Irgendwas ist immer

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11. April 2022 – Die Zolliker Politik wird mehrheitlich von Männern bestimmt. Vielleicht wird sich das nach den Wahlen ändern. Fünf hiesige Politikerinnen analysieren die Situation: Esther Meier (SP), Lisa Meyerhans und Corinne Hoss-Blatter (FDP), Regula Harder und Sandra Fischer (Forum 5 W).

Zolliker Politikerinnen
Zolliker Politikerinnen Harder, Hoss, Meyerhans, Meier, Fischer (Collage: red)

Die Zahlen sind eindeutig: Der Gemeinderat setzt sich zu knapp drei Vierteln aus Männern zusammen. Die Rechnungs- und Geschäftsprüfungs-Kommission (RGPK) liegt ganz in Männerhand. Auch die Baubehörde hat Schlagseite: eine Frau – vier Männer. Die Sozialbehörde ist paritätisch besetzt: beide Geschlechter sind je zweimal vertreten. In der Schulpflege dann weibliche Dominanz: fünf Frauen sitzen zwei Männern gegenüber.

Fazit: Die Männer beherrschen die Exekutive, in den Ämtern managen sie die Finanzen und das Bauen. Die Frauen nehmen sich der Bedürftigen, Armen und Kinder an. Immerhin ist mit Sylvie Sieger (FDP) eine Frau im Gemeinderat für die Finanzen verantwortlich.

Schaut man die Liste aller Kandidierenden für die kommenden Wahlen an, könnte es – zaghaft formuliert – leichte Verschiebungen geben: 25 Männer und 16 Frauen kämpfen um 29 Ämter. Damit beträgt der Frauenanteil bemerkenswerte 40 Prozent. Interessant ist, wie sich diese auf die einzelnen Parteien verteilen: allein das Forum 5W stellt 7 Kandidatinnen von insgesamt 9, während die SVP und die GLP mit nur einer Frau (gegenüber 5 beziehungsweise 6 Männern) antreten. Die FDP kann zwar 5 Frauen vorweisen, hat gleichzeitig aber auch 10 Männer am Start: eine Männermehrheit also von zwei Dritteln.

Frauen sind deutlich untervertreten

Selbst bei ausgeprägtem Optimismus lässt sich der Gender-Gap nicht wegdiskutieren: die Frauen sind innerhalb der Zolliker Politik untervertreten. Damit bilden sie zwar keine Ausnahme. In nahezu allen Gemeinden des Kantons Zürich führen Männermehrheiten die Amtsgeschäfte. Aber Grund sich zu überlegen, warum das so ist, gibt es schon.

Fragt man hiesige Politikerinnen, wie sie sich dieses Phänomen erklären, nennen sie an erster Stelle parteiübergreifend «den Mangel an weiblichem Selbstbewusstsein». Frauen würden argumentieren: «Das kann ich nicht.» – «Das ist mir zu viel Verantwortung.» – «Ich weiss zu wenig.» – «Ich habe Angst, vor einem grösseren Publikum aufzutreten.» – «Ich will mich im Wahlkampf und auch sonst nicht exponieren und Anlass zu öffentlicher Kritik bieten.» – «Wie peinlich, wenn ich nicht gewählt oder abgewählt werde.» – «Und dann die vielen älteren Männer, die über viel mehr politische Erfahrung verfügen.»

Esther Meier, SP-Parteipräsidentin, nickt: Genauso sei es ihr ergangen, als sie begonnen habe, sich politisch zu betätigen. Sie habe Angst gehabt, ihre Meinung gegenüber den lauten, polternden Kollegen zu vertreten, und viel zu wenig Mut, von sich aus einen ersten Schritt zu machen: «Ich musste immer gefragt, ja, gepusht werden, um für irgendein Amt zu kandidieren.»

Als sie ihren Sitz in der Schulpflege bei der darauffolgenden Wahl wieder verloren habe, habe sie diese Niederlage persönlich genommen und als Kränkung empfunden. Dass sie als SP-Mitglied in Zollikon häufig allein auf weiter Flur stehe, habe ihr das politische Leben zusätzlich erschwert. Dazu gehöre sie mit ihren 70 Jahren einer Generation an, die der Frage der gerechten Vertretung der Geschlechter noch keine grosse Bedeutung beigemessen habe.

Vielerlei Gegenargumente

Lisa Meyerhans, 53 Jahre alt und seit 2018 Präsidentin der Zolliker FDP, bündelt ihre Haare hinter dem Kopf und seufzt. Als Mitglied der partieinternen Findungskommission habe sie «massive Anstrengungen» unternommen, um mehr Frauen zu gewinnen: Mit mindestens zehn habe sie intensive Gespräche geführt und die Attraktivität der lokalpolitischen Arbeit angepriesen: «Keine einzige hat zugesagt.» Dabei seien alle qualifiziert und kompetent gewesen. Aber bei der einen sei ein beruflicher Wechsel angestanden, die zweite habe eine Weiterbildung in Aussicht gehabt, die dritte zu kleine Kinder, die vierte zu alte, pflegebedürftige Eltern: «Irgendwas ist immer.»

Esther Meier ergänzt, dass es tatsächlich immer noch die Frauen seien, die sich grossmehrheitlich – Studien sprechen von bis zu 80 Prozent – der familiären Care-Arbeit annähmen und dadurch oft bis an den Rande der Erschöpfung belastet seien: «Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen sind nicht nur körperlich, sondern auch mental extrem anstrengend und können Frauen, die noch dazu berufstätig sind, stark beanspruchen.» So stark, dass sie «null Lust» hätten, sich darüber hinaus noch politisch zu engagieren.

Regula Harder vom Forum 5W hat sich diese Lust nicht nehmen lassen. Die 56-jährige Architektin sitzt in ihrem Büro am Zürcher Stauffacher, der einen Knotenpunkt des urbanen Lebens bildet. Sie leitet das Architekturbüro Harder Spreyermann, ist Teil verschiedener Fachgremien und Jurys, die Wettbewerbe ihrer Branche entscheiden, lebt mit ihren drei erwachsenen Söhnen zusammen – und ist seit acht Jahren Mitglied der Zolliker Baubehörde: «Die Leidenschaft für meinen Beruf und das Interesse an der architektonischen Mitgestaltung meines Wohnorts haben mich motiviert, mich auch noch politisch zu betätigen». Einsitz in der Behörde habe sie zwar erst zu einem Zeitpunkt genommen, als ihr Jüngster bereits neun Jahre alt gewesen sei.

Wer Kinder hat, weiss, dass auch Nachwuchs in diesem Alter mental nach wie vor belasten kann. Sie zuckt mit den Achseln und ergänzt, dass ihr Mann, mit dem sie das Unternehmen gemeinsam gegründet und geführt habe, eine wichtige Stütze gewesen sei und ihr einiges an Flexibilität ermöglicht habe.

Das Verständnis des Partners ist ein Punkt, dessen Bedeutung alle Gesprächspartnerinnen betonen. Corinne Hoss-Blatter, seit 16 Jahren in der Schulpflege, davon acht Jahre als deren Präsidentin und damit gleichzeitig Mitglied des Gemeinderats, sagt: «Wer verheiratet ist oder in einer Beziehung lebt, braucht einen Mann, der hinter der politischen Arbeit seiner Frau, dem damit verbundenen Zeitaufwand und der öffentlichen Exponiertheit steht.» Ohne die Unterstützung ihres Mannes wäre es für sie unmöglich gewesen, so viele Abende an Sitzungen, Versammlungen und Veranstaltungen zu verbringen – noch dazu als Mutter einer Tochter.

Wertvolle Hilfe, so die Befragten, böten auch Mentorinnen, erfahrene Kolleginnen also, die den Neulingen erklären, wie der Ratsbetrieb funktioniert oder ihnen Mut machen und ihre Motivation stärken.

Austausch unter Frauen hilft

Löwinnen brüllen
Broschüre

Die Frauenzentrale Zürich hat für ihre Mitglieder im Hinblick auf die Lokalwahlen 2022 die Kampagne «Züri-Löwinnen brüllen» lanciert, mit der sie die Untervertretung von Frauen auf der der Ebene der Kommunalpolitik verbessern möchte. Teil dieser Kampagne sind Mentoring-Programme für Kandidatinnen, aber auch Polit-Coachings oder digitale Stammtische, an denen sich interessierte Frauen mit gestandenen Politikerinnen austauschen können. Dazu wurde die Plattform Züri-Löwinnen brüllen eingerichtet mit Porträts von Kandidatinnen und einer Broschüre mit Facts, Figures und Angeboten. Während unserem Gespräch fällt auch Regula Harder wieder ein, dass sie die entsprechende Anfrage der Frauenzentrale noch beantworten müsse.

Esther Meier, die für ihre Partei seit sieben Jahren im Kantonsrat sitzt, erinnert sich gut an eine ältere SP-Genossin, ohne deren Zuspruch («Esther, du kannst das!» – «Esther, kandidier’ jetzt!») sie niemals gewagt hätte, für den Kantonsrat zu kandidieren.

Auch Sandra Fischer (59) vom Forum 5W, die seit 16 Jahren Mitglied der Schulpflege ist und sich nun um einen Sitz im Gemeinderat bewirbt, hat von einer solchen Erfahrung profitiert. Sie habe immer Wert auf das Urteil der erfahrenen Kollegin Dominique Bühler gelegt, die ihr mehr als einmal in einem Moment der Unsicherheit den Rücken gestärkt habe: «Mach das! Du kannst das!»

Mit der zunehmenden politischen Erfahrung habe sie sich dann auch selber mehr zugetraut, sagt Sandra Fischer. Vor zweieinhalb Jahren habe sie dazu einen wichtigen beruflichen Karriereschritt gemacht und sei Leiterin Bildung der Schule Uetikon a. S. geworden. Heute kenne sie ihre Stärken und wisse, was sie könne: «Ich kann meine Meinung klar formulieren, habe auch keine Angst mehr vor harten Debatten mit dem politischen Gegner, kann gut verhandeln und merke, dass die Leute auf mich hören.»

Den Stier bei den Hörnern packen

«Politik kann man lernen», sagt auch FDP-Präsidentin Lisa Meyerhans. Mit jeder Hürde, die sie genommen habe, sei sie mutiger geworden, mit jedem Auftritt vor einem grossen Publikum sicherer: Daher gebe sie jungen Kolleginnen gern den Rat, den Stier bei den Hörnern zu packen: «Wer immer nur eine ruhige Kugel schiebt und es sich in der Komfortzone behaglich einrichtet, kommt tatsächlich nicht weiter.»

Ihre Parteikollegin Corinne Hoss-Blatter hat die Erfahrung gemacht, dass man auch den Umgang mit Kritik trainieren kann. Sie erinnere sich gut, erzählt sie bei einem Cappuccino, auf wieviel Widerstand sie gestossen sei, als sie an einer Gemeindeversammlung beantragt habe, in der Schule den Posten Leitung Bildung zu schaffen. Sogar ihre eigene Partei habe sich anfangs quergestellt: «In einer solchen Situation muss man Verantwortung übernehmen und gut vorbereitet für die eigene Überzeugung kämpfen.»

Sie lacht. «Ja, Kämpfen gehört tatsächlich zur Politik dazu, warum auch nicht?» Sie habe sich ja letztlich durchgesetzt. Solche Momente seien vor allem für Frauen wichtig, die sich ja schnell einmal kleinmachten und unter Wert verkauften: «Sie merken dann, dass sie mit der Aufgabe wachsen und enorm viel Neues lernen.» Das habe sie selber stets mit Freude, ja, Stolz erfüllt.

Fragt man die Frauen, was sie motiviert habe, sich auf das politische Parkett zu begeben, kommen sehr unterschiedliche Antworten. So engagiert sich Regula Harder in der Baubehörde aus einem «starken fachlichen Interesse.»

Corinne Hoss-Blatter hat während einem fünfjährigen Aufenthalt in Singapur erlebt, wie einschränkend es sei, sich in der Öffentlichkeit nicht politisch äussern zu dürfen. Sie sagt: «Um so wichtiger war es mir nach meiner Rückkehr in die Schweiz, von meinem Recht auf Meinungs- und Äusserungsfreiheit Gebrauch zu machen.» Die Kandidatur für die Schulpflege war der nächste logische Schritt für die Lehrerin.

Lisa Meyerhans macht Lokalpolitik, weil sie «fest von unserem Milizsystem überzeugt» ist und findet, dass man nicht immer nur die Hände in den Schoss legen und alles den anderen überlassen könne. Ausserdem – ergänzt sie – mache es Spass.

Bei allen Unterschieden gibt es eine Gemeinsamkeit, die die Frauen verbindet: Alle fünf stammen aus einem politischen Elternhaus, in dem bereits Vater oder Mutter Ämter bekleideten. Sie erinnern sich an die vielen Diskussionen beim Nachtessen, bei denen leidenschaftlich über Abstimmungen oder Wahlen debattiert, mitunter auch gestritten und ihr Interesse geweckt wurde. Das habe sie massgeblich geprägt und ihren Weg vorgezeichnet. (bl)

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