«Man sagt, ich sei ein freundlicher Mensch»
0 KOMMENTARE
19. Oktober 2021 – Der Zürcher Psychoanalytiker, Satiriker und Kolumnist Peter Schneider ist Gast im ersten «Talk am Puls» am Donnerstag, 4. November. Er spricht über das Thema «Wie wird eine Ehe schön?» Hier erzählt er von sich.
MIT PETER SCHNEIDER SPRACH BARBARA LUKESCH
Herr Schneider, wir haben schon viele Interviews zusammen gemacht, in denen es um Themen wie Abtreibung, Kinderglück oder schöne Ehen ging. Doch nie habe ich Sie ausdrücklich nach Ihrer Person gefragt. Wer sind Sie überhaupt?
Peter Schneider: Oh, oh, das ist die gefürchtete Einstiegsfrage, mit der Roger Schawinski jeweils seine Radiointerviews startet. Ich war tatsächlich einmal sein Gast und wusste ja, was kommen würde. Eine Antwort fiel mir trotzdem nicht ein.
Also gut: ich helfe Ihnen. Sie sind Psychoanalytiker, Professor, schreiben Bücher und Kolumnen, sind Ratgeberonkel im «Tages-Anzeiger», dazu sehr erfolgreicher Satiriker. Was können Sie eigentlich nicht?
Mmh. Ich kann nicht backen.
Erstaunlich. Sie gelten doch als guter Koch.
Trotzdem sagt mir das Backen nichts: ganz viele Zutaten genau nach Rezept zusammenmischen und nachher alles dem Backofen überlassen, ohne noch irgendwas korrigieren zu können, passt einfach nicht zu meiner Art als Freestylekocher.
Was können Sie denn am besten?
(denkt lange nach) Sagen wir’s so: Ich bin in vielem nicht ganz schlecht. Wenn ich ein Restaurant eröffnen würde, hätte ich nicht in einem halben Jahr den ersten Michelin-Stern, aber es liefe sicher ganz gut. Als Psychoanalytiker kann man sich ja selber schlecht einschätzen. Da haben es die Chirurgen besser: wer eine wunderschöne Naht hinbekommt, hat seinen Job gut gemacht. Ich hingegen wüsste jetzt nicht, nach welchen Kriterien ich mich in meinem Beruf beurteilen sollte. Es ist ja nicht so, dass ein guter Psychoanalytiker alle fünf Minuten eine grandiose Einsicht hat und damit bei den Patientinnen auf frenetischen Beifall stösst. Aber irgendwie mache ich es wohl auch nicht schlechter als andere.
Und welche Beschäftigung haben Sie am liebsten?
Das Nichtstun.Das glaubt Ihnen doch niemand.
Ist aber so.
Sie liegen also auf dem Sofa und gucken in die Luft.
Momentan wär das ganz verlockend, da ich ziemlich erschöpft bin. Nach einer gewissen Zeit würde es mir sicher langweilig und ich würde wieder mal jemanden bekochen, der gern isst. Oder ich bekäme wieder Sehnsucht nach der Praxis. Ich gehe ja nicht ungern hin, aber wenn ich frei habe, bin ich auch nicht unglücklich.
Wieviele Patienten sehen Sie pro Woche?
Die Anzahl Leute weiss ich nicht. Ich zähle die Stunden, die ich in der Praxis bin und das sind aktuell 36, verteilt auf dreieinhalb Tage. 33 Stunden, also 11 pro Tag, passen mir besser. Die zusätzlichen drei sind nicht so tragisch, weil es sich mit Ferienabwesenheiten dann schon wieder auf 33 einpegelt.
Sie sind offenbar ein begehrter Analytiker. Wie finden die Leute zu Ihnen?
Ich werde empfohlen, inzwischen sogar von Leuten, die ich gar nicht kenne. Vielleicht geniesse ich so etwas wie einen Altersbonus. Man denkt, der Kerl steht kurz vor der Pensionierung und hat jetzt mehr freie Kapazitäten. Keine Ahnung, wie sich so etwas wie Nachfrage entwickelt. Das sind doch oft auch Zufallsgeschichten. Zu Beginn meiner Tätigkeit als Psychoanalytiker lief es eher harzig, dann wurde es besser und nun hat’s derart angezogen, dass ich aufpassen muss, damit ich mir nicht zu viel auflade.
Man könnte tatsächlich auf die Idee kommen, dass Sie sich übernehmen. Ihr Arbeitspensum kennt kaum Pausen, nicht einmal am Wochenende gönnen Sie sich Ruhe.
Als ich noch beim Radio für die wöchentliche satirische Presseschau verantwortlich war und meine Professur in Bremen hatte, war es wirklich ein 200 Prozent-Pensum. Aber selbst da ging’s irgendwie rein. Das Zeitunglesen für die Presseschau erledigte ich beim Frühstück und frühstücken musste ich ja auf jeden Fall. Und nach Bremen hat mich jeweils mein bester Freund begleitet und wir sind jeden Abend zusammen essen gegangen und in der vorlesungsfreien Zeit shoppen. Das liess sich wunderbar verbinden.
Jetzt beschönigen Sie doch die Realität.
Ich will ja gar nicht sagen, dass ich dieses 200 Prozent-Pensum in 20 Stunden erledigt habe. Das natürlich nicht. Aber ich bin in vielem auch schnell, vor allem, wenn es nötig ist.
Sie arbeiten ja nicht nur viel, sondern betätigen sich auch in sehr unterschiedlichen Bereichen. Besteht da nicht die Gefahr, dass Sie sich verzetteln?
Oh, doch, das habe ich immer mal wieder befürchtet und mir gewünscht, mich einmal ganz auf eine Sache konzentrieren zu können. Aber erstaunlicherweise hat sich mein breites, verzetteltes Spektrum als gut für mich erwiesen. Ich hätte wohl zu wenig Geduld und langen Atem, um mich ausschliesslich einer Sache zu widmen: Jeden Tag kochen? Zu langweilig. Ein 300 Seiten-Buch schreiben? Lieber 50 Seiten, das ist meine Länge. Müsste ich noch mehr ins Detail gehen, würde es mich nicht mehr interessieren. Dann nehme ich lieber einen neuen Anlauf und mach’ was anderes. Apropos: seit kurzem bin ich auch noch als Verleger tätig.
Erzählen Sie!
Ich gebe eine neue Essayreihe in der Edition Patrick Frey heraus, kulturwissenschaftliche Bücher, die Übersetzungen, aber auch Originalbeiträge enthalten. Der erste Band widmete sich dem Thema Krise der Expertise, der zweite behandelte feministische Psychosomatik und der dritte beschäftigt sich mit dem Thema Trans-Identität. Das interessiert mich sehr und so werde ich ein etwas längeres Vorwort dazu schreiben.
Ihr grosses Wissen ist wirklich beeindruckend. Nur schon in Ihrer Ratgeberkolumne im «Tages-Anzeiger» kann man Sie das verrückteste Zeug fragen und Sie geben unglaublich intelligente Antworten. Wie geht das? Sind Sie so gebildet oder doch eher schlau und funktionieren nach dem Prinzip «gewusst wo nachschlagen»?
Zum Einen kann ich mir ja die Fragen aussuchen. Wenn jemand wissen will, wie ein elektromagnetisches Türschloss funktioniert, müsste ich passen oder das bei Wikipedia abschreiben. Das kommt also nicht in die Tüte. Was ich bieten kann, ist ein Studium der Philosophie und Literaturwissenschaft, dazu bin ich Psychoanalytiker. Das ergibt schon mal ein gewisses Quantum an herabgesunkenem Wissen, vor allem, wenn man 64 ist. Ausserdem muss ich mich heute für ein Goethe-Zitat nicht mehr durch das Goethe-Gesamtwerk in 20 Bänden wühlen, sondern finde das dank Google in fünf Sekunden. Dazu kommt, dass viele meiner Antworten nicht auf irgendeinem Fachwissen beruhen, sondern mehr auf einer Art Meta-Expertise.
Was meinen Sie denn damit?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn ich gefragt werde, ob man Narzissten meiden solle, erwarten viele Leute ein klares Ja plus eine Gebrauchsanweisung, woran man Narzissten erkenne. Es gibt tatsächlich entsprechende Bücher, die solche Wünsche erfüllen. Meine Antwort zielte mehr auf die Vorannahme, die in dieser Frage steckt – also auf eine Meta-Ebene. Sie lautete sinngemäss so: Während wir heute davon ausgehen, dass Menschen mit psychischen Störungen wie Depressive, Phobikerinnen oder Zwangsneurotiker unter einer Krankheit leiden, wegen der sie nicht ausgegrenzt werden dürfen, stehen einzig Frauen und Männer mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung am Pranger und sollten gemieden werden. Ich habe also versucht aufzuzeigen, dass schon die Voraussetzung der Frage schief war.
Sie stammen aus dem Ruhrgebiet, haben aber den grössten Teil Ihres Lebens in der Schweiz verbracht. Warum sind Sie der Schweiz so treu?
Wohin hätte ich denn sonst gehen sollen? Meine Frau, mein Sohn, mein Arbeitsumfeld sind in Zürich – das sind doch schon ziemlich starke Argumente, die für die Schweiz sprechen.
Sie haben sich also nicht für die Schweiz entschieden, weil das Land selber Ihnen so viele Vorzüge bietet.
Doch, auch. Zürich ist eine schöne Stadt. Die geografische Lage ist cool. Die Lebensmittelqualität ist hoch. Das politische System finde ich sehr sympathisch. Es ist mir unbegreiflich, wie Menschen es aushalten, wie in Deutschland nur einmal alle vier Jahre ihre Stimme abgeben zu können.
Ihre Frau und Sie sind auch grosse USA-Fans. Was fasziniert Sie dermassen an Amerika?
Bei meiner Frau hat diese Begeisterung familiäre Wurzeln: ihre Mutter war New Yorkerin und beide Eltern haben lange Zeit dort gelebt. Für mich sind die USA wie ein grosser Film. Das meine ich ganz ernst. Egal, wo ich hinkomme, sofort stellt sich bei mir die Erinnerung an irgendeinen Film ein. Das ist speziell und wirklich grossartig. In der Schweiz würde ich ja niemals freiwillig nach Spreitenbach fahren, während man mich in den USA in die trostlosesten Ecken chauffieren kann und ich unentwegt denke: Genau wie dieser Film! Dazu kommt, dass ich New York von unseren jährlichen fünfwöchigen Ferien inzwischen so gut kenne, dass ich sogar merke, wenn ein Kleidergeschäft geschlossen wurde.
Eine Eigenart von Ihnen ist Ihre Offenheit, die auch vor privaten Themen nicht haltmacht. So haben Sie einmal im «Tages-Anzeiger» Ihre Einkünfte und Ihren Immobilienbesitz detailliert aufgelistet. Das ist sehr ungewöhnlich für die Schweiz.
Bei diesem Thema habe ich offensichtlich eine andere Schamgrenze als andere Leute. Ich wüsste aber wirklich nicht, warum ich nicht sagen sollte, wieviel ich verdiene. Wobei es durchaus Lebensbereiche gibt, die ich nicht mit der Öffentlichkeit teilen würde.
Würden Sie über Ihre Sexualität reden?
Nöh.
Über die psychische Erkrankung eines nahen Angehörigen?
Ich könnte mir einen Kontext vorstellen, in dem ich dieses Thema anschneiden würde. Weil es aber das Privatleben eines anderen Menschen betrifft, würde ich dazu öffentlich nichts sagen.
Welche Ihrer Eigenschaften mögen Sie?
Man sagt mir häufig, ich sei ein freundlicher Mensch. Das finde ich eine schöne Eigenschaft und ich wünsche mir, dass ich wirklich dieser Einschätzung entspreche. Was ich momentan nicht mag an mir – um die entsprechende Frage vorwegzunehmen -, ist die Genervtheit, die mich seit geraumer Zeit erfasst hat und die mit dem Pandemie-Grundrauschen zusammenhängt. Was soll dieser ganze Treichler-Mist? Warum erklären mir Lifestyle-Kolumnistinnen, dass Ayurveda und indisches Essen die Immunkräfte stärken und Corona in Schach halten? Angesichts dieser Mischung aus Dummheit, Aggressivität, Ahnungslosigkeit und einem riesigen medialen Sendungsbewusstsein erfasst mich zusehends der Impuls, nur noch «kreisch» zu schreien.
Zum Schluss noch ein etwas lustvolleres Thema: Sie betätigen sich immer wieder als Satiriker, sei es in Ihren Kolumnen, sei es mit eigenen Bühnenprogrammen. Welche Art von Witz gehört zu Ihnen?
Gutgefallen mir aktualitätsbezogene Albernheiten. Wenn ich könnte, würde ich ständig welche produzieren.
Wie entwickeln Sie Ihre Witze? Müssen Sie lange nachdenken, um auf Pointen zu kommen, oder ist Ihnen die Muse freundlich gesinnt und beschenkt Sie grosszügig mit Gags?
Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal fällt mir sofort eine alberne Wendung ein, die ich mit passenden Floskeln fortspinnen und mit fünf Denkfehlern anreichern kann. Was ich auch gut mag, ist absoluter Blödsinn, der aus einer Mischung aus sehr prätentiösem Getue und totaler Trivialität besteht.
Jetzt wäre natürlich ein Beispiel schön.
Ich schildere Ihnen einen winzigen Tiktok-Clip, der mich kürzlich sehr zum Lachen gebracht hat. Da sagt eine sonore Männerstimme, es gebe drei Dinge, die die Menschen schlecht aussprechen können: die Bitte um Hilfe, das Eingeständnis, einen Fehler gemacht zu haben – und (lacht schallend) Worcestershire-Sauce, diese braune Gewürzsauce, die tatsächlich fast niemand korrekt aussprechen kann. Das ist genau diese Kombination aus einem gehobenen Anfang und dem dann folgenden Absturz in die Trivialität. Köstlich!