4. Januar 2023 – «Möglicherweise gelingt es mir, hier ein neues Reformhaus zu eröffnen.» Verfasser dieser Botschaft, die neben der Eingangstüre der Zolliker Filiale an der Alten Landstrasse 92 hängt, ist der Stellvertretende Filialleiter Aaron Ruckstuhl. Er sucht mit dem Reformhaus Müller und den Besitzern der Liegenschaft nach einer Lösung.

Per 3. Januar hat die Reformhauskette Müller sämtliche 37 Schweizer Standorte geschlossen. Betroffen sind 298 Mitarbeitende, davon 5 in der Filiale Zollikon. Diese wandten sich mit einem handgeschriebenen Zettel an die Kundschaft: «Die momentane Situation bedauern wir sehr. Es war eine sehr schöne Zeit mit Ihnen. Es tut uns leid, dass wir uns nicht in Ruhe von allen verabschieden konnten.»

Die Scheune an der Alten Landstrasse 92 steht unter Heimatschutz. Sie gehört der alteingesessenen Familie Bodmer. Marco Albizzatti, der Sohn der 89-jährigen Besitzerin Ruth Bodmer, sagte auf Anfrage, man warte das Ergebnis des Konkursverfahrens ab und hoffe, dass sich die Pläne von Aaron Ruckstuhl verwirklichen liessen.

Ruckstuhl (24) hatte seine Lehre in der Meilener Filiale der Reformhauskette gemacht. Er habe sich die Situation in Zollikon mit einem erfahrenen Treuhänder angeschaut. Man sei zum Schluss gekommen, dass ein Neustart möglich sei.

Solidarische Stammkundschaft

Als die Stammkundschaft von der bevorstehenden Schliessung und seinen Plänen erfahren habe, sei es zu einer Welle der Solidarität gekommen: «Ich war überwältigt von der Hilfsbereitschaft – einige Kunden haben mir sogar Darlehen angeboten.»

Wie es weitergehe, hänge nun von der Konkursverwaltung ab. Den Chef des Konkursamtes habe er am 3. Januar bei einer Versammlung in Olten getroffen, mit ihm gesprochen und dabei erfahren, dass ein normales Verfahren inklusive Schuldenruf sicher 30, wenn nicht 60 Tage dauern würde.

Möglich wäre auch ein Notfallverfahren, mit dem verhindert werden könnte, dass Lebensmittel ihr Ablaufdatum überschreiten. «Eigentlich müsste der Konkursverwalter daran interessiert sein, dass die vorhandenen Waren abverkauft werden können», sagt Ruckstuhl. Der Entscheid stehe aber noch aus.

«Existenzberechtigung verloren»

1929 hatte Rudolf Müller sein erstes Reformhaus eröffnet. Ab 2016 waren die Umsätze rückläufig. «Die Pandemie und darauffolgende Krisen haben die Tendenz der sinkenden Kundenfrequenz im Fachhandel zusätzlich verschärft», schreibt die Firma in einer Mitteilung.

Früher hätten die meisten KundInnen nicht wegen des Preises eingekauft, sondern aus Überzeugung, heisst es in der Medienmitteilung der Reformhaus-Kette weiter. Das habe sich in den letzten Jahren geändert: «Täglich wurden unsere Mitarbeitenden mit der Aussage konfrontiert, dass unser Angebot zu teuer sei.» Weil das Angebot immer weniger nachgefragt worden sei, «müssen wir uns eingestehen, dass wir die Existenzberechtigung am Markt ein Stück weit verloren haben».

Gilt das auch für Zollikon mit seiner relativ wohlhabenden Kundschaft? Aaron Ruckstuhl: «Wenn ein Reformhaus Erfolg haben kann, dann sicher in Zollikon.» (rs)

Beitrag auf «TeleZüri» vom 5. Januar