Natur, Historie und Beton entlang der Limmat
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Barbara Lukesch und René Staubli: «Die Idee kam uns spontan an einem nebligen Herbstmorgen: Lass uns der Limmat entlang wandern. Wir erlebten 16 km voller Gegensätze. Die Natur wehrt sich nach Kräften gegen die betonharten Übergriffe der Menschen.»
Der Start beim Bahnhof Killwangen-Spreitenbach verheisst nichts Gutes. Trister Beton, alles grau in grau, viel Lärm von der Autobahn A1, die wir eilends unterqueren, um auf dem Steg ans andere Ufer der Limmat zu gelangen.
Aufgepasst: Am Ende des Stegs führt eine unscheinbare Treppe abwärts zum Limmatufer, man kann sie leicht verpassen.
Unversehens befinden wir uns mitten in der Natur. Auf dem idyllischen, verwurzelten «Fischerweglein» geht es auf und ab der Limmat entlang. Den Namen entdecken wir etwas später auf einer Tafel bei der Hütte des örtlichen Anglervereins.
Allmählich verebbt der Lärm der Autobahn, weil die Limmat einen weiten Bogen schlägt. Hörbar, wenn auch nicht sichtbar, sind den ganzen Tag die Flugzeuge, die in Kloten starten und im Hochnebel über unsere Köpfe fliegen. Es ist ratsam, auf den Weg zu achten, der unmittelbar neben dem Fluss verläuft. Wer es nicht tut, zieht möglicherweise einen Schuh heraus.
Auf einem Bauernhof entdecken wir die ersten Tiere, ziemlich verwilderte Ponys und Schafe. Oft machen wir uns einen Spass daraus, am Abend nach einer Wanderung alle Tiere aufzuzählen, die wir gesehen haben. Diesmal notieren wir junge Schwäne, die Krafttraining machen, indem sie gegen den Strom schwimmen, jede Menge Wasservögel und natürlich Hunde, die von ihren Besitzern ausgeführt werden. Wir staunen: Eine so unberührte Landschaft hätten wir in der Nähe von Killwangen-Spreitenbach nicht erwartet.
An einem Rastplatz, von denen es auf dieser Route einige gibt, sind sogar unübersehbare Biberspuren zu sehen. Ein dicker, angenagter Stamm liegt im Wasser. Die Abdrücke der scharfen Biberzähne sind gut zu erkennen. Schade, dass sich die schwimmenden Nager nicht zeigen. Die BewohnerInnen der überwiegend modernen Häuser am Hang scheinen von einem milden Klima zu profitieren. Jedenfalls halten einige von ihnen Palmen auf dem Balkon, was sehr südländisch wirkt.
Allmählich werden die Geräusche der Autobahn wieder lauter, und tatsächlich taucht das Monstrum von der rechten Seite her auf. Wir unterqueren die ausladende Brücke, gehen 200 Meter der Strasse entlang und biegen vor den Fussballplätzen rechts ab. Uns erwartet ein ausgedehntes Naturschutzgebiet, überraschend für diese Gegend. Zu hören sind nur die Rufe der Fussballer und munter pfeifende Vögel. Ausguckposten laden dazu ein, sich zu verweilen und nach Pflanzen und Lebewesen Ausschau zu halten, die sich an diesem Tag jedoch rar machen – es ist recht kühl, und die Sonne lässt weiter auf sich warten.
Schon bald erreichen wir das Kraftwerk Dietikon. Der knallrote Rettungsring ist wohl eher für den Sommer gedacht. Jedenfalls entdecken wir keine Schwimmer.
In einem grossen Bogen geht es weiter der Limmat entlang Richtung Zürich, linkerhand das riesige Areal des Golfklubs Unterengstringen. Ab und an klingt das «Tokk» eines Abschlags zu uns herüber. Die nächste Autobahnbrücke ist bereits in Sicht, als wir dem gelben Wegweiser zum Kloster Fahr folgen und links in einen Waldweg einbiegen.
Verschwundenes Städtchen Glanzenberg
Nun wird es historisch interessant. Im Unterholz sind alte Mauerfragmente zu sehen. Auf einer Tafel lesen wir, dass hier die Freiherren von Regensberg um 1240 eine Siedlung errichteten, die von einem zehn Meter breiten Wassergraben umgeben war. Es ging ihnen darum, den Handelsweg zwischen Zürich und Baden zu kontrollieren. Da die Regensberger damit die freie Limmatschiffahrt der Zürcher bedrohten, machten diese unter der Führung von Graf Rudolf IV. von Habsburg, der später deutscher König wurde, das Städtchen und die benachbarte Burg Glanzenberg im September 1267 dem Erdboden gleich. Die Mauerreste dienten den Anwohnern fortan als Steinbruch.
Auf der Suche nach den Überresten der nahen Burg unterqueren wir vorerst die Autobahn. Auf der Fussgängerrampe unter der Brücke wird einem bewusst, wie gewalttätig wir zuweilen in die Natur eingreifen. Junge Menschen haben die Betonmauern mit Graffiti verziert. Ein verzweifelter Versucht, dem Unort ein wenig Leben einzuhauchen.
Wir überqueren die Hauptstrasse, nehmen das Weglein, das nach wenigen Metern rechts in den Wald hinein führt, überwinden mittels Treppe einen Graben und stehen bald vor einer weiteren Schautafel und den kärglichen Überresten der damaligen Burg, die strategisch geschickt platziert war: Hinten der schützende Wald mit dem tiefen Graben, vorne der Abhang, der in sumpfiges Gelände mündet. Damals hatten die Burgherren wohl freien Blick auf die Limmat, inzwischen verdecken Bäume und Sträucher die Sicht.
Nun folgt wieder eine landschaftlich reizvolle Etappe. Nach der Waldpartie kommen wir auf eine Anhöhe mit weiten Gras- und Ackerflächen. Hier weiden gepflegte, gut genährte braune Kühe, die wohl auf dem Bauerngut des nahen Klosters Fahr zuhause sind. Links des Weges informieren uns Tafeln, wie sorgsam hier mit der Natur umgegangen wird. Es sind viele Steinhaufen aufgeschichtet, die Kleinlebewesen als Rückzugsort dienen.
Bald haben wir die Mini-Siedlung rings um das Kloster Fahr mit der imposanten Kirche im Blickfeld. Bei uns wächst der Wunsch nach Rast und Einkehr. Im Hofladen decken wir uns mit ein paar Leckereien ein. Einen feinen Milchkaffee, der uns Kraft gibt für die letzte Wegstrecke, bekommen wir im Trottenstübli. Dazu essen wir ein Stück hausgemachten Heidelbeer-Kokoskuchen, mmmhhh!.
Auf die heile und ruhige Klosterwelt folgt wieder ein Wegstück entlang der Autobahn, bei dem man froh ist um die Lärmschutzwand, die den Geräuschpegel überraschend tief hält. Wendet man den Blick nach rechts, könnte es idyllischer nicht sein.
Wir wechseln bei der nächstbesten Möglichkeit ans andere Ufer und unterqueren einmal mehr die Schnellstrasse – man muss den Kopf einziehen, so tief hängt der Beton. Rechterhand steht eine grosse Biogasanlage am Wegrand, die pflanzliches Material in Energie umwandelt. Eindrücklich die riesigen braunen Haufen, die darauf warten, von grossen Baggern der Verwertung zugeführt zu werden.
Dann ist die Natur wieder an der Reihe. Rechterhand zweigt ein Holzsteg in ein Wäldchen ab. Wer diesen kleinen Umweg in Kauf nimmt, wird reich beschenkt. Man wähnt sich fast in einem kleinen Urwald.
Bald erreichen wir die Hängebrücke, die auf die Werdinsel führt. Dieses kleine Eiland ist im Sommer völlig überlaufen, im Herbst und Winter jedoch idyllisch ruhig. Bänklein und Feuerstellen am Wasser laden zum Verweilen ein.
Über einen Steg geht es zurück ans linke Limmatufer auf den Kloster-Fahr-Weg und unter der Europabrücke hindurch. Man spürt die Stadtnähe: Es sind viele Flanierinnen, Angler, Standup-Padlerinnen, Velofahrer, ja sogar Schwimmer unterwegs, trotz kühler Witterung. Auf den Sportplätzen am andern Ufer wird Fusball gespielt.
Bis zum Hardturmsteg sind es nur noch wenige Minuten. An der Endhaltestelle wartet bereits das Tram Nr. 8, das uns auf direktem Weg zurück zum Bellevue kutschiert. Als Schlusspunkt der interessanten Wanderung noch eine Stadtrundfahrt – was will man mehr?
Anreise: Mit der S-Bahn vom Bahnhof Tiefenbrunnen direkt nach Killwangen-Spreitenbach.
Anforderung: 16 km, 126 m aufwärts/ 112 m abwärts, Wanderzeit 4 Stunden
Route: PDF von SchweizMobil