Steuererklärer aus Leidenschaft

1 KOMMENTARE

30. März 2023­ – Was die meisten als Zwangsaufgabe empfinden, kann zur Befreiung werden. Die Steuererklärung, elegant und kompetent erledigt, macht Steuerpflichtige souverän. Eine Wegleitung von René Staubli, die 11 Jahre nach ihrer Publikation im «Tages-Anzeiger» noch immer aktuell ist. (1 Kommentar)

30. März 2023­ – Was die meisten als Zwangsaufgabe empfinden, kann zur Befreiung werden. Die Steuererklärung, elegant und kompetent erledigt, macht Steuerpflichtige souverän. Eine Wegleitung von René Staubli, die 11 Jahre nach ihrer Publikation im «Tages-Anzeiger» noch immer aktuell ist.

Gewusst wie – Karikatur von Ruedi Widmer

Die Vögel sind zurück und zwitschern in den Gärten. Es ist wärmer geworden, der Frühling könnte wunderbar werden. Wenn nur diese beiden Couverts nicht wären. Das kantonale Steueramt hat schon vor einiger Zeit die Rechnungen für die direkte Bundessteuer verschickt: zahlbar innert 30 Tagen bis Ende März, also morgen! Und das Gemeindesteueramt erwartet unsere Einkommens- und Vermögensdeklaration, im Volksmund «Steuererklärung» genannt.

Was vielen die Laune verdirbt, perlt an mir ab. Ich gestehe, was mir kaum jemand glaubt: Ich fülle die Steuererklärung jedes Jahr mit Begeisterung aus, ja sogar mit Lust. Und bemitleide ein wenig jene, die von «staatlich verordneter Qual» reden.

«Nicht viele verstehen diese Arbeit als Erntedankfest», bestätigt Bruno Fässler, Direktor des Zürcher Steueramts. Ihm zufolge halten sich gleichwohl 50 Prozent der Steuerpflichtigen an den Abgabetermin vom 31. März. Die andern müssen gemahnt werden (15 Prozent) oder verlangen eine Fristerstreckung (35 Prozent).

Sie schieben bis längstens Ende November vor sich her, was sie trotzdem erledigen müssen. Für fast alle gilt: Es will ihnen einfach nicht gelingen, zum Schweizer Steuersystem, zum Steueramt und zur Steuererklärung im Besonderen eine positive Beziehung aufzubauen. Dem lässt sich abhelfen.

Das Steuersystem – eine Jahresuhr

Statt als Ungeheuer, das einen auffrisst, sollte man sich unser Steuersystem als Jahresuhr vorstellen. Wenn es Viertel nach schlägt (Ende März), ist es Zeit, die direkte Bundessteuer zu begleichen. Zur halben Stunde (Ende Juni) zahlen wir die erste Rate der Staats- und Gemeindesteuern. Um Viertel vor (Ende September) ist die zweite Rate fällig, und zuletzt (Ende Dezember) begleichen wir mit dem «Dreizehnten» unsere Restschuld. Der Staat treibt die Steuern im Einklang mit der Natur ein – im Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Schon dieser Biosteuerrhythmus schafft Behagen und Poesie.

Beim Ausfüllen der Steuererklärung darf man sich auch plastisch in Erinnerung rufen, wozu die Abgaben dienen. Wir Steuerzahler finanzieren Schienen und Strassen, Schulen und Universitäten, Krankenhäuser und Gerichte, das Sozialwesen und die Entwicklungshilfe. Wir alimentieren auch das Steueramt – die Kommissäre sind letztlich unsere Angestellten!

Besonders erfreulich ist, dass sich die seit 1915 erhobene «Wehrsteuer», zumindest ihrem Namen nach, von der Kriegs- zur Zivilsteuer (direkte Bundessteuer) entwickelt hat. Sie nimmt explizit auf die Schwächeren Rücksicht: Für 80’000 Franken steuerbares Einkommen zahlen Verheiratete mit zwei Kindern in allen Kantonen bescheidene 589 Franken. Bei 240’000 sind es bereits 17’359 Franken, 30-mal mehr. Dass bei der Staats- und Gemeindesteuer jene bevorteilt werden, die in steuergünstigen Orten wie Zollikon wohnen, wollen wir nicht verschweigen.

Anarchische Gefühle

Wir freuen uns, dass wir unsere finanziellen Verhältnisse mit Hilfe des Computers und einer tauglichen Software im Nu aufarbeiten können. Solche Programme haben einen unschätzbaren Vorteil: Sie rechnen die Zahlen zusammen, setzen standardmässig Werte für bestimmte Abzüge ein und errechnen selbst den Steuerwert von Wertschriften automatisch.

Wer es versteht, aus der jährlichen Pflichtübung eine Kür zu machen und aus dem Papierkrieg ein Erntedankfest, wird ein leicht anarchisches Triumphgefühl verspüren. Denn er ist dem Steuerkommissär nicht länger ausgeliefert, sondern begegnet ihm als Experte auf Augenhöhe. Er befreit sich aus einer Abhängigkeit. Bei ihm treibt der Staat die Steuern nicht ein. Er übergibt dem Staat das Geld als angstfreier Bürger.

Als Steuerpflichtiger hat man drei Möglichkeiten. Man ärgert sich jedes Jahr neu und füllt die Formulare dann doch aus – gehetzt, genervt und überfordert. Man erhebt die Pflicht zur Kunst, wozu wir dringend raten. Oder man legt sich mit dem Steuerkommissär an – einem der zähesten Gegner, den man sich vorstellen kann. Und zahlt am Ende trotzdem.

Dieser (gekürzte) Artikel erschien am 2. März 2012 auf der Hintergrund-Seite des «Tages-Anzeigers»

1 KOMMENTAR

Jawohl, ich bin total der gleichen Meinung! Wir sollten uns viel mehr vor Augen führen, was alles gut funktioniert dank unseren Steuern: Beim Ausfüllen der Steuererklärung darf man sich auch plastisch in Erinnerung rufen, wozu die Abgaben dienen. Wir Steuerzahler finanzieren Schienen und Strassen, Schulen und Universitäten, Krankenhäuser und Gerichte, das Sozialwesen und die Entwicklungshilfe. Wir alimentieren auch das Steueramt – die Kommissäre sind letztlich unsere Angestellten!
Das sollte zuhause und in der Schule auch den Kindern schon aufgezeigt werden – damit sie dann später die richtige Einstellung haben und nicht unter dem Steuercouvert leiden, weil vielleicht schon der Vater immer gestöhnt hat…

WIR FREUEN UNS ÜBER IHREN KOMMENTAR

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

zwei + dreizehn =

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht