Von einem «Boulevard Forchstrasse»
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14. März 2022 – Die Bevölkerung wünschte sich einen Tunnel für die Forchbahn im Zollikerberg. Oder zumindest die Herabstufung der Bahn zum Tram, um einen «Boulevard Forchstrasse» zu schaffen. Der Gemeinderat bezeichnete das als «wünschbar» und versprach, sich «vehement für die Interessen der Bevölkerung von Zollikerberg einzusetzen».
Bei der Ausschreibung eines Wettbewerbs zur «Freiraumgestaltung Hauptverkehrsstrassen» hatte der Gemeinderat im Jahr 2000 die Trennung der Ortsteile im Zollikerberg durch die Forchstrasse und die Forchbahn beklagt. Es bestehe die «Gefahr der optischen und sozialen Abwertung». Die Gemeinde suche Ideen, um die Identität solcher Räume zu verbessern.
Die Architekten Harder & Spreyermann schlugen vor, die Forchstrasse zwischen der Kreuzung beim Rosengarten und der Haltestelle Spital zu einem menschenfreundlichen Boulevard umzugestalten und einen Raum zu schaffen, «in welchem öffentliches Leben stattfinden kann».
Die Forchbahn sollte in diesem Abschnitt wie in der Stadt Zürich als oberirdisches Tram mit Gleisen verkehren, die in den Belag eingelassen wären. Baumreihen sollten den Boulevard wie eine Allee einfassen, «Warteinseln» den Menschen die sichere Überquerung aller Verkehrswege ermöglichen. Der Zollikerberg wäre nicht mehr wie heute von den Gleisen zerschnitten worden. Die Zentrumsfunktion und Attraktivität des Boulevards wollten die Architekten mit massiven Beleuchtungskörpern und zusätzlichen Läden oder Infrastrukturen steigern.
Das Problem mit der Umfahrung
Beim Boulevard-Projekt darf man die Rechnung allerdings nicht ohne den Verkehr machen. Auf der Forchstrasse, eine der frequentiertesten Kantonsstrassen, fuhren vor vier Jahren täglich mehr als 20’000 Motorfahrzeuge am Messpunkt Waldburg vorbei. Der Verkehrsdruck auf den Zollikerberg werde mit der Eröffnung des neuen Kinderspitals im Balgrist und dem Ausbau der übrigen Kliniken in diesem grössten «Gesundheits-Cluster» der Schweiz massiv zunehmen, schreibt der Regierungsrat – «der Verkehrskollaps im Raum Balgrist ist voraussehbar». Er wird im Zollikerberg spürbar sein.
Die Architekten Harder & Spreyermann erhofften sich die nötige Entlastung der Forchstrasse durch den Bau der Umfahrung von Zollikerberg gemäss kantonalem Richtplan. Dieser sieht vor, dass die Autos, die von der Forch her kommen, kurz nach Zumikon in einen Tunnel abtauchen, der sich im Raum Burgwies mit der geplanten Röhre der Zürcher Ostumfahrung vereinigt (siehe Plan). Damit wäre der Zollikerberg auch den Pendlerverkehr stadtauswärts los. Allerdings ist laut Auskunft des Kantons mit der Realisierung dieses Projekts «frühestens ab 2035 zu rechnen».
Untertunnelung der Forchbahn
Ein Jahr nach dem Projekt von Harder & Spreyermann wurden Pläne zur Untertunnelung der Forchbahn bekannt. Der Gemeinderat liess eine alte Studie der VBZ von einer Ingenieurfirma aktualisieren. Sie veranschlagte die Kosten für den 1,2 Kilometer langen Abschnitt zwischen der Haltestelle Waldburg und der Unterhueb auf 76 Millionen Franken.
Diese Summe müsste praktisch vollumfänglich von den Zolliker Steuerzahlern aufgebracht werden, sagte die damalige Zolliker Bauvorständin Cornelia Bodmer an einer öffentlichen Orientierung. Das Publikum im Saal reagierte laut einem Bericht in der NZZ trotzdem euphorisch und bezeichnete das Projekt als eine langfristige Investition, «derentwegen es sich lohne, ein paar Franken in die Hand zu nehmen», zumal dadurch im Zollikerberg rund 8000 m2 nutzbaren Bodens gewonnen werden könnten.
Dann herrschte Funkstille.
Das Versprechen von Martin Hirs
Das Thema kam erst im April 2018 wieder auf, als Gemeinderat Martin Hirs als Gastredner an der GV des Quartiervereins Zollikerberg auftrat. Hirs konnte nicht verstehen, warum der Zollikerberg noch nicht in eines der drei Agglomerationsprogramme des Bundes aufgenommen worden war. Er hoffe, Zollikon schaffe es ins vierte Programm, das 2023 in Kraft trete. Man führe «Gespräche mit dem Kanton, die uns zuversichtlich stimmen», zitierte ihn die «Zürichsee-Zeitung». Sobald der Zollikerberg im 4. Programm sei, würden die Bundesgelder fliessen, und er werde ein Projekt zur Tieferlegung der Forchbahn lancieren.
Der Gemeinderat sekundierte ihn und schrieb in seinen Legislaturzielen 2018-2022, «die Verkehrsbelastung auf der Forchstrasse im Zollikerberg und auf der Seestrasse, sowie das Verkehrswachstum im Zusammenhang mit der Gebietsplanung Lengg beeinträchtigen die Lebensqualität. Hier sind in Zusammenarbeit mit dem Kanton und der Stadt Zürich Massnahmen einzufordern.» Die entsprechenden Verkehrsprojekte seien «in das Agglomerationsprogramm aufzunehmen».
Regierungsrat winkt ab
Die Realität sieht anders aus. Der Zollikerberg wird im 4. Agglomerationsprogramm des Kantons Zürich mit keinem Wort erwähnt. Warum nicht? Unsere Fragen gehen an Markus Gerber, den Mediensprecher der kantonalen Volkswirtschaftdirektion. Er antwortet schriftlich.
Herr Gerber, warum hat es Zollikon mit dem Projekt Untertunnelung Forchstrasse nicht in die 4. Agglomerationsprogramme AP geschafft?
Gerber: «Der Regierungsrat sieht eine Unterbodenlegung der Forchbahn aufgrund des nur sehr lokalen Nutzens nicht als erforderlich und angesichts der voraussichtlich sehr hohen Kosten als unverhältnismässig an. Eine Aufnahme in ein Agglomerationsprogramm ist daher nicht vorgesehen. Ohnehin ist aber anzunehmen, dass ein solches Projekt zu 100% durch den Bund über den Bahninfrastruktur-Fonds erfolgen müsste und nicht im Rahmen eines Agglomerationsprogrammes.»
Wie intensiv verliefen die Gespräche zu diesem Thema zwischen der Gemeinde Zollikon und dem Kanton?
Gerber: «Es fanden zwei Gespräche statt. Beim ersten haben wir die Bedingungen für die AP-Aufnahme erläutert. Beim zweiten wurde die Liste der (möglichen) Projekte und Massnahmen von der Gemeinde vorgestellt. Eine Tieferlegung der Forchbahn war nicht mit dabei, stattdessen beinhaltete die Liste kommunale Ideen zur Umgestaltung der Forchstrasse. Wir haben die Projektliste gesamthaft geprüft und festgestellt, dass darauf keine in den folgenden Jahren umsetzungsreife Massnahmen enthalten waren, die nicht auch ohne Bundesbeiträge umgesetzt hätten werden können.»
Den Tunnel selber bauen?
Für den ehemaligen Zolliker Gemeinderat Jürg Widmer ist deshalb klar: «Den Tunnel müsste die Gemeinde selber bauen und finanzieren – wie damals Zumikon. Dann könnte die Bevölkerung im Zollikerberg trotz höherem Verkehrsaufkommen von einer besseren Lebensqualität profitieren.»
Wenn da nur nicht die hausgemachten Beschränkungen wären: Laut Finanzchefin Sylvie Sieger (FDP) hat der Gemeinderat bei seinen finanziellen Zielsetzungen eine Investitionsgrenze von 64 Millionen Franken pro Amtsperiode beschlossen, macht 16 Millionen pro Jahr. Auf dieser Basis lässt sich ein Tunnel nicht finanzieren. Kommt dazu, dass die Dorfbevölkerung wohl kaum 100 Millionen für ein Projekt im Berg durchwinken würde, das ihr selber nichts nützt.
Dem Quartierverein fehlt die Unterstützung
«Die Untertunnelung wäre für uns eine gute Sache», sagt Fritz Wolf, Co-Präsident des Quartiervereins Zollikerberg, «auch wenn nicht alle derselben Meinung sind, weil sie finden, der Strassenverkehr müsse weg, nicht die Forchbahn.» Die Gemeinde könne das Tunnelprojekt kaum selber stemmen, «aber wir wären froh um eine Lösung; uns fehlt schon die aktive Unterstützung des Gemeinderats als Ganzes».
Deshalb die Frage an Gemeinderat Martin Hirs (SVP): Sind die Projekte «Boulevard Forchstrasse» mit der Forchbahn als Tram, respektive die Tieferlegung der Forchbahn in einen Tunnel aus Sicht der Gemeinde definitiv vom Tisch?
Hirs sagt, die Frage könne «weder mit Ja oder Nein beantwortet werden». Der Kanton als Eigentümer habe sich nicht um die Forchstrasse gekümmert. Deshalb sei man nicht im Agglomerationsprogramm. Der Kanton habe die Vorschläge der Gemeinde für oberirdische Strassenquerungen für Fussgänger einfach vom Tisch gewischt. Sein Eindruck sei, «dass sich der Kanton lieber um einfacher aufzuwertende Staatsstrassen kümmert als um die Forchstrasse». Es sei so wie im Privaten: «Sie können zwar auf dem Grundstück ihres Nachbarn etwas planen und ihn motivieren, dies umzusetzen. Schlussendlich ist es aber die Sache des Eigentümers, ob er das will.»
Abschied vom Boulevard
Vom Begriff «Boulevard» müsse man sich lösen, sagt Hirs. Es gehe nun darum, sich «gegen weitere Abwertungen der Forchstrasse durch Schranken, strassenabweisende Bauten usw. einzusetzen». Man müsse den Kanton konstant an seine raumplanerische Verpflichtung erinnern, die Forchstrasse aufzuwerten: «Wie dies umgesetzt wird, muss ergebnisoffen vom Kanton in Zusammenarbeit mit der Gemeinde und der Forchbahn erarbeitet werden, damit schlussendlich eine optimale Lösung gefunden wird.»
Mit andern Worten: Wir sind nicht weiter als vor 15 Jahren. Inzwischen hat die Forchbahn in eine teure elektronische Bahnsteuerung investiert, der Bahnhof beim Spital Zollikerberg ist ausgebaut worden. Das sind klare Statements: die Forchbahn versteht sich nicht als gemächliches Tram, sondern als schnelle Bahn. Die Idee von der Untertunnelung ist wohl definitiv gestorben. Für den Zollikerberg gilt: Boulevard ade, der Mehrverkehr kann kommen. (rs)
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Schon im letzten Jahrhundert wurde an der Forchstrasse nur Schadensbegrenzung betrieben. Ein Lichtsignal hier, eine Unterführung dort und dann war wieder eine Weile Ruhe. Nun geht es im gleichen Stil weiter. Von der Vision, die die Bevölkerung entworfen hatte, „muss man sich lösen“. Es ist absehbar, dass der Verkehr in einigen Jahren, nicht erst 2035, hier kollabieren wird. Und dann? Eine dritte Spur? Trottoir weg? Welche Lösungen sind angedacht?
Allerdings gibt es von der Stadt her noch den Schleichweg über den Rumensee nach Zumikon. Spätestens dann, wenn auch dieser überstrapaziert wird und sich der Verkehr in der Zumikerstrasse staut, werden die Zolliker aufwachen.