Keine Planung mehr über die Köpfe hinweg
0 KOMMENTARE
19. April 2023 – Der Gemeinderat will laut seinen Legislaturzielen «den politischen Diskurs mit innovativen Projekten angehen». Frei übersetzt: Er will nicht über die Köpfe hinweg planen, sondern die breite Bevölkerung frühzeitig in Diskussionen einbinden. Das Zauberwort heisst «E-Mitwirkung».
Man muss es so deutlich sagen: was die «Laufenden Projekte» angeht, ist die Website der Gemeinde von vorgestern. Wer das Thema «Ortskernentwicklung» anklickt, wird mit einem Text empfangen, der mit Ereignissen aus den Jahren 2013 und 2016 beginnt. Da bleibt kein Mensch hängen.
Zur Erinnerung: Die Bevölkerung hatte das ursprüngliche Projekt zur Überbauung des Beugi-Areals im Dorfzentrum abgelehnt und stattdessen die «Initiative Widmer» angenommen. Im September 2020 meldete die Gemeinde, die Projektgruppe habe mit einem Workshop «einen wichtigen Meilenstein» zur Verwirklichung der Initiative gesetzt. Von da an erfuhr die Bevölkerung kaum mehr Substanzielles. Vielmehr herrschte grosses Erstaunen, als die «ZollikerNews» am 24. Februar 2022 berichteten, dass sich die Projektgruppe klammheimlich aufgelöst und die «Initiative Widmer» als «nicht umsetzbar» erklärt hatte. Diese Entwicklung hielt die Gemeinde monatelang unter dem Deckel.
Soweit das schlechte Kommunikations-Beispiel aus der Vergangenheit, nun das gute aus der Gegenwart.
Kürzlich begab sich Gemeinderat Dorian Selz als Gastredner zum Quartierverein Zollikerberg und zeigte Möglichkeiten zur dortigen Zentrumsentwicklung auf. Er diskutierte mit den Anwesenden verschiedene Szenarien, wie das brach liegende Areal Roswies zu neuem Leben erweckt werden könnte – zunächst mit einer Zwischennutzung (Popup-Restaurant «Wilder Kaiser», Blumenladen Verdissimo), die es erlauben würde, konkrete Erfahrungen zu sammeln. Parallel dazu wolle der Gemeinderat «ein attraktives Projekt für die Bevölkerung anstossen, das hoffentlich in der nächsten Legislatur umgesetzt werden kann», hatte Gemeinderat Patrick Dümmler bereits Anfang Jahr gesagt.
Traditionell oder fortschrittlich?
Der Startschuss ist geglückt, nun könnte es auf zweierlei Arten weitergehen: traditionell oder fortschrittlich. Auf traditionelle Weise würde der Gemeinderat eine Arbeitsgruppe einberufen, ein Projekt ausarbeiten und dieses in zwei bis drei Jahren der Bevölkerung vorstellen. An einer Gemeindeversammlung könnten die Befürworter- und GegnerInnen dann die Klingen kreuzen. Ungefähr so, wie wir es beim Projekt Beugi erlebt haben. Ausgang: ungewiss.
Fortschrittlicher wäre der Weg über die «E-Mitwirkung», bei der die breite Bevölkerung von Anfang an in die Planung und Diskussion mit einbezogen wird. Für solche Prozesse gibt es massgeschneiderte, bedienerfreundliche Tools, zum Beispiel auf der Plattform www.e-mitwirkung.ch, gegründet vom Zuger Wirtschaftsinformatiker Miro Hegnauer und seinem Partner Roland Brun, politischer Kommunikationsberater und Organisationsentwickler. Die beiden betreiben seit 2017 die Firma Konova AG in Zug, die inzwischen rund 100 Gemeinden und Städte berät und begleitet.
Offenbar sprechen sich die Vorteile der «E-Mitwirkung» allmählich herum. Von der St. Galler Gemeinde Benken etwa ist zu erfahren, dass der frühe Einbezug der Bevölkerung im Ortsplanungs-Prozess helfe, «Risiken und Chancen frühzeitig zu erkennen und die Meinung der Bevölkerung zu berücksichtigen».
Zuerst physisch, dann elektronisch
Frage an den Geschäftsführer der Konova AG: Wie könnte der Planungsprozess für die Zentrumsgestaltung im Zollikerberg unter Einbezug von «E-Mitwirkung» ablaufen?
«Gute Erfahrungen haben Gemeinden mit einem Projektausschuss gemacht, in dem Parteien, Organisationen und VertreterInnen der Bevölkerung eingebunden wurden», sagt Hegnauer bei einem Treffen in Zug. Dieses Gremium würde eines oder mehrere Grobkonzepte, respektive Varianten entwerfen.
Die Ergebnisse würden auf der E-Mitwirkungs-Plattform vorgestellt. Die Bevölkerung hätte die Möglichkeit, sich online dazu zu äussern, Vorschläge zu machen, Bedenken zu äussern. «Die Verwaltung bekäme sehr schnell Informationen, welche Varianten auf Zustimmung stossen und weiterverfolgt werden sollten und welche eher nicht.» Hegnauer ist sich sicher: «Wenn es gelingt, verschiedene Anspruchsgruppen frühzeitig in den Meinungsbildungs-Prozess einzubinden, steigt nicht nur die Akzeptanz in der Bevölkerung, sondern auch die Planungssicherheit für die Behörden.»
Modulare Tools sparen IT-Kosten
Die E-Mitwirkungsplattform ist modular aufgebaut, läuft auf Schweizer Servern, ist auch auf Smartphones nutzbar und erspart der Gemeinde die Entwicklung einer eigenen Software. Wer sich in die Diskussion einbringen will, muss sich zumindest mit einer E-Mail-Adresse registrieren. Bei formellen Mitwirkungen (z.B. Vernehmlassungen) ist die Angabe der Adresse notwendig, bei informellen Themen (z.B. Ideenfindung) wird diese nicht benötigt, und die E-Mail-Adresse wird gegen aussen nicht angezeigt.
Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. Der Gemeinderat könnte beispielsweise die Revision der Bau- und Zonenordnung mittels «E-Mitwirkung» vorantreiben. Er könnte die Bevölkerung aktiv in seine «Netto Null bis 2035»-Klimapolitik mit einbeziehen und zum Mitmachen motivieren. Er könnte sie mitreden lassen bei den Zentrums-Gestaltungen. Oder bei Gelegenheit eruieren, welche Wünsche die Bevölkerung in Bezug auf die Seeufernutzung hat. (rs)
Legislaturziele des Gemeinderats 2022–2026
Legislaturziele auf dem Prüfstand (1/4): Zahlbarer Wohnraum – ein frommer Wunsch
Legislaturziele auf dem Prüfstand (2/4): Der Berg, der Verkehr und der Kanton
Legislaturziele auf dem Prüfstand (3/4): «Digitalisierung darf nicht zur Religion werden»