Warum das Experiment gelingen könnte
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24. Oktober 2022 – Die Stadt Zürich will von August 2023 bis April 2024 die Fahrspuren auf der Bellerivestrasse reduzieren. Der Verkehrsversuch soll Erkenntnisse für die anstehende bauliche Umgestaltung und Sanierung bringen. Was bedeutet das für Zollikon? (3 Kommentare)
24. Oktober 2022 – Die Stadt Zürich will von August 2023 bis April 2024 die Fahrspuren auf der Bellerivestrasse reduzieren. Der Verkehrsversuch soll Erkenntnisse für die anstehende bauliche Umgestaltung und Sanierung bringen. Was bedeutet das für Zollikon?
Auf der vielbefahrenen Verkehrsachse zwischen Tiefenbrunnen und Bellevue sind drei Projekte geplant: Die Erneuerung der holprigen Bellerivestrasse (die Zolliker Busfahrer wissen ein Lied davon zu singen), der Bau von Radwegen in beiden Richtungen und die Sanierung des Lehnenviadukts.
Lehnenvidadukt? Es handelt sich um den Abschnitt zwischen Strandbad und Bahnhof Tiefenbrunnen. Weil sich das Viadukt nahtlos ans Ufer schmiegt, wird es nicht als solches wahrgenommen.
Da sich gegen die Teilprojekte von etlichen Seiten Widerstand regte, holte das Tiefbauamt der Stadt Zürich ein Verkehrsgutachten ein. Auf der Basis dieses Gutachtens erstellte eine spezialisierte Firma Computersimulationen für vier Szenarien. In ihrem 72-seitigen Bericht bezeichneten die Experten die Variante C2 «aus verkehrstechnischer Sicht als Bestvariante».
Bestvariante blieb auf der Strecke
Diese Variante sah auf der Bellerivestrasse eine Reduktion von 4 auf 3 Fahrspuren im sogenannten Richtungswechselbetrieb zwischen zwischen Tiefenbrunnen und Kreuzstrasse vor. Am Morgen hätten die Autos auf zwei Spuren stadteinwärts und auf einer stadtauswärts fahren können, am Abend wäre es umgekehrt gewesen. Der Vorschlag wurde in der Vertiefungsphase jedoch verworfen: zu viele Signale, zu riskant, zu teuer, keine durchgehende Veloinfrastruktur möglich.
Was ab August 2023 getestet werde, sei «eine Weiterentwicklung der ursprünglichen Varianten», sagt Nadja Häberli von der Dienstabteilung Verkehr der Stadt Zürich (DAV). Die Verkehrsmengen für die Simulation seien aber gleich geblieben.
Konkret sieht das so aus: Wer stadteinwärts fährt, trifft an der Badstrasse kurz vor dem Strandbad Tiefenbrunnen auf einen «Reissverschluss»: aus zwei Spuren wird dort eine. Das schafft Platz für die Velos. Vorne beim Bellevue bleibt es bei zwei Spuren in beide Richtungen.
Laut DAV zeigen die Simulationen, «dass die Spurreduktion grundsätzlich machbar ist und keine Verkehrsverlagerungen zu erwarten sind».
Im Zentrum der Argumentation steht folgende Überlegung: Die Lichtsignalanlage am Bellevue regle, wie viele Fahrzeuge in Stosszeiten durchgeschleust werden können. Da sich am Bellevue nichts verändere – weder die Zahl der Spuren noch die Programmierung der Signalanlage – werde auch die Anzahl der Fahrzeuge gleichbleiben, die das Bellevue passieren können. Der «Flaschenhals Bellevue» sei leistungsbestimmend für die gesamte Verkehrsachse.
Die Experten räumen jedoch ein, dass es «an anderen Örtlichkeiten innerhalb des Versuchsperimeters zu etwas längeren Wartezeiten kommen könnte». Die Fahrzeiten verlängerten sich voraussichtlich jedoch «nur minimal».
Drei entscheidende Fragen
Aus Zolliker Sicht drängen sich einige Fragen auf:
- Wie weit reicht der Stau auf der Seestrasse in den Hauptverkehrszeiten gemäss den Simulationen zurück? So weit, dass der Zolliker Bus auf der Dufourstrasse (Bahnübergang) stecken bleibt und den Fahrplan nicht mehr einhalten kann?
- Sieht die Versuchsanordnung vor, dass der Verkehr an der Grenze Zollikon/Zürich mit der dort vorhandenen Lichtsignalanlage so geregelt (und zurückgehalten) wird, dass es bei der Einmündung der Dufourstrasse in die Seestrasse zu keiner Stausituation kommt?
- Erwarten die Experten, dass der Schleichverkehr in Zollikon und im Seefeld massiv zunimmt, weil die Autofahrer versuchen, die Spurverengung beim Strandbad Tiefenbrunnen via Zolliker- und Seefeldstrasse zu umfahren?
Nadia Häberli (DAV) gibt folgende Antworten: «Während des Versuchs sind wir bestrebt, den Rückstau in Richtung Zollikon – sowohl auf der See- als auch auf der Dufourstrasse (Zollikerrampe) – nicht grösser werden zu lassen als heute. Demnach erwarten wir keine Fahrzeitverlängerung des Busses. Gemäss den Simulationen gehen wir davon aus, dass sich die Reisezeit vom Tiefenbrunnen bis Bellevue insgesamt nur wenig erhöht, und erwarten darum keinen Schleichverkehr in Zollikon und im Seefeld. Es ist ganz klar auch das Ziel des Versuchs, zu zeigen, dass es keinen Ausweichverkehr gibt. Die Verkehrsmessungen werden aufzeigen, ob sich Verkehr verlagert hat.»
«Nötigenfalls greifen wir ein»
Die Formulierung «sind wir bestrebt, den Rückstau nicht grösser werden zu lassen als heute» hört sich ziemlich vage an. Deshalb die Nachfrage bei Michael Schirmer, dem Projektleiter des Versuchs bei der DAV: Kommt es nicht zwangsweise zu einem Rückstau und damit zur Blockierung der Busse auf der Zollikerrampe, wenn beim «Reissverschluss» Badstrasse aus zwei Spuren eine wird?
Schirmer geht davon aus, dass das nicht der Fall sein wird, weil der Streckenabschnitt zwischen Badstrasse und Bellevue genügend lang sei, um die Autos auch in den Verkehrsspitzenzeiten ohne Stau zu «schlucken».
Dazu folgende Rechnung: In Stosszeiten stauen sich die Autos vor dem Bellevue bis zur Bushaltestelle Elektrowatt auf einer Länge von 1200 Metern auf zwei Spuren. Die Strecke zwischen Badstrasse und Elektrowatt ist ungefähr gleich lang. Was mathematisch gesehen tatsächlich bedeuten würde, dass beim Flaschenhals Badstrasse kein Stau entsteht und das Experiment gelingen könnte.
Die Simulationsexperten verweisen in ihrem Bericht auf eine zusätzliche Regulierungsmöglichkeit: Bei einer «aktiven Bewirtschaftung» der Lichtsignalanlage an der Grenze zwischen Zollikon und Zürich könnte es dort zu «höheren maximalen Rückstaulängen» kommen. Für Zollikon wäre dieser frühe Stau von Vorteil, weil dann der Bus freie Fahrt von der Dufour-Rampe auf die Seestrasse hätte.
Man verfolge mit dem Versuch zwei Ziele, sagt Projektleiter Schirmer: «Nicht mehr Stau als heute und keine Behinderung des Öffentlichen Verkehrs – sollte das wider Erwarten der Fall sein, werden wir eingreifen.» (rs)
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Die Verringerung der Spuren ist eine Zumutung für alle Anwohner. Mehr Feinstaub, mehr Lärm und noch grösserer Zeitverlust für die, die das Auto benutzen müssen sind die Folge. Dass das ein «Schildbürgerstreich» ist, kann man mit dem gesunden Menschenverstand beurteilen, dafür braucht`s keine Experten.
Schon heute staut es sich nicht selten auf der Rampe zurück, das wird nicht besser werden, denn es genügen kleine Störungen (ein blockierender Spurwechsel, jemand fährt nicht an) und die ganze Verkehrsregelung funktioniert nicht mehr. Man muss sich fragen, was solche Simulationen eigentlich simulieren? Jeder Autofahrer kennt das Phänomen langer Staus vor Autobahnverengungen (z.B. Baustelle), obwohl dahinter freie Fahrt herrscht. Es «schluckt» eben nicht so. Dürfte sein wie immer in solchen Fällen: man hat den «Experten», die man ja bezahlt, gesagt, wie das Ergebnis auszusehen hat und dann die Inputs entsprechend gestaltet. Mag ja im Idealfall sogar stimmen. Nur weiss das der Stau nicht. Zollikon soll dem Einhalt gebieten.
Lieber Herr Brestel, liebe Frau Baum. Man kann den Projektleiter Michael Schirmer beim Wort nehmen. In unserem Artikel sagt er, man verfolge mit dem Versuch zwei Ziele: «Nicht mehr Stau als heute und keine Behinderung des Öffentlichen Verkehrs – sollte das wider Erwarten der Fall sein, werden wir eingreifen.»