Schreiben als Mittel gegen die Einsamkeit

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2. November 2023 – Beatrice Landert schreibt seit rund 30 Jahren Leserbriefe. Früher wehrte sich die diplomierte Pflegefachfrau damit gegen Missstände bei Tierversuchen und im Gesundheitswesen, heute beugt die Zollikerin der Vereinsamung vor.

Beatrice Landert vor ihrem Laptop (Foto: bl)
Beatrice Landert teilt ihre Gedanken gern mit anderen Menschen (Foto: bl)

Beatrice Landert ist eine leidenschaftliche Zeitungsleserin. Wenn sie ins Bett geht, hat sie jeweils die aktuelle Ausgabe der «Zürichsee-Zeitung» dabei und vertieft sich in die Lektüre. Packt es sie, liest sie die Zeitung von vorne bis hinten. Manchmal passiert es aber auch, dass schon der dritte Artikel sie aufregt und ihren Widerspruch weckt.

Dann steht sie auf, holt ihren Laptop hervor und setzt sich an den Tisch in ihrem Wohnzimmer, um einen Leserbrief zu verfassen. «Das geht ruckzuck», erzählt sie. Sie wisse im Nu, was sie schreiben wolle. Es falle ihr viel leichter, ihre Gedanken schriftlich festzuhalten, als sie im Gespräch mit einer anderen Person darzulegen. Ihre Briefe lesen sich denn auch flüssig, sie sind klar und pointiert formuliert.

«Wo bleibt die Ehrfurcht vor dem Tier?»

Zu den Themen, die ihre besondere Aufmerksamkeit erregen, zählen der Tier- und Naturschutz. «Das ist mein wichtigstes Anliegen», erklärt sie. Tiere seien weder gut noch schlecht: «Sie sind einfach da, und erlauben mir damit, mich auf sie zu verlassen.» Im Gegensatz dazu erlebe sie im Umgang mit Menschen viel zu oft, dass sie berechnend seien, heucheln oder gar lügen und ihr damit die Basis für eine vertrauensvolle Beziehung entzögen.

Entsprechend vehement legt sie sich für die Tiere ins Zeug, wenn sie beispielsweise gegen deren Einsatz in der Pharmaforschung protestiert: «Wo bleibt die Scham, wo die Ethik, wo die Ehrfurcht vor dem Tier, der Natur, der Schöpfung? Haben diese Lebewesen nicht auch das Recht auf ein artgerechtes Leben? Wo nimmt sich die Forschung das Recht heraus, Tiere auf so bestialische Art leiden und sterben zu lassen?»

Aufgebracht reagiert sie auch, wenn der Mensch den Naturschutz vernachlässigt. Als sie las, dass ein Grossprojekt im Zentrum von Wädenswil eine seltene Ulme zu Fall bringen soll, spürte sie Ärger, ja, Zorn in sich aufsteigen und redete den Verantwortlichen ins Gewissen: «Die Erwägung, den Baum für einen Coop- und Kantonalbank-Neubau zu fällen, ist einfach perfide. Weder Coop noch Bank sind eine dringende Notwendigkeit. Bäume aber retten unser Leben und das Leben der aussterbenden Vögel und Kleinlebewesen.

«Nicht der Kuss ist ein Skandal…»

Beatrice Landert schreckt auch nicht davor zurück, Positionen zu vertreten, mit denen sie möglicherweise aneckt. Als der spanische Fussballfunktionär Luis Rubiales die Spielerin Jennifer Hermoso, Kapitänin des erfolgreichen WM-Teams, bei der Siegerehrung vor den Augen der ganzen Welt auf den Mund küsste und damit in einen gigantischen Shitstorm geriet, textete Beatrice Landert unbeeindruckt: «Nicht der Kuss ist ein Skandal, viel eher das Unverständnis, die Verständnislosigkeit und die Verurteilung, die dem spanischen Fussballfunktionär entgegengeschleudert wird. Der Mann war so voller Freude, Stolz und Emotionen. Aus diesen heraus küsste er die Spielerin ohne Absicht, ohne Überlegung, was diese Spontanität auslösen könnte.»

Fragt man sie, wie sie zu diesem Schluss gekommen sei, meint sie fast ein bisschen naiv: Sie habe einfach gespürt, dass der Mann nichts Schlechtes im Sinn gehabt habe. Und sowieso: die heutigen Frauen seien sehr zimperlich und ich-bezogen, da hätte der Mann wenig zu melden. Sie hingegen nehme die Männer in Schutz: «Auch wenn man mich damit als Frau von vorgestern abqualifiziert.» Sie lacht schallend.

Erlebt man die kleine, temperamentvolle Frau, die sich flink in ihrer bunt zusammengewürfelten Wohnung mit vielen Gemälden, Fotos, Blumengestecken, Kerzenständern und zahlreichen gewebten Teppichen mit Leoparden- und Zebramuster bewegt, käme man niemals auf den Gedanken, dass sie kurz vor ihrem 90. Geburtstag steht. Sagt man ihr das, winkt sie ab. Alt zu sein, sei keine schöne Erfahrung. Alles tue weh, sie könne kaum noch gehen, und es fehle ihr an Selbstwertgefühl.

«Austausch auf Augenhöhe fehlt»

Vor vier Jahren sei dazu noch ihr Freund gestorben, was sie nach wie vor betrübe. Doch sie vermisse nicht nur ihn, sondern auch Bekannte und Freundinnen, mit denen sie sich auf Augenhöhe austauschen könne. Viele seien bereits gestorben, andere hätten sich mit dem Altwerden von der Welt verabschiedet und zeigten kein Interesse mehr am aktuellen Geschehen.

In dieser Situation habe das Schreiben von Leserbriefen für sie eine neue, wichtige Funktion bekommen: «Es ist nicht nur mein Weg, um Kritik an irgendwelchen Missständen zu äussern, sondern vor allem auch mein Hilfsmittel, um nicht zu vereinsamen.» Auf diese Art könne sie ihre Gedanken teilen und müsse nicht am Stubentisch Selbstgespräche führen.

Die Resonanz, die sie dabei erfahre, sei wirklich beeindruckend. Anrufe, Briefe, Mails – auf allen Kanälen meldeten sich Menschen bei ihr, die in nahezu 100 Prozent aller Fälle mit ihr einig seien: «Herzlichen Dank, Frau Landert. Sie drücken das aus, was mir schon lange auf dem Magen liegt.» Reaktionen dieser Art freuten und motivierten sie weiterzumachen.

«Da musste ich doch an die Öffentlichkeit gehen!»

Angefangen mit den Leserbriefen hat alles vor mehr als 30 Jahren. Die diplomierte Pflegefachfrau, die sich selber lieber als «gelernte Krankenschwester» bezeichnet, stellte fest, dass vieles im Gesundheitswesen im Argen lag. Da sei zum Einen der immense Materialverschleiss gewesen: «Medikamente wurden am Laufmeter verschrieben, egal, ob sie nützten oder nicht», zum Anderen sei aber auch die Belastung des Personals bereits damals enorm gewesen. Ein Beispiel? «Als Nachtschwester musste ich zwei Abteilungen kontrollieren, die auf verschiedenen Stockwerken lagen.» Sie sei ständig rauf- und runtergerannt und am Ende ihrer Schicht «nudelfertig» gewesen.

Das Schlimmste aber sei gewesen, dass niemand von den Verantwortlichen ihre Kritik ernst genommen habe. Sie zuckt mit den Achseln: «Da musste ich doch an die Öffentlichkeit gehen.»

Das tat sie dann auch, in der Anfangszeit noch auf Papier, eingetütet in Kuverts und mit Briefmarken versehen, später dann per Mail. Gleichgeblieben sei, dass sie ihre Schreiben immer mit dem vollen Namen unterzeichnet habe. Angst vor negativen Reaktionen habe sie nie gehabt. Sie habe einfach ein starkes Gerechtigkeitsgefühl, das sie regelrecht nötige, sich zu wehren: «Nicht für mich, sondern für andere.» (bl)

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