Momente der Verbundenheit

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20. April 2025 – Menschen brauchen Kommunikation. Wir sind darauf angewiesen, uns mit anderen auszutauschen, zusammen zu lachen und einander mit Wohlwollen zu begegnen. Dazu reichen oft schon winzige Momente. Hierzulande ist es nicht immer einfach, solche Begegnungen zu erleben.

Eine Begegnung, die Freude macht
Eine Begegnung, die Freude macht (Foto: ZN)

VON BARBARA LUKESCH

Manchmal tut es unglaublich gut, wenn man einem fremden Menschen auf der Strasse ein Lächeln schenkt, das erwidert wird. Es freut mich auch, wenn mich unbekannte Leute im Bus oder der Forchbahn ansprechen und mir ein Kompliment zu einem besonders schönen Jupe machen. Als ich kürzlich in der Bäckerei, die direkt neben dem Eingang meines neuen Zürcher Büros liegt, zum dritten- oder viertenmal an aufeinanderfolgenden Tagen einen Latte Macchiato bestellte, meinte die Verkäuferin: «Gälled Si, ohni Zucker und de Bächer ohni Teckel?» Mein Herz ging auf: ich fühlte mich wahrgenommen, ja, man könnte auch etwas pathetisch sagen angekommen. Ich war keine x-beliebige Kundin mehr, sondern die Frau mit den bunten Jupes, die ihren Latte ohne Zucker in einem Becher ohne Deckel trinkt.

All diese winzigen, unscheinbaren Begegnungen lösen in einem ein wirklich angenehmes Gefühl aus. Sie erwecken in mir den Eindruck, als sei ich mit der Welt verbunden, als sei mir die Welt freundlich gesinnt. «Sie nähren unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit», stand kürzlich im «Tages-Anzeiger» zum Thema Alleinsein, sie stellen «Mikromomente der Verbundenheit» dar.

Verena Steiner, die 77-jährige Autorin des Buchs «Solo», in dem sie die Zeit nach dem Unfalltod ihres Mannes und die damit verbundene Einsamkeit verarbeitete, plädiert dafür, solche Momente «zu kultivieren», ja, sie regelrecht zu «üben». Sie erzählt: «Ich habe mir vorgenommen, beim Einkaufen jedes Mal mit drei Leuten zu sprechen: einfach ein Satz, ein Kompliment machen oder eine kleine Frage.» Es kostete die erfolgreiche Naturwissenschaftlerin und Bestsellerautorin anfangs offenbar einiges an Überwindung, diese Art von Kommunikation zu praktizieren. So schlägt sie denn auch vor, man solle Kurse anbieten, in denen man lernt, mit Unbekannten ins Gespräch zu kommen.

Eine interessante Idee. In Zürich sind die Hürden allerdings hoch, wenn man einen solchen Wunsch hegt. Nehmen wir den wunderbaren Sechseläutenplatz direkt am Bellevue, auf dem jetzt wieder  Dutzende von Stühlen zum Verweilen einladen. Das Besondere ist, dass jeweils zwei Stühle mit einem Drahtseil zusammengebunden sind. Die Verbindung ist allerdings so grosszügig bemessen, dass zwei Sitzende durchaus eine gewisse Distanz zueinander wahren können. Egal – in der Limmatstadt passiert es höchst selten, dass sich zwei Menschen, die sich nicht kennen, einen solchen Doppelplätzer teilen. Wenn das Wetter richtig schön ist und alle Lust auf eine Pause an diesem tollen Ort haben, bleiben trotzdem fast die Hälfte der Stühle leer. So viel Nähe, verbunden mit der Angst, vielleicht von einem Fremden angesprochen zu werden oder sich selber zu einem solchen Akt der Kommunikation hinreissen zu lassen, will fast niemand.

Ähnliches erleben all jene, die gern wandern und nach einer langen Wegstrecke gern einmal auf einer Bank eine Pause einlegen würden. Dumm nur, wenn alle Bänke besetzt sind, und sei es nur mit einer Person, die sich – vielleicht ohne jede böse Absicht – direkt in die Mitte gesetzt hat. Wenn man am Ende seiner Kräfte ist, bittet man womöglich darum, dass die andere Person etwas zur Seite rutschen möge; wenn man es allerdings mit zwei Leuten zu tun hat, wagt kaum noch jemand den «Angriff». Vielleicht hat man ja auch schon einmal die Erfahrung gemacht, dass diese offenbar als unfreundlich wahrgenommene Bitte dazu geführt hat, dass der oder die anderen innert Kürze das Feld räumen.

In Zollikon wird die Umgestaltung des Dorfplatzes diskutiert. Er soll familienfreundlicher werden und Begegnungen ermöglichen. Das wäre eine schöne Sache – ich freue mich schon darauf.

Verena Steiner, Solo – Alleinsein als Chance, Arisverlag, 270 S., ca. 26 Franken.

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