«Ich wollte schon sehr früh selbständig sein»
2 KOMMENTARE
11. Januar 2023 – Auf Aaron Ruckstuhl ruhen die Hoffnungen vieler Zollikerinnen, die um das Reformhaus Müller bangen. Der 24-Jährige will den Laden kaufen, sobald die Behörden ihr Okay geben. Wer ist dieser tatkräftige junge Mann? (2 Kommentare)
11. Januar 2023 – Auf Aaron Ruckstuhl ruhen die Hoffnungen vieler Zollikerinnen, die um das Reformhaus Müller bangen. Der 24-Jährige will den Laden kaufen, sobald die Behörden ihr Okay geben. Wer ist dieser tatkräftige junge Mann?
Als Aaron Ruckstuhl 16 Jahre alt war, stand er vor der Frage, welchen Beruf er wählen sollte. Er sei komplett überfordert gewesen, erinnert er sich, und habe keine Ahnung gehabt, in welche Richtung es gehen sollte.
Die Zeit an der Sekundarschule A hatte er in denkbar schlechter Erinnerung. Seine Noten waren mies, und er hatte den Eindruck, dass die Lehrer vor allem eins im Sinn hatten: ihm seine Eigenarten auszutreiben. Er blickt ernst und sagt: Ja, er sei teilweise ein kritischer Schüler gewesen, der auch mal eine Lehrperson damit konfrontiert habe, wenn er eine ihrer Aussagen als inkonsequent oder widersprüchlich erlebte. Das sei nicht bei allen gut angekommen, aber zum Glück sei sein Klassenlehrer hinter ihm gestanden.
Sorgfältige Berufswahl
Nach diesen Erfahrungen suchte er eine Lehrstelle, die ihm wirklich zusagte. Er wollte sich endlich mit Dingen beschäftigen, die ihn interessierten. So machte er sich seine Wahl nicht leicht und schnupperte in 14 (!) verschiedenen Berufen. Angefangen beim Veranstaltungsfachmann über den Maurer, den Landschaftsgärtner und Grafiker bis hin zum Informatiker und Mediamatiker prüfte er alle möglichen Bereiche. Die Informatik weckte seine Neugier. So habe er begonnen, sich zu bewerben. Zuletzt habe er 120 Bewerbungen verschickt und genauso viele Absagen erhalten: «Das war ein Riesenfrust, und der Druck, der auf mir lastete, wurde immer grösser.»
Später hätten sein Halbbruder und er aber immer intensiver an Ideen herumstudiert, die es ihnen erlauben würden, ein eigenes Geschäft zu betreiben. Herausgekommen ist dabei die Internetseite Webtion, auf der die beiden Webdesign und Web-Applikationen von der Idee bis zur technischen Umsetzung anbieten. Aaron Ruckstuhl ist zuständig für die Kommunikation mit den Kunden und Webdesign, sein Halbbruder für Konzeption und Technik. Er habe tatsächlich schon früh realisiert, dass er gern beruflich selbständig sein möchte.
Plötzlich ging alles schnell
Doch ganz ohne Grundlage wollte er sich diesem Abenteuer nicht aussetzen. So suchte er weiterhin nach einer Lehrstelle. Den Vertrag als Detailhandels-Verkäufer im Reformhaus Müller in Meilen unterschrieb er eine Woche, bevor er die Lehre antrat: «Plötzlich ging alles ganz schnell, und ich wusste: das ist es.» Den Ausschlag habe gegeben, dass er sich sofort mit der Reform-Philosophie habe identifizieren können. Er teile Werte wie Nachhaltigkeit, esse selber seit Jahren vegetarisch und schätze Nahrungsmittel, die nicht nur gut schmecken, sondern auch der Gesundheit nützen. Als Beispiel nennt er ungesüsste Konfitüre, die sich auch Diabetiker aufs Brot streichen können.
In Meilen war er in einer eher kleinen Filiale tätig, vergleichbar jener in Zollikon, und arbeitete eng mit dem Chef zusammen, einem Ernährungsberater mit grossem Fachwissen, von dem er viel profitierte. Das sei drei Jahre lang jener Mensch gewesen, mit dem er am meisten Zeit verbracht habe, und er sei froh, hätten sie sich so gut verstanden.
Auch in der Berufsschule fühlte er sich wohl, weil der Unterricht viel fachspezifischer als in der Sek ausgerichtet sei und er gewusst habe, wofür er lerne. Seine Schlussnote bei der Lehrabschlussprüfung betrug denn auch 5,3, womit er einen der vorderen Ränge unter den Detailshandels-Lehrlingen seines Jahrgangs belegte.
Aaron Ruckstuhl, der eine gewisse Zeit braucht, bis er sich einem fremden Menschen gegenüber öffnet, lacht zum ersten Mal während dem Gespräch und sagt: «Meine Berufswahl war richtig.» Er schätze den Kontakt zu den Kunden, dazu die Vielfalt seiner Tätigkeit. Für einen reinen Bürojob sei er definitiv nicht gemacht: «Ich brauche immer wieder auch Bewegung.»
Die bekam er in den darauffolgenden viereinhalb Monaten zur Genüge, als er seine Rekrutenschule als Füsilier in einer Kampfabteilung absolvierte. Im Nachhinein müsse er sagen, dass ihm das Militär mit seinen strukturierten Abläufen gutgetan und mit seiner Härte diszipliniert habe: «Ich habe gelernt, dass ich mich auch in schwierigen Situationen durchbeissen kann.» Schnell sei ihm klar geworden, dass er während dem Militärdienst Erfahrungen machte, die ihm eines Tages auch bei der Übernahme eines eigenen Geschäfts und dem Führen von Personal nützen würden. Die Idee von der Selbständigkeit, schmunzelt er, habe ihn einfach nicht losgelassen.
Jede Krise ist auch eine Chance
Im Juni 2019 liess er sich aber zunächst nochmals als Mitarbeiter beim Reformhaus Müller in Zollikon anstellen, ab 2020 in der Funktion des stellvertretenden Filialleiters. Ende 2022 kam dann der Crash. Die Kette meldete für ihre 37 Geschäfte Konkurs an; die Mitarbeitenden standen von einem Tag zum anderen auf der Strasse. Nach acht Jahren Firmenzugehörigkeit habe ihn das «echt mitgenommen», sagt Ruckstuhl. Gleichzeitig sei er aber auch ein Mensch, der es nicht ausstehen könne, wenn Krisen ihn zu überwältigen drohten. Er drehe lieber den Spiess um und frage sich, welche Chance sich hinter einer schwierigen Situation verberge.
Hatte er nicht immer von einem eigenen Geschäft geträumt? War er nicht bestens mit der Kundschaft in Zollikon ausgekommen, die ihrer Filiale seit Jahren die Treue hielt? Ist die Goldküste nicht die Gegend, in der sich die Menschen noch Reformhaus-Produkte leisten können? Der Plan, die Filiale in Zollikon zu übernehmen, nahm Gestalt an.
Nachdem er mit Hilfe eines Treuhänders die Geschäftszahlen und seine eigenen Finanzen begutachtet und von der Vermieterin eine mündliche Zusage für das Ladenlokal erhalten hatte, hielt er das Risiko für vertretbar und wagte den Schritt an die Öffentlichkeit. Lokale Medien bis hin zu «TeleZüri» berichteten über den sympathischen jungen Mann, der sich den unternehmerischen Alleingang zutraut und ein Reformhaus retten will. Die Reaktionen, strahlt er, seien überwältigend gewesen. Kundinnen, aber auch Freunde, Bekannte und ihm unbekannte Menschen hätten ihm Unterstützung aller Art und Darlehen angeboten.
Fragt man ihn, wie er sich seinen Erfolg erkläre, denkt er lange nach und sagt dann, er sei überzeugt, dass er über ein rechtes Mass an Glaubwürdigkeit verfüge: «Ich kann gut reden und den Leuten vermitteln, dass es mir ernst ist mit der Übernahme des Geschäfts, dessen Werte ich voll und ganz teile.»
Innert dreier Monate muss es klappen
Jetzt sei er allerdings darauf angewiesen, dass das Konkursamt vorwärtsmache und ihm innerhalb der nächsten drei Monate grünes Licht gebe. Länger könne er nicht warten, weil sich die Kundschaft bis dann längst umorientiert hätte und anderswo einkaufen würde.
Und er? Welche Alternative sähe er für sich? Er nestelt sein Portemonnaie aus der Hosentasche und zieht eine Visitenkarte heraus: «Webtion» prangt in weissen Grossbuchstaben auf rot-violettem Grund: «Dann würde ich mit meinem Halbbruder das Webprojekt realisieren.» (bl)
2 KOMMENTARE
Herr Ruckstull, ich bin gerade zurück von 1 Monat Ferien und am Boden zertört wegen der geschlossenen Tür beim Reformhaus!!! Bitte halten Sie durch! Wir sind so viele, die ohne den Laden bzw. ohne Sie und Herrn Kistler und die sympathischen Mädchen nicht leben können! Machen Sie wieder auf? Wir helfen (ich gehe nie mehr in die Migros🤨!). Bitte weiter!!!! Euer grossef Fanclub von Zollikon.
Bravo Aaron, super! Als Dein ehmaliger Berufsbildner – Lehrmister bin ich stolz auf Dich. Reformhaus ist die beste Ladenform, die es gibt. Sie verdient es, eine Zukunft zu haben!