Von einem lebendigen Ortskern in der Beugi
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11. März 2022 – Die Bevölkerung wünschte sich, dass der Dorfkern zu einem Ort der Begegnung wird. Der Gemeinderat wollte einen grossen Wurf mit einem zusätzlichen Grossverteiler. Das Volk sprach sich stattdessen für die «Initiative Widmer» aus. Inzwischen ist klar, dass die Planung ganz von vorne beginnen muss. Was ist schief gelaufen?
Als man im Jahr 2016 das Alters- und Pflegezentrum Blumenrain eröffnete, wurde im Dorfzentrum das 6300 m2 umfassende Beugi-Areal frei. Die Gemeinde arbeitete ein Projekt aus, das auf dieser Fläche den Bau von Eigentums- und Mietwohnungen sowie die Ansiedlung eines weiteren Grossverteilers vorsah. Es sollte von der Zürcher Baugenossenschaft Zurlinden realisiert werden.
Dagegen regte sich Widerstand. Nach einer turbulenten Gemeindeversammlung kam es zu einem Urnengang. Die Bevölkerung stimmte am 10. Juni 2018 der «Initiative Widmer» zu. Die Gemeinde wurde angehalten, das Beugi-Areal im Baurecht an die Zolliker Baugenossenschaften abzugeben.
Die Initianten wollten Wohnungen für alle Altersstufen erstellen: 1/3 Familienwohnungen, 1/3 Seniorenwohnungen und 1/3 Kleinwohnungen für Einzelpersonen oder Paare. Es sollten bezahlbare Wohnungen sein. Die Zolliker Baugenossenschaften gingen davon aus, «dass nun rasch mit den weiteren Planungsschritten begonnen wird und das Volk schon bald über einen Baurechtsvertrag abstimmen kann».
Man wollte auf dem ursprünglichen Projekt aufbauen, das von der damaligen FDP-Gemeindepräsidentin Katharina Kull-Benz und ihrer Partei massgeblich vorangetrieben worden war. Einfach ohne Grossverteiler und mit einem differenzierterten, günstigeren Wohnungsangebot. Den bestehenden Gestaltungsplan wollte man mit einem Architekturwettbewerb anpassen.
Klare Aufgabenverteilung
Man bildete ein Projektteam, stellte ihm eine Begleitgruppe zur Seite und regelte die Aufgabenverteilung: Der Gemeinderat war zuständig für die strategische Planung, die Vorstudien und den Architekturwettwerb, dessen Gewinner er erküren sollte. Danach hätten die Genossenschaften die Projektierung, die Ausschreibung der Aufträge und die Realisierung des Projekts übernommen, wie die nachfolgende Darstellung aus dem Projekthandbuch zeigt:
Man erstellte einen Zeitplan (siehe unten). Danach sollte Mitte 2020 der Baurechtsvertrag unterschrieben und das Wettbewerbsprogramm aufgegleist sein. Den eigentlichen Wettbewerb wollte der Gemeinderat 2021 durchführen und abschliessen. Die Bevölkerung sollte Ende 2021 oder Anfang 2022 über das neue Dorfzentrum abstimmen können.
Von den Arbeiten der Projektgruppe erfuhr die Öffentlichkeit ausser der Zusammensetzung nichts: Die Leitung hatte Gemeindepräsident Sascha Ullmann (GLP), sekundiert von Bauvorstand Martin Hirs (SVP). Im Namen der Baugenossenschaften Pro Familia, Pro Zollikon, Junge Baugenossenschaft, Neue Baugenossenschaft und Siedlungsbaugenossenschaft Zollikon sass der der Initiant Jürg Widmer mit am Tisch. Stephan Sintzel, Architekt und Mitglied des Forums 5W, vertrat die Bevölkerung. Dann gab es noch zwei externe Co-Projektleiter: den Aargauer Raumplaner und Architekten Felix Fuchs sowie den Wetzikoner Organisationsberater Peter Imhof, der zwischenzeitlich auch als interimistischer Zolliker Gemeindeschreiber mit dem Projekt beschäftigt war.
Die letzte offizielle Verlautbarung des Gemeinderats zum Projekt Beugi erfolgte vor 19 Monaten (!), am 4. September 2020, im Form einer Medienmitteilung. Darin bezeichnete man einen «Start-Workshop zur Arealsentwicklung» als «wichtigen Meilenstein». In den Diskussionen sei es um «wohnpolitische Zielsetzungen» gegangen, um die «Zusammenarbeit zwischen Gemeinde und Wohnbaugenossenschaften» sowie um «Erfolgsfaktoren und Risiken für die Arealentwicklung».
Zwei Jahre nach der Abstimmung vom Juni 2018 ging es also immer noch um Grundsatzfragen. Die Formulierung, dass man dabei «eine neue Vertrauensbasis gelegt» habe, muss man aus heutiger Sicht so lesen, dass das ursprünglich vorhandene Vertrauen unterwegs verloren gegangen war. Dass der «Auftakt für ein konstruktives Miteinander» gelungen sei, lässt wiederum den Schluss zu, dass bis dahin von einem «konstruktiven Miteinander» keine Rede sein konnte.
Der politische Wille fehlte
Recherchen vermitteln den Eindruck, dass es nicht zuletzt am politischen Willen zur Umsetzung der «Initiative Widmer» auf allen politischen Ebenen fehlte. Es wurde über Abläufe und Budgetposten gestritten. Eine angepasste Machbarkeitsstudie als Basis für inhaltliche Diskussionen fehlte, das Thema der öffentlichen Nutzung kam nicht vom Fleck. «Wir sind nicht auf dem Feld 1 gescheitert», konstatiert ein Insider, «sondern schon auf dem Feld 0.»
Im Juni 2021 wurde das Projektteam in aller Stille aufgelöst. Die beiden externen Experten Felix Fuchs und Peter Imhof lud man recht unsanft aus. Zurück blieben nur die Gemeinderäte Sascha Ullmann und Sylvie Sieger (die für Martin Hirs einsprang) sowie Jürg Widmer. Über diese gravierende Entwicklung wurde die Zolliker Bevölkerung mit keinem Wort informiert.
Am 8. Dezember 2021 machten wir in den «ZollikerNews» publik, dass sich die Zolliker Altbürger entschlossen hatten, die Liegenschaft Alte Landstrasse 93/95 mit der Bäckerei Hausammann abzureissen und durch einen Neubau ohne Ladenlokal zu ersetzen. Nach diversen Gesprächen mit der Gemeinde über eine mögliche Zusammenarbeit waren die Altbürger zum Schluss gekommen, dass mit einer Realisierung des geplanten Dorfzentrums innert nützlicher Frist nicht zu rechnen sei.
Nach weiteren Recherchen berichteten wir am 24. Februar unter dem Titel «Beugi-Projekt vor entscheidender Weichenstellung» vom Scheitern der «Initiative Widmer». Wir schrieben, zwischen der Gemeinde und den Genossenschaften bahne sich ein Kompromiss an: 50 gemeinnützige Wohnungen auf einem anderen Grundstück der Gemeinde – und ein neues Konzept für das Dorfzentrum. Die Zolliker Parteien nahmen anderntags Stellung zu dieser überraschenden Entwicklung und äusserten den dringenden Wunsch nach mehr Transparenz im künftigen Planungsprozess.
Selektive Kommunikation
Tatächlich kommuniziert der Gemeindepräsident wenig konsistent. Auf die Fragen der «ZollikerNews» mochte er nicht antworten. Er rang sich nur zu einem kargen Statement durch: «Wir haben mit den Vertretern der Genossenschaften vereinbart, dass wir Mitte März gemeinsam über das weitere Vorgehen informieren, wenn die Vorstände diskutiert und entschieden haben.»
Dieser Vorsatz war innert Tagen hinfällig. Dem amtlichen Publikationsorgan «ZoZuBo» gab er für die Ausgabe vom 4. März ein grosses, rechtfertigendes Interview. Zur Kommunikation sagte er: «An jeder Sitzung fragten wir uns, wann kann und soll der Gemeinderat die Bevölkerung informieren?», und fügte entschuldigend hinzu: «Der Gemeinderat kann nur konkrete Beschlüsse vorlegen, keine Mutmassungen.» Als ob die Sistierung des Beugi-Projekts und die Auflösung der Projektgruppe keine konkreten Beschlüsse gewesen wären. Offensichtlich orientiert sich Ullmann strikt am neuen Kommunikations-Konzept der Gemeinde, in dem es wörtlich heisst: «Nicht alles, was wahr ist, muss gesagt werden, aber alles, was gesagt wird, muss wahr sein.»
Heute morgen (11. März) verschickte der Gemeinderat eine Medienmitteilung, in der er die Recherchen der «ZollikerNews» bestätigte. Bis Ende März sollen «vertiefte Erkenntnisse zu den finanziellen aber auch baurechtlichen Risiken vorliegen, die der Gemeinderat und die Vertreter der Genossenschaften zusammen anschauen und weitere Schritte festlegen werden».
Die Entwicklung des Areals Beugi solle weitergehen, «selbst falls sich zeigen sollte, dass sich die Umsetzung der einst angenommenen Initiative so nicht realisieren lässt – weder Gemeinderat noch die Genossenschaften wollen einen Stillstand oder arbeiten auf einen solchen hin, sondern setzen sich gemeinsam für eine planungsrechtlich machbare Lösung ein».
Nun sind wieder Ideen gefragt
Die Genossenschaften haben die Idee eingebracht, auf dem Beugi-Areal ein neues Gemeindehaus zu bauen. Mit der Ansiedlung von Geschäften müsse zudem sichergestellt werden, «dass das Zentrum, wie von der Bevölkerung gewünscht, belebt wird», sagt Initiant Jürg Widmer.
Zuoberst auf der Wunschliste des Familienclubs stehen: ein Gemeinschaftswerkraum nach Zumiker (Töpfi, Holzi) oder Stadtzürcher Vorbild (Gemeinschaftszentren); ein Jugi mit langen Öffnungszeiten für Jugendliche und Schüler; ein begrüntes Dorfzentrum in einer grossen autofreien Zone; ein Spielplatz mit Brunnen und Wasserspiel; ein Café; eine Halle mit Geschicklichkeits-Parcours für Kinder und Erwachsene. «Kurzum: ein Ort, der lebt!», sagt Familienclub-Präsidentin Daniela Wolf im Namen des Vorstands.
Es darf wieder geträumt werden. 15 Jahre nach der «Zukunftskonferenz» ist Zollikon zurück am Start. (rs)