auch schon Situationen, in denen ich Schlafprobleme hatte. Wenn ich dann noch andere Sorgen habe – in jüngster Zeit sind unter Kollegen und im Fussballclub verschiedene Menschen an Krebs erkrankt und teilweise auch gestorben –, wird mir alles ein bisschen viel.

Ich bin trotzdem gern Lehrer. Als man mir vor einigen Jahren angeboten hat, Schulleiter zu werden, habe ich gesagt: Nein danke! Zu viele belastende Themen, die es zu bearbeiten gäbe. Ich mag den Kontakt mit den Schülern und stehe auch gern vor einer Klasse. Zu meinen Lieblingsfächern gehört Mathematik, auch Natur, Mensch, Gesellschaft, früher Heimatkunde gefällt mir gut. Sport liegt mir natürlich besonders und macht Spass, weil es auch die Kids lässig finden.

Am Vormittag habe ich von 8 bis 12 Uhr Unterricht, vier Lektionen, manchmal auch noch eine Frühstunde. In der Regel durchgehend. In der Zehn Uhr-Pause will garantiert irgendjemand etwas von mir und ich komme oft nur knapp dazu, einen Kaffee zu trinken.

Mittags habe ich dann Zeit, einen Salat oder ein Sandwich zu essen. Manchmal mit Kollegen, teilweise auch allein. Am Nachmittag folgen zwei bis drei weitere Lektionen; spätestens um 16.15 Uhr ist dann Schluss. Schluss mit Unterricht. Denn meistens muss ich noch Prüfungen korrigieren oder den nächsten Tag vorbereiten. Oft habe ich auch noch Teamsitzungen oder Elterngespräche. Eines pro Kind und Jahr ist obligatorisch. Aber es gibt natürlich Väter und Mütter, die stehen fünf- bis sechsmal jährlich im Klassenzimmer und zwar in aller Regel abends. Das kann stressig werden, und dann komme ich auch mal erst gegen 22 Uhr nach Hause.

An einem normalen Tag bin ich um 17.30 Uhr daheim, was mir, ehrlich gesagt, auch reicht. Dann fühle ich mich ziemlich ausgelaugt, und es kann passieren, dass ich um 20 Uhr vor dem Fernseher einschlafe. Power Nap. Nachher bin ich dann wieder fit. 

Oft fragen mich die Leute, was sich im Lehrerberuf über die Jahre am stärksten verändert hat. Da gibt es einiges. So verbringe ich von meinen insgesamt 26 Lektionen gerade mal fünf allein mit meiner ganzen Klasse. In den anderen Stunden habe ich nur die halbe Klasse, weil die anderen in der Handarbeit beziehungsweise im Werken sind. Während rund der Hälfte aller Lektionen ist zudem noch eine Klassenassistenz oder die Heilpädagogin im Zimmer. Das nimmt mir natürlich Arbeit ab, erfordert aber vorher und nachher oft zusätzliche Absprachen, die auch wieder Zeit fressen.

Was sicher auch anders ist: Extrem viele Kinder, nicht nur diejenigen mit einer ADHS-Diagnose, haben mittlerweile Konzentrationsschwierigkeiten, können nicht mehr gut oder lange zuhören oder verfügen über eine schlechte Selbstkontrolle. Da gebe ich eine Aufgabe und verlange Ruhe. Aber es ist normal, dass einige weiterschwatzen, zu einem Kollegen rennen oder kaum noch in der Lage sind, den erteilten Auftrag zu erfüllen.

Woran das liegt? Ich bin überzeugt, dass die permanente Präsenz von Handys, Laptops, Social Media und Games den Kids nicht guttut. Ständig werden sie von Reizen überflutet und abgelenkt. Das hat natürlich Auswirkungen bis in die Schule, und das, obwohl sie dort weder Handys noch Smartwatches benutzen dürfen.

Vor diesem Hintergrund finde ich es besonders wichtig, dass die Jungen Sport machen. Sport ist gesund, hält die Kids zudem davon ab, nur herumzuhängen oder Blödsinn zu machen; ein Mannschaftssport vermittelt ihnen dazu noch Sozialkompetenz. Ich habe ja selber viele Jahre Fussball gespielt und weiss, dass ich diesem Sport extrem viel verdanke. Drum habe ich mit 15 Jahren als Trainer begonnen und nach vielen Jahren im Vorstand auch 2016 das Präsidium des SC Zollikon übernommen.

Das bedeutet zwar Arbeit, sicher 10 bis 15 Stunden pro Woche, in denen ich Mails schreibe, telefoniere oder an einer Sitzung hocke, aber ich investiere diese Zeit gern. Ein Grossteil der Arbeit fällt in den Sommerferien oder der Winterpause an, Organisation der neuen Spielzeit, Transfers und Anmeldungen neuer Spieler und Trainer. Einmal pro Woche bin ich zusätzlich noch Trainer einer F-Juniorenmannschaft, in der auch mein Sohn mitspielt.

Momentan bin ich stärker gefordert als sonst, weil verschiedene Bauprojekte der Gemeinde anstehen und uns dazu zwingen, auf andere Plätze zum Trainieren und Spielen auszuweichen. Das ist alles andere als einfach, weil es in der Gemeinde insgesamt eher zu wenig Sportanlagen hat. Die Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat ist soweit okay, auch wenn oftmals ich es bin, der die Initiative ergreifen muss. Was uns das Leben wirklich schwer macht, ist die Tatsache, dass uns andauernd Leute den Platz demolieren, Tore und Netze kaputtmachen und Abfall liegen lassen. Wir wünschen uns ja schon lange einen Platzwart, der als eine Art Polizist wirken könnte. Lange sind wir auf taube Ohren gestossen, aber vielleicht ändert sich in der kommenden Zeit ja mal etwas.» (Aufgezeichnet von Barbara Lukesch)

Donnerstag, 3. Oktober, Café am Puls im ref. Kirchgemeindehaus Zollikerberg. Ab 19 Uhr Barbetrieb. Der Talk beginnt um 19.30 Uhr. Eintritt frei.

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